Es ist aus dem Zusammenhang ersichtlich, daß Jesus von der sogenannten notleidenden Klasse sprach, als er zu seinen Jüngern sagte: „Arme habt ihr allezeit bei euch”. Daß es jedoch eine solche Gesellschaftsklasse gibt, ist der Gedankenarmut, dem „armen” Denken zuzuschreiben, das sich scheinbar in so großem Umfange in der menschlichen Erfahrung behauptet.
„Arme habt ihr allezeit bei euch”, scheint für die heutigen Zustände genau so zuzutreffen wie für diejenigen zur Zeit Jesu. Wie damals müssen auch heute Mittel und Wege zur Unterstützung der Armen, der Hilfsbedürftigen und der Unglücklichen erwogen werden. Daher scheinen Wohltätigkeitsanstalten nötig zu sein. Daher werden Gesetze zur Verbesserung der infolge von Arbeitslosigkeit herrschenden Zustände angenommen. Daher unterhalten Kirchen Fürsorgeämter zur vorübergehenden oder dauernden Unterstützung Notleidender. Das alles ist lobenswert und christlich und stimmt überein mit den Worten des Apostels Jakobus: „So aber ein Bruder oder eine Schwester bloß wäre und Mangel hätte der täglichen Nahrung, und jemand unter euch spräche zu ihnen: Gott berate euch, wärmet euch und sättiget euch! ihr gäbet ihnen aber nicht, was des Leibes Notdurft ist: was hülfe ihnen das?”
Jedoch der Zustand, den wir Armut oder Mangel nennen, wird erst dauernd beseitigt — was einmal geschehen muß und wird — wenn wir ihn als das sehen, was er ist, und ihn dann auf christlich-wissenschaftliche Art heilen.
Armut ist keine Tugend. Sie ist eine Krankheit. Wenn sie nicht als das erkannt wird, was sie ist, und durch rechtes Denken geheilt oder berichtigt wird, wird sie oft eine chronische Krankheit. Anhaltender Mangel ist in der Tat ein chronischer mentaler Zustand, der manchmal ebenso hartnäckig zu sein scheint und scheinbar ebenso schwierig zu beseitigen ist wie ein leiblicher sogenannter chronischer Zustand. Eine Wörterbucherklärung für „geldarm” lautet: „Gewöhnlich ohne genügend Geld für Notwendiges; immer bedürftig”. Geldarmut ist also chronische Verarmung. Dies ist doch gewiß Krankheit, und ebenso gewiß ist sie unwirklich, weil sie nicht das Wesen des einen unendlichen, allgegenwärtigen, allweisen, allliebenden Vater-Mutter-Gottes ausdrückt, der für Seine geistige Schöpfung — den Menschen und das Weltall — immer liebreich und reichlich sorgt.
Das Heilmittel für chronische Armut ist also die Erkenntnis der göttlichen Tatsache, daß der Mensich nicht fähig ist, Mangel oder Unvollständigkeit zu kennen, sondern „vollkommen und ganz” ist „und keinen Mangel” hat. Wenn die göttlichen Tatsachen des Seins allgemein verstanden und völlig bewiesen werden, wird der Fluch Armut aus der menschlichen Erfahrung völlig verschwunden sein.
Als Annahme des sterblichen Gemüts kann Geldarmut eine Reihe sogenannter Ursachen haben. Sie kann die Folge von ererbter Neigung oder von Familienzügen sein. Sie mag mittelbar auf anhaltende ungünstige Zustände wirtschaftlicher, politischer oder gewerblicher Art zurückzuführen sein. Anderseits kann sie zum Teil die Folge von Faulheit, Denkträgheit, Unehrlichkeit oder Undankbarkeit der Person sein, die ihr Opfer zu sein scheint.
Mary Baker Eddy schreibt im Handbuch Der Mutterkirche (Abschnitt 5 des Artikels XXIV): „Gott fordert, daß Weisheit, Sparsamkeit und brüderliche Liebe alle Handlungen der Mitglieder Der Mutterkirche, Der Ersten Kirche Christi, Wissenschafter, kennzeichne”. Daher kann angenommen werden, daß Christliche Wissenschafter durch Gehorsam gegen den Geist dieser Satzung im allgemeinen in beträchtlichem Maße Weisheit und Sparsamkeit bei der Erledigung ihrer Angelegenheiten walten lassen. Ihr Hauptbedürfnis ist jedoch, völliger zu verstehen und zu beweisen, daß Fülle, Reichtum, Tätigkeit und Herrschaft göttliche Eigenschaften des Gemüts sind, die der Mensch durch Widerspiegelung besitzt. Durch dieses Wissen werden die einzelnen und die Gesamtheit einen umfassenderen Sinn von Freiheit und ein größeres Maß wahren Wohlstandes in ihre menschliche Erfahrung bringen. „Reiche müssen darben und hungern; aber die den Herrn suchen, haben keinen Mangel an irgend einem Gut”.
Die geistige Bedeutung der Bibel erläuternd schreibt unsere Führerin in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” hinsichtlich der Erzählungen im Neuen Testament (S. 501): „Jesus erleuchtet sie, indem er die Armseligkeit des sterblichen Daseins zeigt, aber menschlichen Mangel und menschliches Leid reichlich mit geistigem Gewinn aufwiegt”. Wer diesen „geistigen Gewinn” erkannt hat, wird durch ein vorübergehendes Gefühl des Verlusts materieller Dinge weder erschreckt noch entmutigt. Und wer ein bleibendes Bewußtsein der unfehlbaren Fürsorge des göttlichen Gemüts für seine geistigen Ideen erlangt, wird nicht in Armut versinken. Im Reiche der göttlichen Intelligenz und der allumfassenden Liebe ist kein Raum für Armut.
