Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

Erbarmende, verstehende Liebe

Aus der Juni 1938-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Inmitten menschlicher Mißverständnisse und angesichts liebloser Behandlung seitens derer, von denen wir uns für berechtigt fühlen, Freundlichkeit zu erwarten, wendet sich das Denken so natürlich und so vertrauensvoll an Gott als die Liebe, wie sich ein Kind bei drohender Gefahr den Armen seiner Mutter zuwendet in der Gewißheit, dort verstehende Liebe zu finden.

Jesus erzeigte bei seinem heilenden Wirken beständig die Liebe, die versteht, und das Verständnis, das liebt — nicht menschlich liebt, sondern göttlich. Bei ihm finden wir nie ein kaltes, verstandesmäßiges Verständnis des Buchstabens, noch eine einseitige und unweise menschliche Zuneigung. Als ihm der Hauptmann erzählte, daß sein Knecht zu Hause „große Qual” habe, erwiderte Jesus unverzüglich und liebevoll: „Ich will kommen und ihn gesund machen”. Sein Gleichnis vom verlorenen Sohn, der sein Vaterhaus verließ und verwahrloste, ist ein Muster christlichen Erbarmens und verstehender Liebe. Der Sohn hatte sich bei seiner Rückkehr erniedrigen wollen; aber der Vater, der offenbar aufrichtige Reue wahrnahm, lief ihm entgegen, „da er noch ferne von dannen war”. Das Kleid, der Ring und die Schuhe, die er für den zurückgekehrten Wanderer holen hieß, versinnbildlichen die zärtliche Fürsorge und die liebreiche Vergebung der göttlichen Liebe. Der unbußfertige Übeltäter findet den Weg des Übertreters schwierig. Erkennt er aber erst einmal seinen Irrtum und bringt er wie der verlorene Sohn Reue zum Ausdruck, so wird er finden, daß die Liebe schon gegenwärtig ist, ihm entgegenzukommen.

Verständnis ist nicht eine seltene Gabe, die einigen gewährt und anderen vorenthalten ist. Es ist eine Gabe Gottes, weshalb es allgemein ist; es wohnt jedermann inne. Im Bericht des Lukas über Jesu letzte Anweisungen an seine Jünger lesen wir: „Da öffnete er ihnen das Verständnis”. Was geweckt oder geöffnet werden kann, ist schon vorhanden. Man darf nicht vergessen, daß für den geistigen Sinn das Verständnis nie schlafend ist, sondern daß es nur den materiellen Sinnen so zu sein scheint. Nach menschlicher Ansicht scheint es Gradunterschiede des Schlafs im Einzelbewußtsein zu geben. Beim Anblick eines Schlafenden sind wir uns bewußt, daß er nach dem Aufwachen sofort beginnt, das zu tun, wozu er fähig ist. Wir brauchen ihn nur aufzuwecken. Wir haben ihn nicht sprechen oder gehen zu lehren; er hat die Fähigkeit, es zu tun, und wendet sie an, sobald er wach ist.

Hinsichtlich derer, die in der Christlichen Wissenschaft Heilung suchen, muß man wissen, daß sie in ihrem wirklichen Sein nicht gesund oder gut gemacht zu werden brauchen. Sie sind und bleiben es immer. Der Heiler muß sich dieser Tatsache bewußt sein, sonst kann er nicht hoffen, sie zu ihrem wahren Selbst zu erwecken. Er versucht nicht, an einer Stelle, wo nichts ist, etwas hervorzurufen, sondern nur das vorhandene Verständnis zu wecken, damit es angewandt wird, Gesundheit, Tugend und Fähigkeit sind nie abwesend; sie brauchen nur vergegenwärtigt zu werden, um zum Ausdruck zu kommen. So verhält es sich mit allen Eigenschaften, die Gott zuzuschreiben sind.

