Gerechtes Gebet wird immer erhört; denn es erkennt, daß nur das Gute im göttlichen Gemüt besteht, und anerkennt dieses Gute als geistig und wirklich und durch den Menschen und das Weltall auf ewig ausgedrückt. Alles Gute, das sich die Menschen je wünschen können, ist jetzt, war immer und wird immer im göttlichen Gemüt, in Gott, sein und gehört durch Widerspiegelung dem Menschen. In Wirklichkeit besteht also das Gute, worum wir beten, ewig im Höchsten Wesen und wird ewig in Seinem geistigen Weltall und Seinem vollkommenen Menschen bekundet. Diese wahre Ansicht von Gebet und von der ewigen Erhörung ermöglicht ein klares Verständnis jener wunderbaren göttlichen Verheißung, die dem Propheten Jesaja gegeben wurde: „Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören”.
Die Christliche Wissenschaft enthüllt der Menschheit das wahre Wesen des Gebets. Sie lehrt, daß wissenschaftliches Gebet auf einem richtigen Verständnis Gottes und des Menschen beruht. Wer recht beten will, muß Gott suchen und finden. Er muß die Wahrheit nicht nur über Gottes Wesen und Eigenschaften, sondern auch über Seine vollkommenen Ideen verstehen lernen. Indem der geistiggesinnte Schüler nach diesem Verständnis trachtet, bittet er zuerst um das, was nach seiner Ansicht Gott hat und will, daß er haben soll; und wenn er dann Gott findet und verstehen lernt, daß der Mensch Gott widerspiegelt, erkennt er die geistige Tatsache, daß er in Wirklichkeit das, worum er gebetet hat, schon hat. Die Bitte ist zur Bejahung geworden; denn das höchste Gebet ist Erkenntnis des Guten, das die Gottheit in allen ihren Ideen ewig ausdrückt. Wer richtig betet, erkennt, daß sein wahres Selbst immer das geistig Gute, wonach er verlangt, widerspiegelt. Daher wird das, was gut ist, in seiner täglichen Erfahrung und in seinen Angelegenheiten offenbar. Er drückt die Tätigkeit, die Wachsamkeit und die Intelligenz des göttlichen Gemüts aus und empfängt daher Schutz, Führung und Versorgung. In dem Verhältnis, wie er das Leben, die Wahrheit und die Liebe widerspiegelt, wird alles, was dieser Dreiheit des Guten entgegengesetzt ist, aus seiner Erfahrung ausgeschlossen.
Auf der ersten Seite in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” schreibt Mary Baker Eddy: „Das Gebet, das die Sünder umwandelt und die Kranken heilt, ist ein absoluter Glaube, daß bei Gott alle Dinge möglich sind — ein geistiges Verständnis von Ihm, eine selbstlose Liebe”. Hier haben wir drei aufeinanderfolgende Stufen im geistigen Denken: Glauben, Verständnis und Liebe. Diese bilden das wahre Gebet und führen zu dem Einssein mit Gott, das Gesundheit, Heiligkeit und Unsterblichkeit in unsere gegenwärtige Erfahrung bringt. Glaube, Verständnis und Liebe — selbstlose Liebe! Diese Stufen geistiger Entwicklung sind fortschreitend. Der Glaube stellt den Anfang des Verständnisses des Gebets, selbstlose Liebe seine höchste Erreichung dar.
Ein einfaches, kindliches Vertrauen auf den Vater —„ein absoluter Glaube, daß bei Gott alle Dinge möglich sind”— könnte als der wichtigste Teil des Gebets bezeichnet werden, den Jesus von denen forderte, die er heilte. Der Meister lobte den Glauben, den er bei denen fand, die ihn um Heilung baten; und er stellte ihren Glauben oft auf die Probe, indem er gebieterisch auf Gehorsam gegen eine Aufforderung bestand. Er sagte: „Strecke deine Hand aus”, oder: „Hebe dein Bett auf und gehe heim”, oder: „Gehe hin zu dem Teich Siloah”. Kamen sie dann der Aufforderung nach, so erlöste er sie von ihren Nöten. Gehorsam ist ein Zeichen erhabenen, erwartungsvollen Glaubens im Bewußtsein dessen, der für eine Christusheilung bereit ist. Ein solcher Glaube ist ein wichtiger Teil wahren Gebets.
