Die Christliche Wissenschaft wurde im Jahre 1866 von Mary Baker Eddy in Massachusetts entdeckt. Mrs. Eddy begann dort im Jahre 1875 mit der Veröffentlichung ihrer Schriften über die Christliche Wissenschaft. Diese waren ursprünglich in englischer Sprache verfaßt und wurden jahrelang in keiner andern Sprache veröffentlicht. Die erste von Mrs. Eddy genehmigte Übersetzung war eine deutsche, und zwar die im Jahre 1912 veröffentlichte Übersetzung ihres Hauptwerkes „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”. Das Buch, das den englischen und den deutschen Wortlaut auf alternierenden Seiten enthält, bewirkte in Deutschland einen starken Aufschwung der christlich-wissenschaftlichen Bewegung. Die Christliche Wissenschaft hatte jedoch dort schon vorher eine beträchtliche Zahl Anhänger als Folge von mehreren voneinander unabhängigen und voneinander getrennten Einführungen.
Nach den jetzt vorliegenden Feststellungen war Hans Eckert aus Cannstatt der erste Deutsche, der sich offen zur Christlichen Wissenschaft bekannte. Mit der englischen Sprache in Wort und Schrift vertraut, begann er im Jahre 1889 mit dem Studium der Christlichen Wissenschaft. Zwei oder drei Jahre später nahm er bei einem von Der Mutterkirche anerkannten Lehrer Klassenunterricht und wurde im Jahre 1893 Mitglied Der Mutterkirche. Während dieser Zeit hielt er sich vorübergehend in den Vereinigten Staaten auf (in Los Angeles, Kalifornien; in Portland, Oregon; in Tacoma, Washington). Im Jahre 1894 kehrte Herr Eckert nach Deutschland zurück, wo er von der Christlichen Wissenschaft sprach, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Aber die Leute in der Umgebung von Cannstatt und Stuttgart interessierten sich nur langsam dafür. Nach mehreren Jahren schlossen sich fast alle, die die Lehre angenommen hatten, zusammen und hielten in Stuttgart gemeinsame Sonntagsgottesdienste ab, für die er die Übersetzungen machte. Im Jahre 1904 trat an Stelle dieser privaten Gottesdienste die christlich-wissenschaftliche Vereinigung Stuttgart, ein im Christian Science Journal angezeigter Zweig Der Mutterkirche. Herr Eckert wurde Erster Leser dieser Vereinigung und war nach dem damaligen Brauch als solcher im Journal genannt. Im Jahre 1913 entstand aus dieser Vereinigung Erste Kirche Christi, Wissenschafter, in Stuttgart, die heute noch besteht.
Unter günstigeren Umständen wurde die Christliche Wissenschaft in Deutschland in Hannover durch Frau Bertha Günther-Peterson eingeführt, die im Jahre 1894 mit dem Studium dieser Lehre begann und 1897 Mitglied Der Mutterkirche wurde. Auch sie war mit dem Englischen in Wort und Schrift vertraut. Ihr Vater und ihr Mann waren Arzt gewesen, und sie hatte ihnen bei der Ausübung ihres Berufs geholfen. Dabei war in ihr das große Verlangen erwacht, der Menschheit beim Bekämpfen von Krankheit zu helfen, und sie war in einer aufrichtig frommen Umgebung erzogen worden. Von der Christlichen Wissenschaft hörte sie durch eine Freundin deutscher Abstammung in Minneapolis in Minnesota, die durch diese Wissenschaft geheilt worden war, nachdem ein Arzt sie als unheilbar aufgegeben hatte.
Als Frau Günther-Peterson im Jahre 1894 von dieser Heilung hörte, ließ sie sich das christlich-wissenschaftliche Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” kommen und begann sich ernstlich darein zu vertiefen. Zwei Jahre später ging sie nach Amerika, um im November 1896 bei einer anerkannten Lehrerin in New York Klassenunterricht zu nehmen. Nachdem sie dann ihre Freunde in Minneapolis besucht und einige Patienten dort geheilt hatte, kehrte sie im Juni 1897 nach Hannover zurück, um die Christliche Wissenschaft in Deutschland einzuführen. Mrs. Eddy ermutigte sie dazu, indem sie ihr durch ihre Lehrerin eine liebevolle Mitteilung sandte. Frau Günther-Petersons Name erschien Oktober 1897 in der Liste im Christian Science Journal als Ausüberin in Hannover.
