Brüderliche Liebe ist, obwohl gegen menschliche Not verblendete Augen es nicht wahrnehmen, die Widerspiegelung der göttliches Liebe, und ihre Bekundung ist ein zwingendes und unwiderrufliches göttliches Gebot. Die Liebe ist das Leben selber und ist ewig. Der Meister lehrte und bewies die Liebe und betonte stets die Notwendigkeit brüderlicher Liebe. Er sagte zu seinen Nachfolgern: „Ein neu Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebet”,—nicht, daß wir es dürfen oder können sondern müssen. Und ferner gebot er ihnen: „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst”.
Der Meister forderte zum Beweisen der Brüderschaft auf. Im Hinblick hierauf ist es bedauerlich, daß selbst Menschen, die sich als seine Nachfolger bekennen, manchmal so wenig Anteilnahme am Wohlergehen und Glück derer bekunden, die der Liebe besonders zu bedürfen scheinen. Denn finden wir, wenn wir uns nach Liebe umsehen, nicht oft Vernachlässigung, Gleichgültigkeit und Versäumnis brüderlicher Verpflichtungen und manchmal sogar Groll, Widerstand und Verurteilung?
Gibt es für die die ganze Welt bestrickende Gleichgültigkeit ein Heilmittel? Kann Lieblosigkeit geheilt werden? Die Christliche Wissenschaft bejaht die Frage „durch mitfolgende Zeichen”. Und sie bewirkt es dadurch, daß sie uns des Menschen Einheit mit seinem Schöpfer klarer verstehen und somit seine Einheit mit seinem Bruder völliger erfassen lehrt. In einer Welt, die an die Wirklichkeit der Materie, an Rassenunterschiede, an sogenannte Vererbungsgesetze und an verstandesmäßige Überlegenheit glaubt, scheint der Stern der brüderlichen Liebe oft in der Finsternis, und die Finsternis weiß es nicht. Durch Verkündigung geistiger Gleichheit durchdringt die Christliche Wissenschaft heute die Finsternis und reißt die Schranken des Aberglaubens und falscher Erziehung nieder. Sie stellt den Menschen als liebenswert, als des höchsten Ansehens würdig dar. Durch geistige Wahrnehmung sehen wir, daß das wirkliche Selbst unseres Bruders das göttliche Ebenbild, das Gegenstück unseres eigenen wirklichen und vollkommenen Selbst ist. Wenn wir ihn so sehen, achten wir nicht mehr auf den sterblichen Begriff. Christus, die Wahrheit, hat die Maske der Sterblichkeit vom Antlitz unseres Bruders genommen und uns an ihrer Stelle den vollkommenen Menschen, den unsterblichen Sohn Gottes, gezeigt. In dieser göttlichen Brüderschaft sehen wir die Anliegen unseres Bruders als die unserigen, sein Wohl als unser Wohl an. Hat das sterbliche Gemüt ihn anscheinend mit „unerträglichen” Ketten gebunden, so suchen wir ihn von dieser Knechtschaft zu befreien. In der geistigen Gleichheit, wo alle Menschen gleich und eins mit Gott sind, gibt es keine Unterdrückung, keinen Wettstreit, keine Abmachung, die nicht etwas Gutes zur Folge hat. In der Christlichen Wissenschaft beruht der Maßstab der Brüderschaft auf dem göttlichen Prinzip, auf dem Verständnis und dem Beweis des Prinzips, des Geistes, der allein wahren Grundlage der Brüderschaft des Menschen. Aus Mangel an diesem Verständnis ist es der Welt nicht gelungen, die allumfassende Brüderschaft zu beweisen.
Durch die körperlichen Sinne gesehen erscheint der Mensch sowohl gut als auch sinnlich und unehrlich. Das landläufige Denken hat versucht, in diesem falschen Begriff vom Menschen Gottes Bild und Gleichnis zu sehen; aber dies ist ihm nicht nur nicht gelungen, sondern unbewußt hat es auch gleichzeitig den Gottesbegriff herabgewürdigt. Wer an diesem falschen Begriff vom Menschen festhält, wird den Menschen und seinen Schöpfer nie richtig verstehen. Diesem verfinsterten Denken muß die göttliche Brüderschaft als Geheimnis und wirkliche Nächstenliebe als Unmöglichkeit erscheinen. Welche Freude bereitet es dann, in der Christlichen Wissenschaft eine auf göttlicher Wirklichkeit beruhende Arbeitsgrundlage zu finden, auf der wir vollbringen können, was uns bisher nicht gelang!
Vielleicht mehr durch Dienen als durch etwas anderes wird die göttliche Brüderschaft am klarsten und reichlichsten widergespiegelt. Durch liebevolles Dienen bewies Jesus den Christus. Dadurch, daß unsere Führerin Mary Baker Eddy die Menschen liebte und ihnen diente, wurde der Welt die Christliche Wissenschaft zuteil; und durch denselben Dienst, den ihre Nachfolger einigermaßen bekunden, wird wahre Brüderschaft auf Erden aufgerichtet.
Wenn sich uns manchmal anscheinend auch wenig Gelegenheiten zum Dienen bieten mögen, so wird das Sehnen, hilfreich zu sein, doch seinen Lohn bringen und uns mit der Zeit in größere Wirkungskreise hineinführen. Zu dieser großen Arbeit allumfassender Erlösung hat jeder seinen Teil beizutragen.
Wenn wir das göttliche Wesen der Brüderschaft verstehen, wird das Gesetz des Gebens und Empfangens zur Freude. Die Liebe des Vaters widerspiegeln bringt unsagbare und unerwartete Segnungen und jene unaussprechliche Freudigkeit, die immer folgt, wenn wir Ihm dienen. Die Bedeutung und die Wahrheit der Erklärung der Mrs. Eddy, daß „Geben im Dienste unsres Schöpfers uns nicht arm macht und Zurückhalten uns ebensowenig bereichert” (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 79), wird uns klar.
Unsere Führerin sagt uns, daß „die Göttlichkeit des Christus in der Menschlichkeit Jesu offenbar wurde” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 25). In einer materiellen Welt wird immer ein Bedürfnis nach Liebe vorliegen, nach jener Liebe, die „in der Menschlichkeit Jesu” so reichlich hervortrat, nach der Widerspiegelung jener göttlichen Liebe, die die Kranken heilte und die Hungrigen speiste. Im Dienste der Menschheit begegnet der Christliche Wissenschafter sowohl den materiellen als auch den geistigen Bedürfnissen der Leute. Hierüber schreibt unsere Führerin (Wissenschaft und Gesundheit, S. 518): „Die geistig Reichen helfen den Armen in einer großen Brüderschaft, und alle haben dasselbe Prinzip oder denselben Vater, und gesegnet ist der Mensch, der seines Bruders Not sieht und ihr abhilft und das eigene Gute in dem des andern sucht”.
Sein Erschauen des vollkommenen Menschen ermächtigte den Meister zu sagen: „Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist”, und mit derselben Ermächtigung konnte er seinen Nachfolgern gebieten, „einander zu lieben”. Weil er wußte, daß der Mensch die Eigenschaften seines Schöpfers widerspiegelt, gebot er allen, mitfühlend, versöhnlich, barmherzig und freundlich zu sein. Auf dem Christlichen Wissenschafter ruht heute eine schwere Verantwortung: ihm ist viel gegeben, daher wird viel von ihm gefordert.
