In dem Versuche, Verfahren zur Linderung einiger Schwierigkeiten und Probleme von Männern und Frauen vorgerückten Alters zu ersinnen, ist das menschliche Gemüt in letzter Zeit außerordentlich tätig gewesen. Ja, wenn einige der Pläne für die sogenannte Altersversicherung verwirklicht werden sollten, würde das Erreichen des Alters für den Rücktritt von aller menschlichen Tätigkeit ein überaus erstrebenswertes Ziel für die Sterblichen zu sein scheinen.
Wie gern doch die Menschen im Drang und Lärm des Alltagsgetriebs einen sehnsüchtigen Blick nach jenem glücklichen Tage werfen, wo die Arbeit aufhören wird und die wohlverdiente Ruhe und der Feierabend beginnen! Und doch hat die Erfahrung immer wieder gezeigt, daß der Ruhestand, wenn er kommt, nicht die erwartete Zufriedenheit und Befreiung bringt. Das an Tätigkeit, Dienst und ein gewisses Maß des Selbstvergessens gewöhnte Denken gewöhnt sich nicht immer leicht an Untätigkeit und Zeit für vermehrtes Nachdenken über das sterbliche Selbst, dessen Launen und Wünsche.
Der Rücktritt von der gewohnten Arbeit und Tätigkeit kann sich daher, selbst wenn er von einer gewissen Linderung des finanziellen Drucks begleitet ist, als ein Problem erweisen, mit dem vorher nicht gerechnet worden ist. Und was ist die Lösung? Denn eine Lösung muß doch gefunden werden, wenn die Taufende von Männern und Frauen, die mit Ruhegehältern, Zinsen oder Renten in den Ruhestand treten, einigermaßen Gemütsruhe, Glück oder Nützlichkeit erfahren sollen.
Hier sind die Lehren der Christlichen Wissenschaft von unschätzbarem Wert. Wenn der Wissenschafter verstehen lernt, daß Gott das alltätige Gemüt ist, und daß der Mensch das Bild oder der Ausdruck dieser unendlichen Intelligenz ist, wird es ihm bald klar, daß der Ruhestand, wenn damit das Aufhören rechtmäßiger Tätigkeit gemeint ist, dein Gemüt oder Seiner Idee, dem Menschen, unbekannt ist. Der Christliche Wissenschafter wird gelehrt, daß Leben, das das Leben widerspiegelt, die ewige Entfaltung des Guten ist. Anstatt also in vorgerücktem Alter in Nutzlosigkeit und Verfall zu versinken, sollten rechtdenkende Männer und Frauen in dem Maße, wie sich ihre menschliche Erfahrung ausdehnt, mehr Weisheit, Scharfblick und gesunde Tätigkeit bekunden. Des Menschen Daseinsgrund ist, für die Tatsache zu zeugen, daß Intelligenz ist, daß die Liebe ist, daß das Prinzip ist. Kann es ein Sichzurückziehen von diesem herrlichen Geschäft des Zeugens geben?
„Ohne Sein Ebenbild lind Gleichnis würde Gott ein Unding oder ein unausgedrücktes Gemüt sein. Er würde ohne Zeuge oder Beweis Seines eigenen Wesens sein”, schreibt Mary Baker Eddy, die inspirierte Verfasserin von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 303). Eine der ersten und freudigsten Wahrheiten, die der Christliche Wissenschafter wahrnimmt, ist also die Tatsache, daß der Mensch eine ewige Beschäftigung und einen ewigen Zweck hat, nämlich, das Ausdrücken oder Widerspiegeln des Gemüts, das Zeugen für die leuchtende, heilende Wahrheit und die immer tätige erlösende Liebe. Nichts kann ihn dieser gottverordneten Tätigkeit berauben. Er kann sich nicht davon zurückziehen, noch kann er ihr immer weniger Zeit widmen. Seitdem „die Morgensterne miteinander lobten und alle Kinder Gottes jauchzten”, hat der Mensch als Widerspiegelung bestanden, und er wird in alle Ewigkeit auf dem Standpunkt der Widerspiegelung fortbestehen. In alle Ewigkeit wird er als der Ausdruck des allmächtigen Guten und der allmächtigen Intelligenz fortbestehen und weiterscheinen, d.h. immer die unermüdliche Tatkraft der göttlichen Liebe bekunden.