Frau Günther-Petersons erste Patientin in Hannover war eine Schneiderin (Fräulein Isermann), die an einer gefährlichen Krankheit litt, deretwegen man ihr zu einer Operation geraten hatte. Als sie erfuhr, daß Frau Günther-Peterson in Amerika ein neues Heilverfahren gelernt hatte, lehnte sie die Operation ab und beschloß, zuerst mit der neuen Lehre einen Versuch zu machen. Das Ergebnis war, daß sie durch die Christliche Wissenschaft in drei Wochen vollständig geheilt wurde. Ihre Freunde und die Familien, für die sie arbeitete, sprachen nun darüber. Bald verbreiteten sich die Berichte über ihre und andere Heilungen über Hannover hinaus, so daß Frau Günther-Peterson innerhalb eines Jahres Patienten aus 18 verschiedenen Städten und Orten hatte; und die Heilungen, die diese berichteten, kamen wieder anderen Menschen in vielen Gegenden Deutschlands zu Ohren.
Im Jahre 1899 wurde sie anerkannte Lehrerin der Christlichen Wissenschaft und zwar durch besondere Erlaubnis von Mrs. Eddy, weil die Lehrerausbildungsklasse, zu der sie von Hannover nach Boston gereist war, verschoben war. Im Jahre 1906 nahm Frau Günther-Peterson an einem Lehrerausbildungskursus teil, woraufhin ihr der Unterrichtsrat der christlich-wissenschaftlichen Mutterkirche die Berechtigung zum Lehren bescheinigte. Viele ihrer Schüler wurden tätige Arbeiter, und zwar nicht nur in Hannover, sondern auch in anderen Städten und Gegenden Deutschlands und der Schweiz.
Im Sommer 1897 versammelten sich einige Anhänger der Lehre zu christlich-wissenschaftlichen Gottesdiensten in der Wohnung von Frau Günther-Peterson; sie machte die Übersetzungen für die Gottesdienste und war auch Leserin. Mit der Zeit reichte der Raum für die größer gewordene Besucherzahl nicht mehr aus, weshalb in demselben Hause ein ganzes Stockwerk gemietet wurde. Aber bald machte eine weitere Zunahme der Zahl der Gottesdienstbesucher das Mieten eines Saales im Zentrum der Stadt notwendig. Als die Besucherzahl im März 1898 etwa 15 betrug, schlossen sich die Christlichen Wissenschafter in Hannover zur Ersten christlich-wissenschaftlichen Kirche in Deutschland zusammen, die dann ein Jahr später Erste Kirche Christi, Wissenschafter, in Hannover genannt wurde. Damals besuchten 300 bis 400 Personen die Kirche; sie hatte aber nur 12 Mitglieder, weil Leute, die aus der Landeskirche austraten, gewärtig sein mußten, sich Schwierigkeiten zuzuziehen und benachteiligt zu werden. Verfolgungen im Namen der Regierung hatten im Sommer 1898 eingesetzt und dauerten mit Unterbrechungen mehrere Jahre fort.
Im Februar 1900 gab Mrs. Eddy 1000 Dollar zum Baufonds Erster Kirche Christi, Wissenschafter, in Hannover. Die Kirche kaufte im Oktober 1901 ein Grundstück und weihte im Oktober 1902 das fertige Gebäude ein. Es war das erste für den Gebrauch einer christlich-wissenschaftlichen Kirche in Europa errichtete Gebäude, jedoch nicht das erste, das für diesen Zweck in Europa erworben wurde. Im Jahre 1897 hatte Erste Kirche Christi, Wissenschafter, in London ein Gebäude gekauft und es für ihren Gebrauch umgebaut. Auch für dieses Gebäude oder dessen Umbau hatte Mrs. Eddy einen Beitrag von 1000 Dollar gegeben.
Eine weitere unabhängige Einführung der Christlichen Wissenschaft in Deutschland erfolgte in Dresden durch Mrs. Mary Beecher Longyear aus Marquette in Michigan und Mrs. Frances Thurber Seal aus New York. Mrs. Longyear, die das Heilen ausübte, und eine andere Christliche Wissenschafterin, bemühten sich während ihres Aufenthaltes in Dresden im Winter 1896–1897, dort die Christliche Wissenschaft einzuführen. Sie hielten drei von Amerikanern, Engländern und Deutschen besuchte „private Ansprachen” über die Christliche Wissenschaft. Im Christian Science Journal vom Juni 1897 (S. 142) erklärte Mrs. Longyear: „In Dresden fand ein wunderbares Erwachen statt”. Als sie nach New York zurückkehrte, veranlaßte sie dort eine Lehrerin, eine ihrer Schülerinnen (Mrs. Seal) nach Dresden zu schicken, um dort in der Christlichen Wissenschaft zu arbeiten. Mrs. Longyear förderte diese Arbeit in Dresden mehrere Jahre durch finanzielle Unterstützungen.
