Wer im Frühsommer Bulgarien besucht hat, erinnert sich mit Entzücken seiner prächtigen Rosengärten. Meilenweit in jeder Richtung sind in einem gewissen Tale ausgedehnte Felder mit den erlesensten Rosen der Welt angepflanzt. Aus den ölhaltigen Blütenblättern wird köstliches Rosenöl — das berühmte bulgarische Parfüm — gewonnen. Damit nichts von ihrem köstlichen Duft verlorengehe, werden die Rosen bei Tagesanbruch, ehe sie sich zu öffnen beginnen, d. h. in früher Morgenstunde gepflückt, da es wichtig ist, daß „sie nicht gepflückt werden sollen, wenn die Sonne auf sie scheint”. Dann werden sie in eine Fabrik in der Nähe gebracht, wo sie an demselben Tage destilliert werden, „da das Öl an Feinheit verliert, wenn die Rosen auch nur 24 Stunden liegen bleiben”. So bewahrheiten die Rosenzüchter in dem bulgarischen „Rosental” bei ihrem Bemühen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, das alte Sprichwort: „Morgenstund hat Gold im Mund”.
Alle Christlichen Wissenschafter, die nach mehr Verständnis der Wahrheit und nach geistigem Fortschritt trachten, können auch die Weisheit dieses Sprichworts dartun. Denn in den frühen Morgenstunden suchen viele das unschätzbare geistige „Öl”, das Mary Baker Eddy auf Seite 592 des Lehrbuchs „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” ausgelegt hat als „Heiligung; Nächstenliebe; Milde; Gebet; himmlische Inspiration”. Ehe sie beginnen, den Forderungen des Tages gerecht zu werden, machen sie sich den wertvollen Inhalt der Lektionspredigt zu eigen, bitten sie um die Führung und den Schutz des göttlichen Gemüts und die Fähigkeit, ihm zu gehorchen. Sie beten um geistige Ideen — wirkliche Substanz.
Die Bauern pflücken nur den Bedarf an Rosen, der an einem Tage destilliert wird. Die Schüler der Christlichen Wissenschaft suchen jeden Tag neue Kraft für die Bedürfnisse des Tages. Sah Mary Baker Eddy zu diesem Zweck nicht das „tägliche Gebet” im Handbuch (Art. VIII, Abschn. 4) vor?
Und wie die fleißigen Rosenzüchter, die ihre Erzeugnisse unverzüglich destillieren, wenden wachsame Schüler der Christlichen Wissenschaft im täglichen Leben an, was sie aus ihrem Morgengebet gewonnen haben, indem sie wenigstens einigermaßen die köstliche Inspiration und den reinigenden Einfluß der Wahrheit, die erfrischenden Eigenschaften des Gemüts, die wertvollen Ideen des Geistes beweisen; und so finden sie, daß der Tag ihnen reichste Segnungen bringt.
Der Morgen ist immer als die schönste Zeit zu erwachen, sich zu erheben und hervorzugehen angesehen worden. Die Menschheit hat ihm immer liebliche Erneuerung, Erfrischung, neue Hoffnung und Zuversicht, neue Stärke, neuen Mut, neue Vision, neue Freude zugeschrieben. Dichter haben von jeher seine Gelegenheiten besungen. Diese menschlichen Morgeneindrücke weisen auf die wahre Idee des Morgens hin. Wie herrlich doch der geistig erkannte Sinn des Morgens sein muß! Die wissenschaftliche Bedeutung von „Morgen” nach der Auslegung unserer Führerin (Wissenschaft und Gesundheit, S. 591) lautet: „Licht; Sinnbild der Wahrheit; Offenbarung und Fortschritt”. Mit diesem geistigen Morgen verbunden ist das Erwachen, tätiges Abwerfen des Mesmerismus des sterblichen Gemüts, der Materie; mentales Sicherheben oder Emporsteigen; Vergeistigung des Denkens im Lichte geistigen Verständnisses; die Wahrheit geoffenbart.
