Einmal im Jahre feiert die Christenheit natürlich und dankbar das Gedächtnis der Geburt Jesu von Nazareth. An diesem immer wiederkehrenden Jahrestag dürfte es sich jedoch empfehlen, sorgfältig über jene auffallende Erklärung des gereisten Jesus nachzudenken, als er zu Nikodemus, der in der Nacht zu ihm gekommen war, um über die Dinge Gottes mit ihm zu reden, sagte: „Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen”.
Wer mit dem Evangelium des Johannes vertraut ist, wird sich erinnern, daß der Meister auf die Frage des erstaunten Nikodemus: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?”, antwortete: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: „Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen”. Diese Worte Christi Jesu lassen klar erkennen, daß der Himmel, Harmonie, nur durch geistige Wiedergeburt erlangt wird, und daß jedermann diese Erfahrung, die die Läuterung des Denkens in sich schließt, selber erleben muß.
Das Verständnis Gottes, des Geistes, das der Himmel ist, kommt jedem, wenn und wo er dafür bereit ist. Ohne dieses Dämmern des geistigen Lichts göttlicher Intelligenz im menschlichen Bewußtsein, der Intelligenz, die die Wahrheit über Gott und den Menschen in Seinem Ebenbild offenbart, kann man nicht wissen, was das Leben wirklich ist. Denn „wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht”, sagte Johannes, der geliebte Jünger Jesu. Offenbar kann man also, wenn man den Sohn — den Christus oder die geistige Idee Gottes — nicht hat, das Leben nicht als Gott, das Gemüt, den Geist, die belebende göttliche Ursache alles dessen, was durch Schöpfung besteht — des geistigen Weltalls einschließlich des individuellen Menschen — erkennen.
Dieses göttlichen Wissens, das vollständige Erlösung von fleischlichen Übeln mit sich bringt, was schließliche Befreiung von der Sünde und dem Leiden, der Furcht, dem Mißlingen und der Vereitelung bedeutet, die den Glauben an ein von Gott getrenntes Dasein begleiten, können wir nur so teilhaftig werden, wie Jesus es Nikodemus erklärte — wenn wir „von neuem geboren” werden. Es ist also einleuchtend, daß Erlösung eine rein persönliche Erfahrung ist, und dies ist zweifellos der Grund, warum Paulus sagte: „Schaffet, daß ihr selig werdet”. Es ist nicht möglich, daß einer die Erlösung eines andern ausarbeitet, weil er nicht für einen andern denken kann. Man kann einem andern beibringen, wie man denken soll; aber denken muß jeder selber. Demnach müssen sich schließlich alle — durch die Macht Gottes und Seines Christus — selber erlösen.
Das Christentum, die heilende und erlösende Religion Christi Jesu, ist nicht durch einen Stellvertreter zu erlangen. Ebensowenig kann man das heilende und erlösende geistige Verständnis von seinen irdischen Eltern erben. Es ist unser aller geistiges Erbe von unserem gemeinsamen Vater — dem unendlichen Gemüt, der göttlichen Liebe — von dem „alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe” kommt.
Auf Seite 61 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” schreibt Mary Baker Eddy: „Die Nachkommen himmlisch gesinnter Eltern erben mehr Verstand, besser ausgeglichene Gemüter und eine gesundere Konstitution”. In dieser Stelle sagt Mrs. Eddy jedoch nicht, daß die Menschen von ihren Vorfahren die Christusähnlichkeit oder Geistigkeit erben können, die wahres Christentum begleitet. Man kann nicht „in” der Christlichen Wissenschaft „geboren” werden. Man kann Eltern haben, die Christliche Wissenschafter sind; aber man kann nur auf eine Art wahrhaft „in der Wissenschaft geboren” sein — wenn man „von neuem geboren” wird.
Unter günstigen Umständen in die Welt hinaustreten, ist etwas, wofür man wahrhaft dankbar sein kann, und einen guten menschlichen Hintergrund sollte man schätzen; aber früher oder später muß man seine wahre Individualität finden und beweisen und selber ein beweisbares Wissen der Christlichen Wissenschaft erwerben. Wer in einer christlichen Familie aufgewachsen ist und besonders, wer den Lehren der Christlichen Wissenschaft gemäß erzogen worden ist und vielleicht den Vorzug hatte, eine christlich-wissenschaftliche Sonntagsschule zu besuchen, kann sich glücklich preisen; aber schließlich muß er das dadurch erlangte Wissen selber anwenden, und je bälder er damit beginnt, desto besser.
Zuweilen wird der Fortschritt junger Leute im Verständnis und Beweis der Christlichen Wissenschaft durch den falschen Glauben der Eltern gehindert, daß sie auf unbestimmte Zeit fortfahren können, die Probleme ihrer Kinder für sie zu lösen. Dies ist ein Fehler, der leicht gemacht wird, der aber trotzdem vermieden werden sollte. Und es dürfte den Eltern leichter fallen, diesen Fehler zu vermeiden, wenn sie daran denken, daß die erwähnte Erklärung Jesu: „Ihr müsset von neuem geboren werden”, ebenso auf ihre Kinder wie auf sie selber zutrifft.
Es ist erfreulich, zu sehen, wie so viele junge Christliche Wissenschafter unmittelbar nach der Sonntagsschule Mitglied der Kirche werden und an der Kirchenarbeit teilnehmen. Aber auch dieser Schritt sollte wiederum als Ergebnis persönlichen Beweises gemacht werden. Daher ist es etwas, wozu junge Leute nicht ungebührlich oder vorzeitig gedrängt werden sollten. Erfahrene Christliche Wissenschafter können Sonntagsschüler oder andere junge Schüler der Christlichen Wissenschaft weise auf den Vorzug und die Ratsamkeit aufmerksam machen, sich Der Mutterkirche oder einer Zweigkirche oder beiden anzuschließen. Wenn dies aber getan ist, sollten sie es ihnen überlassen, diesen Schritt als Ergebnis göttlicher Führung zur rechten Zeit und in rechter Weise zu unternehmen.
Über das wichtige Thema Kirchenmitgliedschaft schreibt unsere Führerin auf Seite 35 in Wissenschaft und Gesundheit: „Unsere Kirche ist auf dem göttlichen Prinzip, Liebe, erbaut. Wir können uns mit dieser Kirche nur vereinigen, wenn wir neu geboren werden aus dem Geist, wenn wir das Leben erreichen, das Wahrheit ist und die Wahrheit, die Leben ist, indem wir die Früchte der Liebe Hervorbringen — Irrtum austreiben und die Kranken heilen”.
Glücklich in der Tat ist, wer, ob er für den menschlichen Sinn jung oder alt ist, wahrhaft sagen kann, daß er „von neuem geboren” ist. Die Christlichen Wissenschafter sehen, daß diese Wiedergeburt oder geistige Erneuerung nicht von den mit ihrer materiellen Geburt verknüpften günstigen oder ungünstigen Umständen abhängig ist. Mrs. Eddy schreibt darüber in „Miscellaneous Writings” (S. 17): „Eine materielle oder menschliche Geburt ist das Erscheinen eines sterblichen, nicht des unsterblichen Menschen”. Und sie fügt hinzu: „Bei der geistigen Geburt beginnt sich des Menschen ursprüngliches, sündloses, geistiges Dasein im menschlichen Denken zu entfalten — durch die mühevolle Arbeit des sterblichen Gemüts, durch verzögerte Hoffnung, durch die vergängliche Freude und die sich häufenden Schmerzen des Sinnes — wodurch man sich als Materie verliert und einen wahreren Sinn des Geistes und des geistigen Menschen gewinnt”.
