Wenn ein Mensch mit Gott wandelt, klingt seine Stimme, um Emersons erlesenen Ausdruck zu gebrauchen, wie das „Rauschen des Kornfeldes”. Und es sei hinzugefügt, daß die Stimme eines Menschen mehr oder weniger seine Gedanken, ja sein ganzes Wesen verrät. Mit Gott wandeln bedingt jedoch mehr als genaues Befolgen der Zehn Gebote. Es bedeutet jenes anmutige Benehmen, das den einzelnen milde macht, während es die Welt im allgemeinen erhebt und erheitert. Der gewissenhaft gute Mensch, der sich fragt, woher seine Schmerzen und Mißerfolge kommen, übersieht zuweilen die bedeutsame Tatsache, daß, obgleich „das Gesetz durch Mose gegeben ist”, „die Gnade und Wahrheit durch Jesum Christum geworden ist”.
Die Gemütsart hat auf die Gesundheit einen ebenso unmittelbaren Einfluß wie auf das Glück. Darin liegt kein Geheimnis, selbst wenn Gesundheit als leiblicher Zustand angesehen wird. Denn wird der Körper nicht vom Denken beherrscht? Unvermeidlich muß daher der Gemütszustand eines Menschen, je nachdem er aufgeregt oder ruhig ist, einen guten oder einen schlimmen Einfluß auf den Körper ausüben.
Abstufungen der Gemütsart zeigen sich unmittelbar im Gesicht, im Gang, in der Unterhaltung eines Menschen. Unverkennbar lähmt eine unruhige Gemütsstimmung sowohl die Denkvorgänge als auch die Körpertätigkeit, während echte Ruhe unfehlbar jenes mühelose Walten göttlicher Tatkraft ausdrückt, das in klarem Verstand und lebhafter Bewegung in Erscheinung tritt.
Die strenge, unnachgiebige, furchtsame oder traurige Haltung zeigt sich sofort in unruhigem Aussehen und gehemmter Tätigkeit, und sie geht im Laufe der Jahre in dauernde Gebrechlichkeit über, wenn ihr nicht Einhalt geboten wird. Doch ist es jedem Menschen gegeben, Gelassenheit, Frohsinn, Nächstenliebe, Heiterkeit zu Pflegen, die sich in besserer Gesundheit und besseren Aussichten bekunden. Sie führen zu Tätigkeit, nicht zu Untätigkeit, zu Kraft, nicht zu Gebrechlichkeit, zu ungehemmtem und unbeflektem Leben. Sie kommen in dem elastischen Gang, dem strahlenden Antlitz, der großmütigen Rücksicht auf andere zum Ausdruck.
Hier mahnt uns Mrs. Eddy in außergewöhnlich glücklich gewählter Ausdrucksweise (Miscellaneous Writings, S. 354): „Etwas mehr Wohlwollen, ein geläuterter Beweggrund, einige liebevoll gesagte Wahrheiten, ein erweichtes Herz, ein gemilderter Charakter, ein geheiligtes Leben würden die rechte Denktätigkeit wiederherstellen und erkennen lassen, daß sich Körper und Seele in Übereinstimmung mit Gott bewegen”.
Macht man aus dem Bösen eine Wirklichkeit, so entwickelt sich in der Veranlagung eine gewisse Steifheit, durch die man unfähig wird, sein Bestes zu tun oder zu sein. Die Christliche Wissenschaft besteht nun darauf, daß, da das göttliche Prinzip allmächtig ist, das Böse eine falsche Annahme, eine Täuschung des persönlichen Sinnes, also keine Tatsächlichkeit, kein Teil des wahren Seins ist, und daß nur die falsche Annahme verantwortlich gemacht und bestraft werden muß. Es kann einer den schädlichen Glauben hegen, d.h. er kann, jedenfalls so weit er in Betracht kommt, das Böse auf zwei Arten wirklich machen.
Erstens kann er bewußt einen falschen Weg verfolgen oder in Erwartung von Gewinn oder Befriedigung verderblichen Gewohnheiten frönen. Dadurch schafft er einen mentalen Zustand, der das Gegenteil der freien, gehobenen Stimmung ist, die mit Recht das Gute erwartet. Aber dies ist keine Lage, die nicht wieder gut zu machen wäre. Er braucht nur sein Vorhaben zu ändern und durch Beachtung jener rechten Eingebungen, die das göttliche Gemüt unaufhörlich mitteilt, vernünftig zu handeln. Wenn er sich ehrlich bemüht und die immer gegenwärtige Macht Gottes so anruft, wie es in der Christlichen Wissenschaft gelehrt wird, kann es ihm nicht mißlingen. Dadurch wird der Glaube an Sünde untergraben, und wenn er stürzt, sind die Strafen und Folgen beseitigt.