„Des Morgens ist Freude” und: „Laß mich frühe hören deine Gnade”, sang der Psalmist. Hier sind zwei Eigenschaften Gottes in Verbindung mit dem Morgen erwähnt. Ja, dem horchenden Denken stehen alle bereichernden Eigenschaften des Gemüts zur Verfügung.
Wie ungemein wichtig es doch ist, daß unser Bewußtsein geistig aufgeweckt wird, genügend gehoben, uns für unsere Tagesarbeit vorzubereiten und Erfolg zu gewährleisten! Wir sollten auf die Stimme Gottes horchen, ehe wir uns auf den Weg machen, und willens sein, Seinen Geboten zu gehorchen, damit wir beweisen, daß wir mental wach und für unsere Aufgaben geistig vorbereitet sind. Was für Pflichten wir als Christliche Wissenschafter auch zu erfüllen haben mögen, oder wie groß auch die Probleme sein mögen, die an uns heranzutreten scheinen — wenn wir uns geistig ausrüsten und dann zuversichtlich in der Gewißheit hervorgehen, daß Gott uns den Tag hindurch leitet, schützt und erhält, haben wir das Recht zu erwarten, daß unsere geistigen Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden.
Aus Bibelstellen ersehen wir, daß Christus Jesus früh am Morgen in dem war, das seines Vaters war — daß er in den Schulen, am Meer, auf den Bergen lehrte. Es war Morgen am Meer Tiberias, als Jesus seinen Jüngern nach einer Nacht erfolglosen Bemühens zurief: „Werfet das Netz zur Rechten des Schiffs”. Zweifellos erkannten die Jünger, daß es nicht nur nötig war, sein Gebot äußerlich zu befolgen, sondern daß sie auch ihr Denken zu ändern hatten; denn wir lesen: Sie „konnten’s nicht mehr ziehen vor der Menge der Fische”.
Der Erlöser hatte sich an jenem denkwürdigen Ostermorgen zu beispiellosen Höhen des Verständnisses erhoben, ehe er aus dem Grabe hervorkam. Und zweifellos mußte sich Maria auf ihrem Gang zum Grabe im Denken geistig erheben, ehe das Licht der Wahrheit für sie genügend dämmerte und sie befähigte, den auferstandenen Herrn zu erkennen.
Jesus zog sich häufig zurück, um sich geistig zu erfrischen; und in „Miscellaneous Writings” (S. 133) bekennt Mrs. Eddy, daß sie sich dreimal des Tages zurückzog, um göttliche Führung zu suchen. Ebenso werden wir als ihre aufrichtigen Schüler finden, daß häufige liebliche Pausen stiller Gemeinschaft mit Gott von großem Nutzen sind.
Benjamin Franklin sagte: „Wer spät aufsteht, muß sich den ganzen Tag tummeln”. Wer morgens früh auf ist, hat ruhig Gelegenheit, das Licht des Guten zu empfangen und wird finden, daß er durch größere Ruhe, Geduld und Harmonie mehr leisten kann. Empfänglichkeit für das Gute und dessen Entfaltung ist in der Christlichen Wissenschaft nicht auf die Morgenstunden beschränkt. Ja, „die göttliche Liebe gibt der ganzen Menschheit und zu jeder Stunde alles Gute” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 494).
Möchte man sich jeden Tag geistig gewinnbringender gestalten, so kann man die frühen Stunden des Tages gewissenhafter ausnützen, um die Wahrheiten des Seins zu suchen und zu erlangen. Dann kann man unter der Führung des göttlichen Willens freudig hervorgehen und die Wahrheit mit Macht beweisen. Wer dies tut, bewahrheitet den geistigen Morgen, der in der beachtenswerten Erklärung des Propheten Jesaja so schön geschildert ist: „Mache dich auf, werde licht! denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir”.
