Es ist nicht anzunehmen, daß Jesus das Geben von Geld oder von materiellen Dingen meinte, als er sagte: „Gebet, so wird euch gegeben”. Da er gerade vorher seine Zuhörer ermahnt hatte, ihre Feinde zu lieben, barmherzig zu sein und nicht zu richten, ist es sehr wahrscheinlich, daß er das Geben freundlicher, guter und hilfreicher Gedanken meinte. Und obgleich der Meister in diesem Falle fortfuhr: „Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüßig Maß wird man in euren Schoß geben”, ist nicht anzunehmen, daß er seine Jünger lehrte, nur in Erwartung einer Belohnung zu geben.
Entschädigung ist von selbstlosem Geben unzertrennlich; aber die Hoffnung auf Belohnung ist nicht der wahre Antrieb. Ja, der wahre Geist des Gebens treibt einen an, Zeit und Dienst bereitwillig zu geben, ohne an Bezahlung in gleicher Münze oder sonstwie zu denken. Solches Geben hat zwar oft Vergütung — sogar Entschädigung — zur Folge; aber der wahre Beweggrund des Gebens ist nicht das Verlangen nach Bezahlung.
Einmal — es war als Jesus seine Jünger aussandte — gebot er ihnen: „Macht die Kranken gesund, reinigt die Aussätzigen, weckt die Toten auf, treibt die Teufel aus. Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch”. Dennoch fuhr er fort: „Ihr sollt nicht Gold noch Silber noch Erz in euren Gürteln haben. ... Denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert”. Daraus geht hervor, das; Jesus trotz seiner Erwartung, daß seine Schüler bereitwillig von ihrem geistigen Reichtum geben sollten, das Gesetz der Vergütung als gerechtes Gesetz anerkannte.
Das Wichtige, was Christliche Wissenschafter wissen müssen, ist, daß ihr Beweggrund sein sollte, anderen ihrer Fähigkeit entsprechend bereitwillig zu geben, und daß sie Gott, das göttliche Gemüt, als die Quelle ihrer Erleuchtung und ihrer Bereitwilligkeit und Fähigkeit zu geben anerkennen. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, schreibt auf Seite 454 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift”: „Liebe zu Gott und den Menschen ist der wahre Ansporn zum Heilen, wie zum Lehren. Liebe inspiriert, erleuchtet, bestimmt und führt den Weg. Rechte Motive geben dem Gedanken Schwingen und der Rede und Handlung Stärke und Freiheit”.
Ob das Geben eines Christlichen Wissenschafters in Behandlung oder Unterricht besteht, stets sollte sein Beweggrund sein, zu helfen und zu heilen. Sein Antrieb sollte „Liebe zu Gott und den Menschen” sein, und er sollte nichts anderes wünschen als zu segnen. Mit solchen Beweggründen und solchem Antrieb wird er durch sein Verständnis der Allmacht des Guten und der daraus folgenden Ohnmacht des Bösen fähig sein zu geben, was seinen Mitmenschen am meisten hilft, was materiell beurteilt nicht recht gemessen werden kann.
In der Apostelgeschichte lesen wir, daß Petrus und Johannes um die Stunde des Gebets vor dem Tempel einen Mann antrafen, der von Geburt an lahm war. Dieser Mann bat um ein Almosen; aber er erhielt etwas viel Besseres — seine Heilung. Nach der biblischen Geschichte sagte Petrus zu dem Mann: „Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und wandle!” So empfing der Bettler an der Tür des Tempels — als er nur Geld zu bekommen hoffte — durch Petri Verständnis der heilenden Kraft des Christus etwas, was mit Geld überhaupt nicht zu erkaufen war, nämlich seine Befreiung von angeborener Lahmheit.
Mrs. Eddy begann, nachdem sie selber durch die göttliche Kraft geheilt worden war, sofort das selbstlose Werk, andere zu heilen. Ihre Liebe zur Menschheit trieb sie an, andere von der Knechtschaft der Sünde und der Krankheit durch ihr neuentdecktes Verständnis, daß der Christus, die Wahrheit, heute ebenso wie zur Zeit Jesu heilt, zu befreien. Viele wurden durch ihr beweisbares Verständnis der göttlichen Kraft —„ohne Geld und umsonst”— augenblicklich geheilt. Später sah sie die Weisheit und die menschliche Notwendigkeit, für das christlich-wissenschaftliche Ausüben und Lehren einen Preis festzusetzen; aber ihr Beweggrund war in erster Linie, der Menschheit zu helfen. Zur geeigneten Zeit gab sie der Welt ein unschätzbares Geschenk: das christlich-wissenschaftliche Lehrbuch, worin sie die Wissenschaft des Heilens durch das göttliche Gemüt ausführlich darlegte.
Unsere liebe Führerin, von dem Wunsche beseelt, anderen zu helfen, kam natürlich unter das Gesetz der göttlichen Liebe und erntete unvermeidlich den Lohn der unparteiischen Güte und Wohltat der Liebe. In allem, was sie dachte und tat, bekundete sie Liebe zur Menschheit. Sie hatte keinen andern Beweggrund als andere so zu segnen, wie sie gesegnet worden war.
Natürlich sind das Geben von Behandlung und das Geben von Unterricht in der Christlichen Wissenschaft nicht die einzigen Mittel, wodurch die Christlichen Wissenschafter andere segnen können. Die tägliche Erfahrung bietet uns allen ohne Ausnahme zahlreiche Gelegenheiten, Freundlichkeit, Milde, Nachsicht, Liebenswürdigkeit und Rücksichtnahme uneingeschränkt zu geben. Es braucht uns daher nie an Gelegenheit zu fehlen, unseren Familienangehörigen, unseren Geschäftsteilhabern und Mitarbeitern die liebevollen Gedanken und Worte zu geben, die bei ihrem Bemühen, sich von den Bedrängungen des Bösen zu befreien, viel bedeuten können. Und unser Geben muß sich nicht, ja kann sich nicht auf diejenigen beschränken, mit denen wir persönlich in Berührung kommen; denn unser rechtes Denken, das auf das Verständnis der Allheit und Allgegenwart der göttlichen Liebe gegründet ist, ist in seiner Wirkung allumfassend. Es hilft alle Menschen überall von Sünde und Krankheit, von Furcht und Haß entlasten.
Während gesagt werden kann, daß sich das Vorstehende hauptsächlich auf einen relativen, menschlichen Sinn des Daseins bezieht, hat es dennoch seine Grundlage im Absoluten und Göttlichen. Niemand kann geben ohne zuerst empfangen zu haben; und es gibt keine andere Quelle, aus der man das wahrhaft Gute und wirklich Hilfreiche empfangen kann, als das göttliche Gemüt. Das göttliche Gemüt, Gott, als die Quelle unserer Intelligenz, Erleuchtung und Fähigkeit anerkennen, heißt erkennen, daß Er es ist, der „in [uns] wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen”. Und es ist der Wille, die Absicht und das Wohlgefallen Gottes, der göttlichen Liebe, daß wir jene göttlichen Eigenschaften und Merkmale, die Sein Wesen ausdrücken, unermeßlich empfangen und unbegrenzt mit anderen teilen.
