Vorhersehende Menschen denken immer mehr an jenen großen Tag, an dem der Höllenlärm des Kampfes gestillt ist, die Luftflotte Segen anstatt Bomben bringen und die Dämmerung internationalen gesunden Verstandes ihre willkommenen Strahlen auf eine vom Krieg zerrissene Menschheit werfen wird. Von der Öffentlichkeit und der Presse kommt die Aufforderung, daß wir jetzt schon ernst und andachtsvoll erwägen, was wir gern die Probleme der Nachkriegswelt nennen. In solchen Erörterungen hört man heutzutage in Amerika selten das zaghafte, selbstische Thema der Absonderung vorbringen. Der Christliche Wissenschafter, der weiß, daß es keine Trennung zwischen Gott und dem Menschen gibt, kann sich gewiß nicht absondern und zurückziehen. Der Eckstein seines Glaubens und Verständnisses ruht auf der großen Tatsache der unzerstörbaren Einheit Gottes und Seines Christus, des Gemüts und seiner unzertrennlichen Ideen.
Gottes Kinder, Ideen, können weder von ihrem ewigen Vater-Mutter, noch voneinander getrennt werden. In sehr wirklichem Sinne wird einer daher seines Bruders Hüter—sicher der Hüter des rechten Denkens über seinen Bruder.
Kann man seinen Nächsten wie sich selber lieben, ohne sich zu bemühen, ihn zu sehen, wie man sich selber sieht—als den harmonischen Ausdruck einer unendlich guten Sache? Mit seinem sich erweiternden mentalen Gesichtskreis findet der Christliche Wissenschafter, daß er ein Bürger der Welt ist. Der Prophet Maleachi fragt: „Haben wir nicht alle einen Vater? Hat uns nicht ein Gott geschaffen? Warum verachten wir denn einer den andern und entheiligen den Bund, mit unseren Vätern gemacht?”
Wenn nun die Christlichen Wissenschafter hoffen, die Wunden der Menschen und Völker am Ende dieses traurigen Streits angemessen verbinden zu helfen, sollten sie dann nicht ernstlich auf das Thermometer des Denkens und des Vollbringens in ihrer eigenen Erfahrung sehen, um festzustellen, inwieweit sie geeignet sind, Nachkriegszeitprobleme wirksam zu handhaben? Bemerkenswert ist folgende eindringliche Selbstverständlichkeit aus der inspirierten Feder unserer lieben Führerin Mary Baker Eddy (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 449): „Des Menschen steigender oder fallender moralischer Barometer zeigt die Fähigkeit zum Heilen und die Tauglichkeit zum Lehren an”.
Hannah More, die Mrs. Eddy in ihrem Buch „Miscellaneous Writings” (S. 223) erwähnt, sagte einmal: „Wenn ich meinen Feind strafen möchte, würde ich ihn jemand hassen lassen”. Wahrlich, Haß ist die Hölle. Ja, der Apostel Johannes drückt sich sogar noch stärker aus, wenn er erklärt: „Wer seinen Bruder haßt, der ist ein Totschläger”. Hast du diesen Totschläger je beherbergt? Wenn dem so ist, dann weißt du, daß du keine Seelenruhe, keine bleibende Freude, kein Gefühl des Wohlseins hattest, so lange dieser Plagenträger Raum in deinem Herzen fand.
Ein christlich-wissenschaftlicher Ausüber bemühte sich einst, Öl auf die sturmbewegten ehelichen Wasser zu gießen und eine entrüstete, sich selbst bemitleidende Frau zum Gefühl des Erbarmens für ihren unsteten Mann zu erwecken. „Ich hasse ihn nicht”, beteuerte die Frau, „ich lasse mich einfach nicht an ihn denken”. Der Ausüber dachte: „Wehe dem Mann, wenn sie über ihn zu denken beginnt”! Das war nicht Liebe, das war nicht das Hegen des heilenden Christus. Verneinungen sind nicht erlösend. Nur die positive, starke Vergegenwärtigung der bejahenden Wahrheit und Liebe kann die Eisberge der Selbstsucht und des grausamen Mesmerismus schmelzen und Familien, Kirchen, Völkern und der Welt Frieden bringen.
Die Bewohner Korsikas kennen den Schrecken, den Greuel der Blutrache. In gewissen Gebirgsgegenden Amerikas haben Streitigkeiten fortbestanden, die vom Großvater auf den Enkel übergegangen sind. Was für ein anschauliches Bild Mrs. Eddy in dieser scharfen Anklage gegen Haß und Streitigkeiten gibt! Sie schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 327): „Welch ein erbärmlicher Anblick die Bosheit ist, die an der Rache ihre Lust hat!” Und weiter unten fügt sie hinzu: „Sie ist eine moralische Tollheit, die hervorbricht, um mit Mitternacht und Sturm zu lärmen”. Wenn der Christliche Wissenschafter nicht zur Erkenntnis der Torheit der Streitigkeiten, des Lasters, des Gifts des Hasses aufgeweckt wird und nicht aufrichtig bestrebt ist, diese Irrtümer dadurch auszurotten, daß er sein Denken den reinigenden Strömen der Liebe öffnet, schließt er sich der Annahme nach vom Reich Gottes aus und kann nicht hoffen, sich in den Tagen des Wiederaufbaus der Welt als hilfreich erfunden zu werden.
Sagt jemand, ein Unrecht sei so grausam, so ungerechtfertigt gewesen, daß er nicht vergeben und vergessen kann? Ein Mann, dessen Leben ganz dem Segnen und Heilen seiner Mitmenschen gewidmet war, wurde einst an ein Kreuz genagelt und dem Spott und Hohn erzürnter, heuchlerischer, selbstgerechter Sterblicher ausgesetzt. Sie verlachten, verspotteten und verhöhnten ihn und hießen ihn vom Kreuz herabsteigen. Sprühten seine Augen Blitze vor gerechter Entrüstung? Kamen ihm Worte aufflammender Verdammung über die Lippen? Man höre die erhabene Botschaft dessen, der in jenem Augenblick mit Recht den Namen „Friedefürst” verdiente: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun”. Für alle Zeit drückte er der Sünde den Stempel des Wahnsinns auf. „Sie wissen nicht, was sie tun”!
Wie freudig, vertrauensvoll kann jeder gekränkte Sterbliche vergeben, vergessen, und daher heilen, wenn er erkennen kann, daß einer, der sündigt, vom materiellen Sinnenzeugnis geblendet, mesmerisiert ist und nicht weiß, was er tut! Dumme Streitigkeiten vergehen in Nichts, großgezogene Feindseligkeiten sinken in Vergessenheit in der Gegenwart jenes herrlichen Bewußtseins der Nähe, der Wirklichkeit der göttlichen Liebe, und in der Erkenntnis des Mesmerismus, des Wahnsinns, der Trugvorstellung des Bösen. Wollen wir ungefesselt sein in dem großen Werk, die glücklichere, freiere Welt einzuführen, nach der sich die ganze Menschheit sehnt? Dann laßt uns lieben! „Das unschöne Bild widerwärtiger, hassender Sterblicher, das ich vor mir sehe, lieben?” fragt jemand. Gewiß nicht, denn das ist nicht Gottes Schöpfung; sondern wir sollen den schönen, sündlosen und reinen Menschen sehen und lieben, und die von dem fleischlichen Sinn gezeichneten mesmerischen Bilder vernichten. In einem Lied im Christian Science Hymnal (No. 22) heißt es:
Ihr Lieben, laßt uns lieben; denn die, die lieben,
Nur sie sind Seine Söhne, von oben geboren.