Denn man darf nicht vergessen, daß die Sünde nichts Handgreifliches, nichts Dauerndes ist. Sie ist irriges Denken, für das man so lange gestraft wird, wie man dabei beharrt, das aber vergeben und vernichtet ist, wenn es endgültig berichtigt ist. Die daraus folgende Umwandlung führt zu Fortschritt; denn eine gewisse Bereitschaft oder Empfänglichkeit ist die Vorbedingung der Heilung und der Freiheit. Jesus heilte nur einen der Kranken, die sich am Teiche Bethesda aufhielten.
Zweitens kann man dem Bösen dadurch Wirklichkeit beimessen, daß man sich über sein Auftreten in anderen ungebührlich aufregt. Es ist sonderbar, wie duldsam einer gegen seine eigenen Torheiten sein kann, die ihm Wohl zu denken geben könnten, und wie unduldsam gegen die Unzulänglichkeiten seiner Mitbürger oder Kirchenmitglieder, deren Verhalten ihn weder berührt noch beeinflußt! Er entsetzt sich über Unrecht, das ihn nichts angeht, während er über das Unrecht, das er begeht, kaum Bedenken hegt.
Besserungs- oder Strafmaßnahmen können beunruhigen, wenn sie nicht auf äußerst feinfühlige, freundliche Art ausgeführt werden. Glücklicherweise sind sie selten nötig. Wer einen Fehler macht, ist darüber nicht glücklich. Sicher will er ihn nicht wiederholen. Sehr wahrscheinlich nimmt er sich in Zukunft in acht. Im allgemeinen bedarf der Pflichtvergessene noch einer Gelegenheit. Allzuoft wird sie ihm nicht gegeben. Das Böse ist nicht echt. Warum dann so viel darüber reden und sich aufregen? Unsere Führerin schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 563): „Warum sollten wir über dem Nichts entsetzt sein”? In der ganzen Welt finden wir heute viele nützliche und mit Recht geachtete Männer und Frauen, die es geworden sind, weil ihnen durch die Großmut ihrer Mitarbeiter eine weitere Gelegenheit geboten wurde. Vergehen sind auf die durch die Wissenschaft vorgesehene Art zum Schweigen zu bringen und zu berichtigen. Sie sind nicht überall zu verkündigen oder zum Gegenstand der Besprechung und Auseinandersetzung zu machen. Sie sollten nicht einmal Anlaß zu berechtigtem oder unberechtigtem Unwillen bieten.
Niemand ist in der Lage, einen Verweis zu erteilen, solange er über das in Betracht kommende Mißverhalten aufgeregt ist. Den Balken aus seinem eigenen Auge ziehen, schließt wissenschaftliches Verringern des vorgekommenen Verstoßes bis zum Nullpunkt in sich. Solange einem der Verstoß so groß erscheint, kann man sich nicht in der freundlichen und taktvollen Weise benehmen, die erfolgreiches Heilen erfordert. Die Christliche Wissenschaft ist nicht in die Welt gekommen, um zu verdammen, sondern zu erretten. Niemand ist heute so sicher, daß er nicht vielleicht morgen der Gnade bedarf. Von jeher hat man beobachten können, daß sich die Selbstgerechten ihre Gruben selber graben.
Das Aufwerfen von vermeidlichen Fragen mit den Auseinandersetzungen, die sie herausfordern, trägt offensichtlich nicht zur Ruhe bei. Die schärfsten Erörterungen und Auseinandersetzungen werden zuweilen über geringfügige Kleinigkeiten geführt,— manchmal über ein Mißverhalten, das aus nichts schlimmerem als Unerfahrenheit hervorging. So entstandene Feindseligkeiten und Ärgernisse schaden den Streitenden und den Zuhörern, und zwar ebenso der Gesundheit wie dem Seelenfrieden.
„Seid stille und erkennet, daß ich Gott bin”. Dieses Gebot besitzt mehr Überzeugungskraft als ein gesprochener Beweisgrund, wenn zweifelhafte Erörterungen entstehen. Die Erkenntnis, daß das göttliche Prinzip von allen ablenkenden Kräften unbeeinflußt regiert, fördert Frieden und Gelassenheit und infolgedessen normale Zustände, sei es in Volks-, Geschäfts-, Kirchen-, Familien- oder persönlichen Angelegenheiten. Es ist manchmal geradezu erschreckend zu beobachten, wie häusliche Spannungen und Aufregungen oder Wettbewerb und Eifersüchteleien in der Werkstatt oder im Büro Gemüt und Körper vorübergehend beunruhigen und, wenn sie nicht beseitigt werden, schließlich die verborgene Ursache ernster Leiden werden, die im allgemeinen leicht zu heilen sind, wenn ihr Ursprung entdeckt und ausgerottet wird.
