Im Leben fast aller Kinder und auch später, wenn sie ins öffentliche Leben treten, bilden Prüfungen einen Teil ihrer Ausbildung in der Schule, auf der Hochschule oder selbst wenn sie ins Geschäftsleben treten. Diese Prüfungen sind Proben ihrer Fähigkeit, ihres Wissens und ihres Fleißes. Für gewöhnlich berechtigen sie zur Bewerbung um Stellen, und das Ergebnis, mit dem jemand daraus hervorgeht, kann seinen Platz und seine Gelegenheit in der vor ihm stehenden Welt großenteils bestimmen. Da das Kind oder der junge Schüler dies weiß, so kann eine Prüfung als etwas Furchterregendes vor ihm stehen — als ein Erlebnis, das eine an Qual grenzende Unruhe, eine Zeit der Bedrängnis, hervorruft, in der das Beladen des Gedächtnisses mit Tatsachen, Daten und sonstigem zum Bestehen einer Prüfung erforderlich scheinenden menschlichen Wissen das Furchtund Unruhegefühl womöglich nur noch steigert, bis das jugendliche Bewußtsein durchaus nicht in der besten Verfassung ist, sich mit den Prüfungsaufgaben zu befassen. Dazu kommt vielleicht noch die Einflüsterung, daß es an Zeit fehle, sich die für die Gelegenheit vermeintlich erforderlichen Kenntnisse anzueignen; und womöglich entsteht eine Spannung, die die Aufgabe doppelt schwer macht.
Nehmen wir an, ein junger Schüler der Christlichen Wissenschaft stehe vor einer Prüfung, deren Ergebnis ihm und allen, die an seinem Wohlergehen Anteil nehmen, für seine Zukunft äußerst wichtig erscheint. Wie wird er über die herannahende Prüfung seiner Leistungen und seines Wertes denken? Wir wollen annehmen, daß er schon etwas von der Anwendbarkeit dieser Wissenschaft des Lebens weiß, und daß er mit der Bibel und mit „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” von Mary Baker Eddy vertraut ist. Er mag sich der Psalmstelle erinnern: „Wohl denen, die in deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar. Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln, die durch das Jammertal [Tal Baca (engl. Bibel)] gehen und machen daselbst Brunnen”.
Das hebräische Wort „Baca” bedeutet weinen. Mrs. Eddy drückt im Glossarium in Wissenschaft und Gesundheit (S. 596) denselben Gedanken in ihrer Auslegung des Wortes „Tal” aus, die zum Teil lautet: „Niedergeschlagenheit; Sanftmut; Finsternis. ... Die Christliche Wissenschaft, die dem Sinn widerspricht, läßt das Tal knospen und blühen, gleich der Rose”. Aus solchen Stellen geht hervor, daß trotz der scheinbaren Schwere einer Prüfungszeit die reine Quelle erleuchtender Gedanken, die uns die erhaltende Macht und Gegenwart der göttlichen Liebe fühlen lassen, stets vorhanden ist, und daß wir daraus schöpfen können. Der Schüler wird also von Anfang an seiner Erfahrung nicht mit Unruhe, sondern mit Vertrauen entgegengehen. Er versteht, was Mrs. Eddy meinte, als sie schrieb: „Prüfungen sind Beweise von der Fürsorge Gottes” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 66). Indem der jugendliche Schüler Gott um einen Beweis Seiner liebevollen Fürsorge bittet, kann er daran denken, was er über das wahre Wesen Gottes gelehrt worden ist. Sinnverwandte Wörter wie Gemüt, Prinzip und Liebe werden ihm gewiß verstehen helfen, woher und wie ihm die gewünschte Hilfe, Intelligenz und Unterstützung zuteil wird. Wahrscheinlich hat er die Zugänglichkeit Gottes als der Liebe schon einigermaßen bewiesen; und nun nimmt er die Gelegenheit wahr, verstehen zu lernen, daß Gott auch das Gemüt ist, und daß er, da es nur ein Gemüt, eine Intelligenz gibt, keine andere Intelligenz als die Widerspiegelung des unendlichen Gemüts hat.
Was bedeutet dies im Grunde? Es bedeutet, daß er alle Aufregung, Furcht vor Mißlingen oder Vergeßlichkeit verbannen kann. Da er aus dem unendlichen Gemüt — seiner Quelle im Tal — schöpfen kann, kann er es mit den an ihn gestellten Forderungen zuversichtlich aufnehmen. Die unendliche Intelligenz ist unbegrenzt, und unsere Fähigkeit, von den unbegrenzten Hilfsquellen des Gemüts Gebrauch zu machen, hängt davon ab, inwieweit wir den allgemeinen Glauben beiseite setzen, daß das Gehirn denke, daß ein Gehirn besser denke als ein anderes, daß ein Gemüt mit einem andern wetteifere. Kein Kind Gottes braucht zu fürchten, daß nicht genug Intelligenz für alle vorhanden sei. Wenn jemand nach bestem Können treu gearbeitet und sich die Zugänglichkeit des Gemüts zu seiner Hilfe vergegenwärtigt hat, wird er finden, daß er alles hat, was er in der Not braucht, und daß er das Ergebnis der Prüfung ruhig Gott überlassen kann.
Ein zwölfoder dreizehnjähriges Schulmädchen, das die Bedeutung der Christlichen Wissenschaft im praktischen Leben einigermaßen erkennen gelernt hatte, stand vor einer sehr scharfen Aufnahmeprüfung zur Erlangung einer Stiftungsstelle, was für sie und ihre Mutter viel bedeutete; und sie hatte sich wochenlang sehr fleißig darauf vorbereitet. Als sie fühlte, daß sie besondere Unterstützung brauchte, bat sie eine christlich-wissenschaftliche Ausüberin um Hilfe. Die Folge war, daß sie, fast zu ihrer und ihrer Lehrer Überraschung, eine Stiftungsstelle gewann, obwohl nur sehr wenige solche Stellen zu vergeben waren und viele sich darum bewarben. Später erzählte sie der Ausüberin, die ihr geholfen hatte, daß sie am Wochenende vor der Prüfung bei einem Aufenthalt auf dem Lande dort ein Geschichtsbuch gefunden habe, das ihr nützlich schien, und daß sie um Erlaubnis gebeten habe, es mit nach Hause zu nehmen. Am Abend vor der Prüfung nahm sie unwillkürlich das Buch vor und las über einen Geschichtsabschnitt, mit dem sie nicht im geringsten vertraut war, eine Sonderschilderung einer besonderen Zeit. Als sie ihren Prüfungsbogen erhielt, sah sie, daß sie gerade über den Geschichtsabschnitt berichten sollte, mit dem sie sich am Abend vorher befaßt hatte, und von dem sie nur wußte, was sie dort gelesen hatte. Sie erkannte darin den praktischen Beweis der liebevollen Fürsorge Gottes und war dankbar für die Christliche Wissenschaft, die alt und jung gleicherweise Gott erkennen lehrt.
So können wir sehen, daß „denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen”, und Gott lieben ist in der Tat das Sicherste und Weiseste, was wir tun können. Die Vorbereitungsschule dieses gegenwärtigen Lebens muß auf der Grundlage der Wahrheit, daß es nur ein Gemüt, nur eine Intelligenz gibt, und daß dieses eine Gemüt Gott ist, ausgearbeitet werden. Dann werden alle zu sicheren und befriedigenden Ergebnissen gelangen.