Hier kann sich die Frage erheben: Aber wie können diese metaphysischen Wahrheiten die Probleme der menschlichen Tätigkeit beeinflussen? Wie verhält es sich mit dem Menschen, der das sogenannte Pensionsalter erreicht hat und seine Arbeit aufgeben muß? Wie kann ihm die Tatsache helfen, daß der geistige Mensch Gottes Widerspiegelung oder Zeuge ist? Der Christliche Wissenschafter ist bestrebt, eingedenk zu sein, daß er in seines Vaters Geschäft ist, gleichviel, ob seine menschliche Arbeit das Kartoffelgraben, die Leitung einer Bank oder die Tätigkeit eines christlich-wissenschaftlichen Ausübers ist. Sein Geschäft ist, das göttliche Prinzip, die Liebe, die göttliche Intelligenz gerade dort, wo er sich menschlich befindet, in rechter Tätigkeit, Harmonie und Liebe widerzuspiegeln. Wenn eine Form menschlicher Tätigkeit aufhört, weiß er, daß in seines Vaters Hause viele Wohnungen sind—viele Gelegenheiten zu dienen, viele Wege zur Tätigkeit. Daher wartet schon ein neues Vorrecht, das Gemüt widerzuspiegeln, nur darauf, daß es sich ihm enthüllen kann. Wenn er also infolge eines menschlichen Gesetzes oder einer menschlichen Verordnung eine besondere Tätigkeit aufgeben muß, erwartet er demütig und vertrauensvoll die nächste Entfaltung, da er weiß, daß in seinem wirklichen Geschäft, Gott widerzuspiegeln, nichts geschehen ist. Dieses ändert sich nicht. Er ist und bleibt immer in dem Geschäft des Zeugens für die Wahrheit. Mit den Männern Gottes des Altertums kann er sagen: „Hier bin ich”, und dann zuversichtlich erwarten, daß ihn der Vater führt, erhält und zu Seinem Ruhme gebraucht.
Flüstert einem der fleischliche Sinn ein, daß das Alter die Möglichkeit, eine neue Tätigkeit zu finden, ausschließe, so kann man zu seiner Ermutigung an Männer wie Mose denken, der im Alter von 80 Jahren sein großes Lebenswerk begann und es bis zu seinem 120. Jahre fortsetzte. „Seine Augen waren” zu dieser Zeit, wie von ihm berichtet ist, „nicht dunkel geworden, und seine Kraft war nicht verfallen”. Es kann einer auch Inspiration in dem Gedanken finden, daß Mrs. Eddy in mittlerem Alter, vor ihrer Entdeckung und Gründung der Christlichen Wissenschaft, bei einem Unfall vermeintlich tödlich verletzt wurde, aber ihre menschliche Lebenszeit durch ihr mächtiges geistiges Verständnis um fast ein halbes Jahrhundert verlängerte und während dieser Zeit ein großes Werk vollbrachte und ihre vielen wunderbaren Schriften schrieb.
Die einzige Zurückgezogenheit, die Mrs. Eddy suchte, war eine Zurückziehung von gewissen menschlichen Berührungen und Verantwortlichkeiten, damit sie, um ihre Worte in „The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany” (S. 117) zu gebrauchen, „Zeit und Abgeschiedenheit” finden konnte, „den unendlichen Aufstieg—das Erfassen der göttlichen Ordnung und des göttlichen Bewußtseins in der Wissenschaft—weiter zu verfolgen”. Und dies ist in der Tat der einzige Ruhestand, dem der wachsame Wissenschafter entgegensehen sollte. Sollte er nicht dankbar sein, daß sich weder Mose, der Führer der Israeliten vor Jahrhunderten, noch Mrs. Eddy, die Führerin der heutigen großen christlich-wissenschaftlichen Bewegung, im Alter von 70 Jahren vom tätigen Dienen zurückzog? Können wir in solchen Vorbildern nicht viel finden, was in uns den Entschluß wachruft, keinen trägen Frieden zu suchen, noch auch nur einen Augenblick auf die Einflüsterung zu hören, uns von heilsamem christlichen Wirken zurückzuziehen? Verleiht unsere Führerin nicht dem Gedanken ununterbrochener Tätigkeit des Wissenschafters Ausdruck, wenn sie erklärt, daß sich z.B. die Leser nach dreijährigem Dienst zu höherer Nützlichkeit zurückziehen sollen? (vgl. Miscellany, S. 250).