Es ist jedoch mehr als dies nötig, wenn man sich und andere heilen will. Der Glaube muß zu „einem geistigen Verständnis von Ihm” heranwachsen, von dem alles Gute kommt. Ein Schüler mag gewisse Rechenvorgänge, die er einen einer höheren Klasse angehörigen älteren Bruder hat beweisen sehen, glauben, und dieser Bruder kann ihm einige seiner Rechenaufgaben gelöst haben. Trotzdem muß der Schüler diese Regeln selber verstehen, ehe er sie zur Lösung seiner eigenen oder anderer Aufgaben anwenden kann.
Ebenso ist ein Verständnis des göttlichen Prinzips des Seins nötig, wenn man seine Probleme durch geistige Mittel lösen will. Wenn der Glaube eins wird mit dem wissenschaftlichen Verständnis, daß Gott das All in allem ist, und wenn erkannt wird, daß Gottes Allerhabenheit und Allheit die Ohnmacht und Nichtsheit des Bösen bedeuten, dann nähert sich die Gemeinschaft mit Gott jener geistigen Höhe, von wo sie göttliche Hilfe empfängt. Alle, die christliche Werke tun wollen, müssen noch einen dritten Schritt machen —„selbstlose Liebe” ausdrücken. Ohne eine solche Liebe, wie unser Erlöser sie verwirklichte und erzeigte, ist unbedingter Glaube und geistiges Verständnis unmöglich. „Absoluter Glaube ... geistiges Verständnis ... selbstlose Liebe”— diese drei bilden das wissenschaftliche Gebet.
Die Bibel enthält viele Beispiele der Gebetserhörung. Die heiligen Absichten und andachtsvollen Gedanken Mose’s befähigten ihn, die Kinder Israel durch das Rote Meer und ins gelobte Land zu führen. Elisa besaß den geistigen Blick, der ihn befähigte, Mangel zu überwinden, den Aussätzigen zu heilen und Tote aufzuwecken. Daniel und die drei hebräischen Gefangenen wurden aus der Löwengrube und aus dem feurigen Ofen errettet, weil sie sich weigerten, Götzen anzubeten, und weil sie beständig zu Gott beteten. Diese gottesfürchtigen Männer hatten die geistige Wirklichkeit erkannt und beansprucht. Daher bewiesen sie, daß das Sinnenzeugnis unwirklich ist; und Gesundheit, Versorgung, Führung und Schutz kamen in ihre menschliche Erfahrung.
Christus Jesus besaß eine umfassendere Erkenntnis des göttlichen Wesens und Seiner unendlichen Gegenwart und Macht als alle anderen. Seine Gebete waren „tiefe und gewissenhafte Bezeugungen der Wahrheit — Bezeugungen von des Menschen Gleichheit mit Gott und von des Menschen Einheit mit Wahrheit und Liebe” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 12). Jesus machte viele Kranke und Leidtragende gesund und glücklich, weil er die Gegenwart und Macht der Wahrheit verwirklichte. Er vergab der Ehebrecherin und erhob ihr Denken über die Sünde, weil er die Heiligkeit und die Reinheit der göttlichen Liebe kannte. Er gab den Blinden das Gesicht und den Tauben das Gehör, weil er wußte, daß die Sinne der Seele geistig und unsterblich sind. Da er verstand, daß das Gemüt Substanz ist, speiste er das Volk, als der materielle Sinn sagte, daß der vorhandene Vorrat auf fünf Brote und zwei Fische beschränkt sei; und es blieben mehrere Körbe voll übrig. Die Allheit des Geistes und die Nichtsheit der Materie und ihre sogenannten Gesetze erkennend, ging er auf dem Wasser und stillte den Sturm. Da er wußte, daß das Leben Gott ist, und daß der Mensch es unaufhörlich widerspiegelt und ausdrückt, überwand er den Tod für andere und für sich.
