Das Leben der Jugend von heute sowohl in der Schule als auch außerhalb der Schule ist ein buntes Bild von Nachrichten über das Gewinnen mannigfaltiger Wettkämpfe. Meisterschaften einzelner oder ganzer Gruppen scheinen die Hauptsache zu sein. Es kann ein athletischer oder forensischer Gruppensieg oder eine Einzelleistung sein. Und diese menschlich vorgeschriebenen Ziele beschäftigen das Denken so sehr, daß es gar nicht zu verwundern ist, daß große geistige Ziele der Jugend oft unwichtig erscheinen.
Ein Realschüler kam eines Abends in einer Stimmung nach Hause, die gar nicht zu der dort herrschenden Harmonie paßte. Er war aufgeregt und schlecht gelaunt. Seine Mutter, eine weise Christliche Wissenschafterin, richtete liebevoll Fragen an ihn. Obgleich er gewohnt war, sich seiner Mutter anzuvertrauen, wollte er es diesmal nicht tun. Aber schließlich sagte er ihr, er habe das Gefühl, daß er erfolglos sei. Jetzt gehe er schon das dritte Jahr in die Realschule, sagte er, und habe noch in keiner Tätigkeit eine Meisterschaft gewonnen; auch habe keine Mannschaft, zu der er gehörte, eine Meisterschaft gewonnen. Er habe keine Denkmünzen, keine Zeitungsberichte über seine Leistungen und stehe daher in keinem besonderen Ansehen bei seinen Mitschülern.
Die Mutter hörte nachdenklich zu. Sie wußte, daß ihr Sohn nur äußerte, was sehr viele junge Leute heutzutage empfinden, die durch den Zauber glänzender Denkmünzen und durch viel Lob für wirkliche Werte blind geworden sind. Sie wußte auch, daß nicht alle Meisterschaften durch rühmliche Eigenschaften gewonnen werden. Dankbar dachte sie daran, wie sie gemeinsam gegen so böse Feinde wie Leidenschaftlichkeit, Unehrlichkeit und Unmäßigkeit gekämpft und durch die Hilfe der Christlichen Wissenschaft darüber gesiegt hatten.
Schließlich sagte sie: „Du bist nicht erfolglos, mein Sohn; du bist in vielen Dingen ein Meister. Bedenke bloß, was wirklicher Sieg bedeutet! Ich kann mich einiger Kämpfe erinnern, die du — hier zu Hause — gewonnen hast, die für deine Zukunft wichtiger sind als alle in der Schule je verliehenen Denkmünzen. Denke z.B. an den Kampf, den du als kleiner Junge mit dem alten „Starken”—dem Zorn — hattest, und wieviel es für dich bedeutete, ihn zu besiegen und ihn für immer aus deinem Bewußtsein auszutreiben. Dann siegtest du über den Schlangengedanken, der sich so oft einschlich und dir sagte, daß es nichts Schlimmes sei, die Arbeit anderer Schüler abzuschreiben. Auch schlugst du voriges Jahr den großen Goliath, als du schließlich erkanntest, daß die falsche Begierde zu rauchen kein Teil des Kindes Gottes ist. Als Jesus dem Evangelium des Lukas gemäß den Teufel oder das Böse fragte: ‚Wie heißest du?‘, antwortete er: ‚Legion; denn es waren viele Teufel in ihn gefahren‘. Dieser Glaube an Mißerfolg ist nur eine andere der zahllosen Versuchungen, die kommen und einen wirklichen Meister auf die Probe stellen”.
Der Sohn erinnerte sich dann, daß andere Disharmonien verschwanden, als er sich ernstlich seinen Büchern zuwandte, wie er es in der christlich-wissenschaftlichen Sonntagsschule gelehrt worden war. Und da er einsah, daß er in letzter Zeit vernachlässigt hatte, sich täglich in die Lektionspredigt im Christlich-Wissenschaftlichen Vierteljahrsheft zu vertiefen, beschloß er, dies zuerst zu tun. Seine Aufmerksamkeit wurde auf eine Zeile auf Seite 380 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” von Mary Baker Eddy gelenkt, die lautet: „Die Wahrheit ist immer Siegerin”. Er wußte, daß dies eine wahre Feststellung ist. Aber wie sie in der Schule anzuwenden ist, war ihm noch nicht ganz klar. Ferner las er (Wissenschaft und Gesundheit, S. 446): „Ein unrechter Beweggrund trägt Niederlage in sich. In der Wissenschaft des Gemüts-Heilens ist es absolut notwendig, ehrlich zu sein; denn der Sieg ist auf seiten des unwandelbaren Rechts”. Die Worte „unrechter Beweggrund” veranlaßten ihn, nachzudenken.
Dann begann das fleischliche oder sterbliche Gemüt, wie Mrs. Eddy es nennt, einzuwenden, daß seine Beweggründe schon recht seien; aber die Worte: „Ein unrechter Beweggrund trägt Niederlage in sich” fielen ihm wieder ein. Plötzlich wußte er, daß seine Beweggründe nicht die höchsten gewesen waren, weil sie sich nur mit Selbstverherrlichung und Selbsterhöhung beschäftigten. Er wußte, daß dies keine gewinnenden Beweggründe waren, und daß er Stolz, Eifersucht und Selbstbedauern meistern mußte, ehe er in anderer Hinsicht Herrschaft haben konnte.
Ehe er die Lektion beendet hatte, empfing er noch mehr Hilfe davon, und dies machte die Heilung vollständig. Er las (Wissenschaft und Gesundheit, S. 571): „Zu allen Zeiten und unter allen Umständen überwinde Böses mit Gutem. Erkenne dich selbst, und Gott wird dir Weisheit und Gelegenheit zu einem Sieg über das Böse geben”. „Erkenne dich selbst”! Es war, als ob ein Vorhang vor einem neuen Leben hochgezogen würde oder vielmehr, als ob ein neues Licht den alten Schauplatz überflutet hätte. Die auf menschlich vorgezeichneten Meisterschaften beruhenden Schulveranstaltungen erschienen ihm plötzlich weniger wichtig. Die wirklichen Werte, die des Ausdrucks harrten, fielen ihm ein: groß genug und selbstlos genug sein, um glücklich zu sein, wenn andere gewinnen; in Wettkämpfen oder bei der Mannschaft seinen Teil tun, ohne an persönlichen Ruhm zu denken; Mitschülern und Nachzüglern bei ihrer Arbeit helfen. Irgendwie wurde die ganze Last leichter, und der verkrüppelte Begriff von Erfolg wurde durch die wahren Werte, die zu wirklichem Sieg führen, verdrängt. Ein Jakob von heute hatte zu Pniel gerungen und gesiegt.
Vor seiner Schlußprüfung hatte er Auszeichnungen für hervorragendes Wissen und für Glanzleistungen im Schwimmen erhalten. Aber nur er wußte, daß er so erfolgreich war, weil er bewiesen hatte, daß „die Wahrheit immer Siegerin ist”, wenn unsere Beweggründe rein und selbstlos sind.