Wenn nun unsere täglichen Bedürfnisse durch ein Ruhegehalt, durch Ersparnisse, Geldanlagen oder Unterstützung gedeckt werden, sollten wir es dann nicht umso mehr als unser Vorrecht ansehen, Zeit und Tatkraft dem zu widmen, was Mrs. Eddy die heiligste Sache nennt? Wahrlich, die Felder sind weiß zur Ernte. Die Menschenfamilie bedarf dringend des Verständnisses Gottes und Seines errettenden Gesetzes. Und wie zur Zeit des Meisters sind auch heute allzuwenig Arbeiter vorhanden. Alle, die den Namen Christliche Wissenschaft im Munde führen, sollten nicht zögern, sich von unnützen Dingen und Gedanken zurückzuziehen und in die Freude ihres Herrn einzugehen, in die Freude und die Befriedigung christlichen Dienens, die Freude christlichen Heilens und der Verbreitung der herrlichen Botschaft gegenwärtiger Erlösung. Dies braucht nicht unbedingt zu bedeuten, daß man ein öffentlicher Ausüber der Christlichen Wissenschaft werden soll; aber gewiß bedeutet es, daß es für alle Wissenschafter hohe Zeit ist, überall, wo sie sich befinden mögen, ausübende Christliche Wissenschafter zu werden.
Die Welt braucht christlich-wissenschaftliche Ausüber mehr als je zuvor in der Werkstatt, auf dem Felde, im Heim, in der Schule, im Büro des Geschäftsleiters, im Lokomotivführerstand und am Steuerrad des Kraftwagens. In diesem großen Heer rechter Denker gibt es keine Versetzung in den Ruhestand, keine Verminderung gerechter Tätigkeit und keinen Mangel an Kraft aus der Höhe, in Seinem Dienste weiterzuarbeiten. Daher sollten diejenigen, die sich zurückziehen, um „den unendlichen Aufstieg zu verfolgen”, eine neue Lebensfrist, wie es gewöhnlich genannt wird, erwarten und beanspruche. Die Langlebigkeit sollte zunehmen.
Anstatt ihre Nützlichkeit zu verlieren, sollten diejenigen, die des Tages Last und Hitze getragen und durch Anfechtungen, Prüfungszeiten und Siege Weisheit gelernt haben, größere Nützlichkeit und Gelegenheiten zu dienen finden. Verfall steht nicht im Einklang mit Gottes Gesetz. Das sogenannte Alter sollte nicht in Häßlichkeit verfallen, sondern im Licht und im Glück geistiger Entfaltung erglühen. Menschliches Gesetz und menschliche Verordnung können Altersgrenzen und Ruhestand vorschreiben; aber die Stimme der Wahrheit, die durch die Heilige Schrift spricht, hebt unser Bewußtsein zu neuen Höhen empor in dem herrlichen Ausblick: „Die Zeit deines Lebens wird aufgehen wie der Mittag, und das Finstere wird ein lichter Morgen werden”. Und die Offenbarer der Wahrheit in unserer Zeit, Mrs. Eddy, schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 246): „Wäre es nicht wegen des Irrtums, der alles Gute und Schöne abmißt und begrenzt, der Mensch würde mehr als siebzig Jahre genießen und dabei feine Kraft, seine Frische und Verheißung bewahren. Der Mensch, der vom unsterblichen Gemüt regiert wird, ist immer schön und groß. Jedes kommende Jahr bringt Weisheit, Schönheit und Heiligkeit zur Entfaltung”.
Möge so die ganze Menschenfamilie den wirklichen Ruhestand verstehen und genießen lernen, den Rücktritt von dein Reiche des unharmonischen materiellen Sinnenzeugnisses in den seligen Hafen der Seele—das harmonische, todlose, geistige Bewußtsein—wo sie „den unendlichen Aufstieg” auf den Berg der Verklärung und der geistigen Vollkommenheit „weiter verfolgen” kann!