Die Beobachtung zeigt, daß viele Leute, wir selber oft eingeschlossen, geradezu die Gewohnheit haben zu glauben, daß ihre unharmonischen Zustände, ihr Mißgeschick, ihre Unglückseligkeit, sogar ihre Krankheit und ihre Sünde den Gedanken und Handlungen anderer Leute, der Umgebung oder den Umständen zuzuschreiben seien. Dies ist ein Fehler, der viel schlimmer ist, als gewöhnlich erkannt wird.
Wenn wir erkennen, daß wir durch unser Bewußtsein das Dasein gewahr werden, sehen wir auch, daß der äußerliche Zustand jedes einzelnen in großem Maße durch seinen Bewußtseinszustand bestimmt wird. Was wir in das Denken einlassen, was wir mental einladen oder beherbergen, erfahren wir. Laßt uns zur Veranschaulichung einen tatsächlichen Fall betrachten! Ein Buchhalter, der unter einem sehr widerwärtigen Vorgesetzten arbeitete, wurde krank und ließ sich zum erstenmal christlich-wissenschaftlich behandeln, was ihm mental und körperlich half. Als er nach acht oder vierzehn Tagen seine Arbeit wieder aufnahm, schien es ihm, daß sich sein Vorgesetzter sehr geändert hatte, ja ganz angenehm und zugänglich war. Als er diese Ansicht einigen anderen Arbeitern im Büro gegenüber äußerte, erwiderten sie nachdrücklich, daß nicht die geringste Veränderung stattgefunden habe — daß der Vorgesetzte so widerwärtig sei wie immer. Offenbar war also das, was der Buchhalter zu beobachten glaubte, eigentlich die Wirkung der im eigenen Bewußtsein eingetretenen Besserung, die dem neuen Licht zuzuschreiben war, das alles in seinem Denken mit einem Schimmer der Harmonie erleuchtete. Wir werden Harmonie in dem Maße erleben, wie wir unsern eigenen Sinn der Dinge berichtigen und „Christi Sinn” in uns haben.
Laßt uns zur weiteren Veranschaulichung dieses Gesichtspunkts annehmen, daß zwei Personen unter ähnlichen Umständen in einer fremden Stadt gestrandet seien. Ihre Erfahrungen werden ähnlicher Umstände halber oder weil sie sich an demselben Orte befinden, nicht unbedingt dieselben sein. Im Gegenteil, sie können infolge ihrer verschiedenen Mentalitäten weit voneinander abweichende Erfahrungen machen. So würden z. B. beide nicht denselben Erfolg haben, selbst wenn ihnen dieselben Gelegenheiten geboten würden. Äußere Unterschiede würden wegen ihrer verschiedenen mentalen Eigentümlichkeiten immer noch in Erscheinung treten und sich immer noch behaupten.
Persönliche Erfahrungen werden also in großem Maße sowohl von den aktiven als auch von den latenten mentalen und moralischen Eigenschaften eines Menschen beeinflußt. Und obgleich niemand für die scheinbare Tatsache seines materiellen Daseins verantwortlich gemacht werden kann, sind normale Menschen, wie die Christliche Wissenschaft lehrt, unstreitig für ihren mentalen Zustand und für die Annahmen, die sie beherbergen, verantwortlich.
Da unser Bewußtseinszustand dafür bestimmend ist, wie wir über unsere Erfahrungen denken, kann dadurch, daß wir andere Personen oder äußere Umstände verantwortlich machen, weder etwas gewonnen noch etwas gut gemacht werden. Wir brauchen zu unserer Besserung nur unser Denken zu ändern. Gerade wie „das Anerkennen deiner Sünde zur Zerstörung derselben beiträgt”, wie Mrs. Eddy lehrt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 461), so trägt das Anerkennen unserer Fehler zu deren Zerstörung bei. Andere verantwortlich machen, heißt die Frage nur umgehen und heilt nicht. Einen zu vernichtenden Irrtum erkennen und ihm entgegentreten, ist nicht alles, was gefordert wird; es ist nur ein notwendiger Vorbereitungsschritt zum Erlangen jenes geistigen Verständnisses, das von der Knechtschaft befreit. Das Licht der Christlichen Wissenschaft, das die Sterblichen den Erlösungsweg weist, deckt nicht nur auf, was sie an Irrtum im eigenen Denken sehen müssen, sondern zeigt ihnen auch, wie sie das, was aufgedeckt worden ist, „nicht sehen” oder aufgeben können. Jesu Zusammenfassung dieses ganzen Erleuchtungsbedürfnisses finden wir in seinem köstlichen Ausspruch: „Und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen”. Die Christliche Wissenschaft enthüllt diese Wahrheit; und ihre Anhänger ernten die verheißene Frucht der Freiheit in dem Maße, wie sie ihre berichtigende Unterweisung im Lichte der geoffenbarten wissenschaftlichen Wirklichkeit sehen und annehmen.
Daher ist es möglich und unumgänglich, daß jeder sich selber ein Gesetz werde, ein berichtigendes Gesetz rechten Handelns und rechten Denkens. Jeder kann die befreiende Wahrheit anwenden, die wir erkennen werden, wie der Meister sagte; und gerade hier wird die Christliche Wissenschaft, die göttliche Gabe für die Menschheit, begehrt und geschätzt. Diese verfügbare Wissenschaft, wie unsere Führerin sie im Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” niedergelegt hat, lehrt, daß „die göttliche Liebe den Menschen zurechtweist und regiert” (S. 6). Das göttliche Prinzip, die Liebe, widergespiegelt und gelebt, ist der berichtigende Führer, durch den jeder die Nichtsheit des Irrtums im Lichte der Wahrheit sehen kann, und der ihn befähigt, sein Bewußtsein nach dem vollkommenen Vorbild, der Christusidee, Schritt für Schritt zu berichtigen und zu verbessern.
Solch fortschreitende Berichtigung des Einzelbewußtseins durch tägliche Wachsamkeit, demütiges Gebet, Unterordnung jedes Gedankens unter den Gehorsam Christi wird schließlich jenes „wirkliche Bewußtsein aufrichten, daß „nur um die Dinge Gottes weiß”, wie die Christliche Wissenschaft lehrt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 276); und es gibt keine andere Gegenwart, da alles wirkliche Sein nur aus dem unendlichen Gemüt und seinen Ideen besteht.