Durch Gehorsam, Liebe und Anbetung, die das geweckte geistige Verständnis hervorruft, nähern wir uns Gott. Gehorsam gegen Gott ist vonnöten; Er muß aber auch angebetet werden. Ohne Liebe zu Gott gibt es keinen wahren Gehorsam, während es ohne Gehorsam gegen Gott keine wahre Liebe geben kann. Liebe in ihrem höchsten und vollendetsten Ausdruck ist Anbetung. Die Christlichen Wissenschafter sollten die Bedeutung dieses Worts klar verstehen; denn in der geistigen Auslegung des Gebets des Herrn im Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 16, 17) ist der Satz: „Geheiliget werde dein Name” als „Einzig Anbetungswürdiger” wiedergegeben. Anbeten bedeutet „mit tiefer Ehrfurcht verehren; als göttlich ehren”. Hieraus ist ersichtlich, daß nur Gott anbetungswürdig ist. Wenn wir beim täglichen Wiederholen dieses Satzes die Bedeutung dieses Worts tief erwägen, können wir es mit beständig wachsendem Verständnis anwenden. Bei diesem erweiterten Erfassen seiner wahren Bedeutung finden wir, daß das sterbliche Gemüt weder Anbetung noch Gehorsam verdient.

Es gibt kein Problem irgend welcher Art, das nicht in dem Maße überwunden wird, wie wir durch gewecktes Verständnis unsern Gehorsam und unsere Anbetung vom sterblichen Gemüt oder tierischen Magnetismus dem einen allein anbetungswürdigen Gott zuwenden. Jedes Problem, mit dem ein Patient ringt, bietet einen Gesichtspunkt — und manche Probleme bieten viele Gesichtspunkte — des Glaubens an eine Macht, die dem Gemüt, dem Gehorsam und Anbetung gebührt, entgegengesetzt ist. Die Leute kommen zur Christlichen Wissenschaft in dem Glauben, daß sie eine Veränderung in ihrem Körperbau, daß sie eine Geschäftsstellung, menschliche Kameradschaft brauchen. Mit erbarmender, verstehender Liebe muß ihnen gezeigt werden, daß das, was ihnen not tut, ist: Gott gehorchen und Ihn anbeten.

Manchmal hören wir von einem, der sich zur Christlichen Wissenschaft bekennt, Äußerungen wie: „Ich bin berechtigt, meinem Lebensunterhalt zu verdienen; ich sollte meine Rechnungen bezahlen können; ich habe das Recht, gesund zu sein”. Hieraus könnte man schließen, daß dieser Schüler glaubt, er habe seine Verpflichtungen gegen Gott erfüllt, während Gott mit der Erfüllung noch im Rückstand sei. Dieser Schüler sollte seine Gesinnung ändern und sagen: „Ich bin berechtigt, selbstloser zu leben; meine Liebe sollte groß genug sein, der göttlichen Liebe meine Schuld zu zahlen; ich habe das Recht, geistige Gesundheit auszudrücken”. Die Himmelspforten, die dem Ansturm menschlichen Willens verschlossen bleiben, öffnen sich weit dem Denken, das unermüdlich Nachdruck auf das Verlangen nach geistigem Verständnis legt. Man könnte ganz gut sagen: Ich kann die Christliche Wissenschaft nicht beeinflussen, mir zu geben, was ich haben möchte; aber ich kann sie mich beeinflussen lassen zu wünschen, was die göttliche Liebe gibt.

Was anders heißt „reich in Gott” sein als reich sein an Selbstlosigkeit, Anbetung und Gehorsam gegen die göttliche Liebe, das All in allem, und denen eingeschränkt dankbar sein, durch die uns erbarmende, verstehende Liebe zuteil geworden ist? Betrachten wir Mrs. Eddys Leben durch genehmigte Lebensbeschreibungen oder Berichte derer, die sie am besten kannten, so sehen wir, daß sie unermüdlich, beständig, selbstlos arbeitete, ihre Offenbarung des neuen Erscheinens der Wahrheit mit der Menschheit zu teilen. In ihrem Gedicht „Begegnung meiner dahingeschiedenen Mutter und meines Mannes” (Miscellaneous Writings) finden wir die schildernden Worte (S. 386): „Die unermüdliche Arbeiterin für die neue Geburt der Wahrheit”. Nie arbeitete sie für sich selber oder nur für die ihr menschlich Nahestehenden. Sie war die Arbeiterin, die der Menschheit unermüdlich die heilende, erbarmende, verstehende Liebe des Christus darbot, die durch sie der Menschheit in seiner Wissenschaft gegeben wird. Und wie unsere Führerin „unbetrogen” blieb (Miscellaneous Writings) von den Tücken eigennütziger Erwägungen, die sie — gleichwie uns — zu berauben versucht haben müssen, jedoch ohne Erfolg!