Mrs. Seal war im Jahre 1896, als ihre Sehkraft abnahm und ihr Blindheit drohte, durch die Christliche Wissenschaft geheilt worden. Im November desselben Jahres nahm sie bei einer anerkannten Lehrerin Unterricht in dieser Wissenschaft. Bald übernahm sie Heilarbeit, und abends betätigte sie sich als Bücherwart in einem Lesezimmer der Stadt New York. Im Dezember 1897 ging sie nach Dresden, um dort christlich-wissenschaftlich zu arbeiten, obgleich sie Deutsch weder lesen noch sprechen konnte. Ihre erste dortige Patientin war ein junges Mädchen aus Rußland, das sich zur Sängerin ausbildete; ihr zweiter Patient war der Pfarrer der Episkopalkirche in Dresden. Beide wurden schnell geheilt, und diesen Heilungen folgten andere, die zu noch weiteren führten — in Dresden, an anderen Orten Deutschlands und in anderen Ländern.
Die ersten christlich-wissenschaftlichen Gottesdienste in Dresden wurden im Januar 1898 abgehalten, zuerst nur in englischer, aber schon vom September desselben Jahres an auch in deutscher Sprache. Mrs. Seal ließ sich im Februar 1898 in die Liste im Christian Science Journal als Ausüberin in Dresden eintragen. Im Frühjahr desselben Jahres eröffnete sie ein christlich-wissenschaftliches Lesezimmer und benützte zu diesem Zweck ihr Wohnzimmer in einer Pension. Erste Kirche Christi, Wissenschafter, in Dresden, wurde im Februar 1900 organisiert. Mrs. Seal war vorher schon nach Berlin gezogen. Ihre Nachfolgerin als Ausüberin in Dresden war Miß Emily Cotton, deren Anzeige in der Ausüberliste im Journal vom November 1899 erschien.
Im Januar 1899 wurde Mrs. Seal anerkannte Lehrerin, nachdem sie zu dem ersten Lehrerausbildungskursus des Unterrichtsrats der christlich-wissenschaftlichen Mutterkirche zugelassen worden war. Nicht alle Teilnehmer an diesem Unterricht wurden anerkannte Lehrer; aber der Unterrichtsrat erteilte Mrs. Seal die Berechtigung in der Erwartung, daß sie nach Deutschland zurückkehren und Berlin zum Mittelpunkt ihrer Arbeit machen würde. Demgemäß siedelte sie im Herbst 1899 von Dresden nach Berlin über, nachdem sie inzwischen in Dresden weiter gearbeitet und eine Klasse von fünf Schülern dort unterrichtet hatte. An jenem Klassenunterricht hatte auch Miß Cotton teilgenommen, in deren Pension Mrs. Seal nach ihrer ersten Ankunft in Dresden gewohnt hatte. Später erteilte Mrs. Seal ihren Klassenunterricht in Berlin, fuhr aber oft nach Dresden, um Patienten zu besuchen und die Bewegung dort fördern zu helfen.
In Berlin hat die Christliche Wissenschaft seit 1899 eine fortlaufende Geschichte. Soweit festzustellen ist, war Fräulein Johanna Bruno die erste Deutsche in Berlin, die Christliche Wissenschafterin wurde. Nachdem sie bei einem anerkannten Lehrer in London Unterricht genommen hatte, wurde sie am 3. Juni 1899 Mitglied Der Mutterkirche. Mit dem Englischen und Deutschen in Schrift und Sprache vertraut, machte sie die Übersetzungen für die ersten christlich-wissenschaftlichen Gottesdienste in Berlin. Etwa um dieselbe Zeit fing sie dort auch mit Heilarbeit an. Ihre Anzeige als Ausüberin erschien vom Juni 1900 an im Christian Science Journal.
Im Sommer 1899 mietete Mrs. Seal in Berlin eine Wohnung, in der sie nicht nur wohnte, sondern mit Einverständnis des Eigentümers auch Bibelstunden abhalten konnte. In dieser Wohnung wurden vom ersten Sonntage im Oktober 1899 an öffentliche christlich-wissenschaftliche Gottesdienste gehalten, die im Dezember jenes Jahres zum erstenmal im Journal angezeigt waren. Im ersten Gottesdienste waren acht Personen anwesend. Die Leser waren Mrs. Seal und Miß Amy Bentinck-Beach, die beide von Dresden nach Berlin gezogen waren.