Einen Beweis, daß Jesus das Gebet vollkommen verstand, finden wir in einem Fall, der im 11. Kapitel des Evangeliums des Johannes berichtet ist. Unmittelbar vor der Auferweckung des Lazarus „hob Jesus”, wie wir lesen, „seine Augen auf und sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast. Doch ich weiß, daß du mich allezeit hörst; aber um des Volks willen, das umhersteht, sage ich’s, daß sie glauben, du habest mich gesandt”. Was für ein Glaube, was für ein geistiges Verständnis und was für eine selbstlose Liebe in jenem kurzen und einfachen Gebet ausgedrückt sind! Jesus behauptete, daß Gott ihn erhört hatte, und er dankte für die Gebetserhörung, obgleich der Beweis der Auferstehung seines Freundes noch nicht sichtbar war. Jesus wußte, daß Gott ihn erhört hatte, weil er die geistige Wirklichkeit verstand. Für das Bewußtsein, das Gott als das göttliche, unsterbliche und einzige Leben sah, war das Leben wirklich und die materielle Bekundung des Todes nichts. Für Jesus war der Tod unwirklich; und Lazarus, von dem er wußte, daß er lebte, hörte und befolgte den christlichen Befehl: „Komm heraus”!
Der große geistige Lehrer hatte seinen Jüngern gesagt, daß sie die Werke tun würden, die er tat — ja sogar noch größere. Seine Lehren, seine Gebete und seine Heilungswerke wiesen ihnen den Weg. Er gab ihnen das Gebet, das in der ganzen Christenheit als das Gebet des Herrn bekannt ist, und das mit majestätischer Kraft und Klarheit die gegenwärtige und ewige Wirklichkeit der Gegenwart und Macht Gottes offenbart. Die darin enthaltenen Erklärungen und Bitten lassen die Allgegenwart des Guten erkennen. Es enthält die Bitte um Versorgung mit dem täglichen Brot, um Vergebung der Sünden und um rechte Führung. Unsere Führerin hat diese Wahrheit durch ihre geistige Auslegung dieses größten Gebets sehr klar gemacht. Gott ist darin als unser Vater-Mutter und wir sind als Seine Kinder anerkannt, die jetzt im Reiche immerwährender Harmonie weilen. Wir sehen, daß sein Reich hier und jetzt gegenwärtig ist — als gegenwärtige und ewige Wirklichkeit feststeht. Sein Wille ist geschehen; Sein Reich ist gekommen; Seine Kraft und Seine Herrlichkeit werden immerdar ausgedrückt. Durch das ganze Gebet hindurch werden geistige Wirklichkeiten für gegenwärtige Tatsachen erklärt.
Christus Jesus als unsern Beispielgeber annehmen, beten, wie er uns beten lehrte, heißt das geistige Bewußtsein erlangen, das er besaß; denn der materielle Sinn kann weder Gott noch Sein Gleichnis sehen. Nur der geistige Sinn kann es. Paulus sprach von der materiellen Wahrnehmung, als er den Korinthern sagte: „Wie geschrieben steht: Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die ihn lieben”. Unmittelbar darauf sprach er von geistiger Wahrnehmung mit den Worten: „Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist”. Ferner sagte er: „Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist”.
Wir müssen den geistigen Sinn Pflegen, der das, was zu fein scheint, verwirft, und das annimmt, was wirklich ist. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß der Mensch durch Widerspiegelung alles besitzt, was Gott gehört, und sonst nichts. Wissenschaftliches Gebet anerkennt und verwirklicht diese Wahrheit. Es bejaht die Wahrheit und verneint den Irrtum; es bejaht die Liebe und verneint den Haß; es bejaht das Leben und verneint den Tod. Es erklärt die Allheit des Geistes und die Nichtsheit der Materie. Es legt „den alten Menschen mit seinen Werken” ab und zieht „den neuen” in Christus an. Ein solches Gebet bringt eine gewisse Umwandlung, selbst wenn sie sich allmählich vollzieht. In dem Verhältnis, wie das menschliche Bewußtsein das, was wirklich ist, erkennt und annimmt, tritt die Erhörung des gerechten Gebets in Erscheinung.
Ein echter Christlicher Wissenschafter hat nicht das Verlangen, den Willen Gottes zu ändern, sondern er will diesen Willen erkennen und damit übereinstimmen. Er will die Wirklichkeit von allem, was von Gott ist, und die Unwirklichkeit alles andern sehen. Er ist bestrebt zu erkennen, daß er schon alles besitzt, was im göttlichen Gemüt ist, und daß er daher jetzt mit Leben, Gesundheit, Liebe, Frieden, Versorgung, Reinheit und Geistigkeit reichlich versehen ist.