Nun kann jeder, der will, solche Feinde der Gesundheit meistern, ehe sie zu Krankheit führen. Er kann daran denken, daß man umso taktvoller und liebenswürdiger sein muß, je näher man mit anderen im Familien- oder Geschäftsleben in Berührung kommt. Die schroffe Zurechtweisung eines Verkehrsbeamten hinterläßt keinen Stachel. Eine ganz andere Wirkung kann die „offene Auseinandersetzung” zwischen Mann und Frau haben. Der klar Blickende, der erkennt, daß ärgerliche oder aufreizende Eigenschaften nur unpersönliche Einwürfe des Bösen in die täglichen Angelegenheiten sind, lehnt es ab, sie mit sich oder seinen Mitarbeitern in Verbindung zu bringen, lehnt es ab, sich durch sie erzürnen zu lassen, lehnt es ab, ihnen Ort oder Wirklichkeit beizumessen. Zurechtweisung hat in seinem Wortschatz wenig Raum.
Es ist hier nicht beachsichtigt, bewußtes Unrechttun zu beschönigen. Die Menschheit hat sowohl durch Offenbarung als auch durch Erfahrung gelernt, daß es Dinge gibt, die man lieber unterläßt. Wer böse Annahmen hegt, hat kein Recht, die Unwirklichkeit des Bösen zu verkündigen. „Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter seine Gedanken”, wenn er sich auf die gnadenreiche Regel der Wissenschaft berufen will, daß nur das Gute wahr ist. Gottes „Augen sind rein, daß [Er] Übles nicht sehen mag”— ja, von Ihm ist nichts zu fürchten. Der Glaube an böse Neigungen und Gewohnheiten ist es, der straft.
Jeder kann zu Gleichmut und Gelassenheit und daher zu Gesundheit und Leistungsfähigkeit beträchtlich beitragen, wenn er beobachtet, wie ruhig und doch wie unwiderstehlich das Leben ist. Wir sagen, das Leben sei gegeben oder verliehen, und sagen dann, es werde weggenommen oder schwinde dahin, während wir doch erkennen sollten, daß das Leben besteht, d.h., daß das Leben weder kommt noch geht, weder erkrankt noch altert noch eine Niederlage kennt. Das Leben ist, war und wird sein; denn das Leben ist Gott, und der Mensch besteht als Zeuge des fortdauernd harmonischen Lebens.
Wie sich einer gegen äußere Eindrücke verhält, macht einen gewaltigen Unterschied in ihrer Rückwirkung auf ihn, sei es für Ruhe oder das Gegenteil. Zum Beispiel kann einer, der in der Stille seines Arbeitszimmers kaum etwas anderem als seinen persönlichen Interessen einen Gedanken widmet, durch den Lärm einer in der Nachbarschaft hämmernden Nietmaschiene fast außer sich kommen, während die schnarrenden Töne seinem Gefährten, der sich der Probleme der Menschheit bewußt ist, erhebend klingen, weil sie für ihn das Grabgeläut einer im Scheiden begriffenen Geschäftsstockung sind.
So verhält es sich im allgemeinen. Es kann sich einer über die ärgerlichen, aufreibenden, verdrießlichen Vorkommnisse, von denen das Alltagsleben übervoll ist, aufregen, bis „das ganze Haupt krank, das ganze Herz matt ist”. Ein anderer, der sein Denken durch Liebe und Besorgnis um die Menschheit mäßigt und seine Aufmerksamkeit den Wirklichkeiten und Verantwortlichkeiten des Daseins zuwendet, kann sich sowohl gegen diese Ablenkungen als auch gegen die Sonderbarkeiten von Bekannten und die Selbstsucht der Sterblichen im allgemeinen immunisieren, bis ihn solche Unannehmlichkeiten kaum mehr rühren. Er ist ausgerüstet, die Welt besser zu machen.
Religion stellen wir uns als nichts anderes denn als Liebe vor: als die Liebe Gottes und der ganzen Menschheit. Wir glauben, daß diese Liebe die Lebensarznei, das nie versagende Heilmittel für alle Übel einer verwirrten Welt ist. Wir sehnen uns danach, diese Religion auf der Erde aufgerichtet zu sehen.—.