Mrs. Seals erste Berliner Patientin war eine Konzertsängerin, deren Heilung von mehreren Leiden, einschließlich Blindheit, in weiten Kreisen so bekannt wurde, daß andere Patienten dadurch aufmerksam wurden, was zu vielen weiteren Heilungen führte. Damals schrieb Mrs. Seal (aus Berlin, am 30. April 1900): „Ich hatte den ganzen Winter so viel zu tun, daß ich stets voll beschäftigt war. ... Einmal hatte ich gleichzeitig nicht weniger als 30 Patienten, so daß ich eine meiner Schülerinnen aus Dresden kommen lassen mußte, um mir zu helfen. Auch sie hat viel zu tun. Fast alle Patienten kommen von außerhalb Berlins, aus allen Teilen Deutschlands. ... Seit meiner Ankunft in Berlin im Oktober habe ich noch nicht zwölf amerikanische oder englische Patienten gehabt. Die meisten meiner Patienten können nicht englisch sprechen”.
Im Christian Science Sentinel vom 1. November 1900 berichtete der Schriftführer Erster Kirche Christi, Wissenschafter, in Berlin (die im September organisiert worden war) reges und stetig zunehmendes Interesse an der Christlichen Wissenschaft unter den in Berlin anwesenden Amerikanern und Engländern, daß aber die meiste Heilarbeit unter den Deutschen getan worden sei. Die Zahl der Ausüber war auf vier gestiegen, die viel zu tun hatten und gute Arbeit leisteten.
Erste Kirche Christi, Wissenschafter, in Berlin, wurde am 20. September 1900 von 12 Mitgliedern organisiert. Von Anfang an war die Besucherzahl viel größer als die Mitgliederzahl. Viele Besucher trugen Bedenken, andere Verbindungen zu lösen, und einige ließen sich durch Einmischungen abschrecken, die mit Unterbrechungen über ein Jahr dauerten, als die Kirche noch klein war. Die Einmischungen bestanden meist in Mitteilungen oder Drohungen an die Hausbesitzer, um sie zu warnen, Säle oder Wohnungen an die Kirche oder deren Ausüber zu vermieten. In mehreren Fällen wurden Mietverträge tatsächlich verweigert oder rückgängig gemacht. Schließlich erhielten die Christlichen Wissenschafter jedoch vom Berliner Polizeipräsidenten eine Bescheinigung, daß ihre Betätigung nach dem deutschen Gesetz in keiner Weise verboten sei.
Frau Günther-Peterson hatte im Jahre 1899 und Mrs. Seal im Jahre 1902 den großen Vorzug einer Unterredung mit Mrs. Eddy. Am 24. Dezember 1899 empfing Mrs. Eddy Frau Günther-Peterson in ihrem Heim bei Concord in New Hampshire. Frau Günther-Peterson schrieb darüber: „Ich wurde in ein kleines Empfangszimmer links vom Eingang geführt. Einige Minuten später kam unsere geliebte Führerin, damals fast 79 Jahre alt, leichten elastischen Schrittes die Treppe herab, begrüßte mich mit inniger Herzlichkeit als, liebes Kind‘ und nahm meine Hände in ihre mir entgegengestreckten Hände. ... Ehe sie mich verließ, umarmte sie mich, küßte mich auf die Stirn und segnete mich und meine Arbeit”. Bei dieser Unterredung sagte Mrs. Eddy, wie Frau Günther-Peterson ebenfalls geschrieben hat: „Ich betrachte das deutsche Volk als eine der Hauptstützen der Christlichen Wissenschaft”. Da die Christliche Wissenschaft damals noch wenig Fortschritt in Deutschland gemacht hatte, war diese Erklärung von Mrs. Eddy offenbar prophetisch.
Mrs. Seal fuhr zu einer Jahresversammlung Der Mutterkirche im Juni 1902 nach Boston. Bei dieser Gelegenheit ging sie auch nach Concord, wo Mrs. Eddy wohnte. Zu Mrs. Seals Überraschung machte Mrs. Eddy ihr einen Besuch im Hotel. Mrs. Eddy erklärte, sie könne zur Zeit keine Besuche empfangen, und fuhr, wie Mrs. Seal geschrieben hat, fort: „Ich konnte Sie nicht abreisen lassen, ohne Ihre lieben Hände in meine zu nehmen und Ihnen in die tapferen Augen zu blicken und Ihnen Dank zu sagen, Dank dafür, daß Sie tapfer und wahr sind, daß Sie dem Irrtum mutig entgegentreten und für die Wahrheit einstehen”. Dieses Beispiel ist eines der vielen, die zeigen, welche Kenntnis Mrs. Eddy von dem Verlauf christlich-wissenschaftlicher Angelegenheiten hatte und mit welcher Anteilnahme sie die Leistungen ihrer Nachfolger würdigte.