In „Miscellaneous Writings” (S. 312) erklärt Mrs. Eddy Liebe als „beständig, gleichförmig, mitfühlend, aufopfernd, unbeschreiblich gütig”. Eine solche Liebe heilt die Kranken, die Leidtragenden, die Unglücklichen, die Hilflosen. Könnten sechs Wörter mehr ausdrücken? Unsere Liebe muß mit der Tatsache übereinstimmen, daß jeder, mit dem wir im Menschenleben in Berührung kommen, in voller Wahrheit ein Kind Gottes ist, wie wir es auch selber zu sein beanspruchen, und daß wir alle ernstlich danach trachten, die Liebe zu beweisen, die gleichförmig, nicht Gefühlen und Launen unterworfen ist. Die Liebe ist mitfühlend. Mitgefühl im Sinne von Erbarmen, wie es hier gebraucht ist, ist bei der Heilarbeit unerläßlich. Kein Mitleid mit Irrtum, sondern erbarmende, mitfühlende, zärtliche Rücksicht gegen jeden, der zu uns kommt und durch die Christliche Wissenschaft Befreiung sucht aus einem Gefängnis, genannt Krankheit oder Sünde oder Trübsal. Das nächste Wort in dieser Erklärung des Wortes Liebe ist „aufopfernd”. Das muß das Aufgeben eines sterblichen, materiellen Sinnes vom Selbst bedeuten, der keine Beziehung zum Wirklichen hat, und der, wenn aufgegeben, erfunden wird als etwas, was nie ein wahres Dasein hatte. Wenn dieses falsche Selbst aufgegeben ist, finden wir, daß nichts anderes als Stolz, Eigenwille, Haß, Furcht und Neid — Begleiter des tierischen Magnetismus — ausgemerzt wurde. Es ist nicht schwer, von ihnen frei zu werden, wenn das Licht verstehender Liebe hervorleuchtet. Das vergeistigte Bewußtsein läßt die heilenden Strahlen des Christus, der Wahrheit, klarer durchscheinen, um die dunklen Schatten Krankheit und Sünde zu verbannen.

Die letzte Eigenschaft dieser Liebe, die uns unsere Führerin so angelegentlich hegen und leben bat (Miscellaneaus Writings), ist unbeschreibliche Güte. In einer Mentalität, worin diese Eigenschaften herrschen, finden wir keine Streitgedanken, keine Unfähigkeit, mit anderen in Frieden zu leben. In dieser Zeitwelt scheinen Klassen, Rassen und Völker miteinander Krieg zu führen. Aber wie vertrauensvoll kann jeder Christliche Wissenschafter arbeiten und darum beten, täglich in seinen menschlichen Beziehungen etwas mehr Güte auszudrücken, und wissen, daß er dadurch zur Herbeiführung der Erfüllung der von dem Meister eingeschärften Bitte beiträgt, daß Gottes Wille „wie im Himmel, also auch auf Erden” geschehe! In dem Bewußtsein, das von erbarmender, verstehender Liebe regiert wird, ist der Himmel kein Wahnbild, sondern eine gegenwärtige Tatsache.

Gibt es in der heutigen Welt ein größeres Bedürfnis, als in unserem Leben die Liebe zu beweisen, die „beständig, gleichförmig, mitfühlend, aufopfernd, unbeschreiblich gütig” ist?

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / Juni 1938

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.