Das Wort „Mensch” wird in der Christlichen Wissenschaft im individuellen und im zusammenfassenden Sinne oder als Gattungsname gebraucht. Wenn im individuellen Sinne gebraucht, bezeichnet es einen einzelnen Menschen. Wenn im zusammenfassenden Sinne oder als Gattungsname gebraucht, ist es der Name für alle Menschen, die Menschenbrüderschaft, die ganze Kundwerdung Gottes. Zum Beispiel definiert Mary Baker Eddy auf Seite 591 in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” den Menschen als Gattung wie folgt: „Die zusammengesetzte Idee des unendlichen Geistes; das geistige Bild und Gleichnis Gottes; die volle Darstellung des Gemüts”.
Der Einzelmensch ist für „die volle Darstellung des Gemüts”, die Gattung Mensch, wesentlich und ist sich ihrer immer bewußt. Die Individualität trennt die einzelnen nicht von der vollen Kundwerdung Gottes, sondern vereinigt sie in wissenschaftlicher Einheit damit. „Ihr ... werdet mit erbaut zu einer Behausung Gottes”, sagt Paulus. Die Tatsache, daß der Mensch individuell ist, verringert die unteilbare Einheit der Kundwerdung Gottes nicht im geringsten, sondern identifiziert sie ausdrücklich. Mrs. Eddy schreibt: „Gott ist individuell, und der Mensch ist Seine individualisierte Idee” (Nein und Ja, S. 19). Ohne den Einzelmenschen könnte es keinen Menschen in Gesamtheit geben. Ohne Sonnenstrahlen könnte es keinen Sonnenschein geben.
Der Einzelmensch gleicht in Qualität, aber nicht in Quantität, der „vollen Darstellung des Gemüts”. Offenbar kann der einzelne nicht der ganze Ausdruck Gottes sein. Aber der Einzelmensch ist ein einzelner vollständiger Ausdruck des Gemüts. Er hat die Fähigkeit, alle Ideen Gottes in der Ordnung ihrer von Gott verordneten Entfaltung auf ewig widerzuspiegeln.
Er ist mit dem unvergleichlichen Stand und der beständigen Vollständigkeit, die er als Gottes Sohn hat, ganz zufrieden. Als Gottes Einzelzeuge ist er allen anderen Ideen in der zusammenfassenden Idee oder Welt des Gemüts vollkommen gleichgestellt.
Der Einzelmensch umfaßt nie die Unendlichkeit der Ideen Gottes. Alle sind jedoch durch Widerspiegelung die Seinen und werden dem göttlichen Gesetz gemäß in geordneter Reihenfolge widergespiegelt. Göttliches Gesetz oder geistige Kraft bewahrt in jedem der von ihm eingesetzten unendlichen Einzelwesen Entfaltung und läßt sie ewig stattfinden. In ihrer Vollzähligkeit bilden sie Gottes volle Kundwerdung, den Menschen in Gesamtheit.
Mrs. Eddy spricht vom Einzelmenschen in dem Satz: „Ein Teil von Gott könnte nicht in den Menschen eingehen, noch könnte Gottes Fülle von einem einzelnen Menschen widergespiegelt werden, sonst würde Gott offenbar endlich sein, den göttlichen Charakter verlieren und weniger werden als Gott” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 336). Der einzelne kann nicht das Ganze umfassen; aber er kann auf immer alle Ideen Gottes in ihrer geordneten Entfaltung unter göttlichem Gesetz widerspiegeln und tut es. Diese unaufhörliche, durch Gesetz geordnete Entfaltung rechter Ideen ist die Schöpfung. Das Bewußtsein des Einzelmenschen ist dort, wo diese beständige Ideenentfaltung stattfindet. Dieses Bewußtsein ist der Schauplatz der Schöpfung. Unendlicher Fortschritt, in der geordneten Entfaltung der grenzenlosen Ideen Gottes ausgedrückt, ist des Menschen natürlicher und ewiger Zustand.
Befaßt man sich mit dem Wort „Mensch”, wie Mrs. Eddy es gebraucht, so ist es also wichtig, sich bewußt zu bleiben, daß der Einzelmensch in Quantität dem Gattungsbegriff Mensch nicht gleichkommt; daß er aber jede Eigenschaft Gottes widerspiegelt. Jede Erklärung über den Menschen trifft ebenso auf den Einzelmenschen wie auf die Gattung Mensch zu, ausgenommen wenn Quantität in Betracht kommt. Kein Einzelmensch kann die ganze Menschenbrüderschaft sein; aber jeder einzelne ist für diese Brüderschaft wesentlich und hat alles, was er immerdar braucht, um seinen Platz mit seiner Tätigkeit darin auszufüllen.
Das Christentum und die Christliche Wissenschaft wenden sich an das einzelne menschliche Bewußtsein. Christus Jesus befaßte sich täglich und stündlich mit einzelnen, heilte sie, wies sie zurecht, lehrte sie, half ihnen ihre individuelle Beziehung zu Gott finden. Er wußte und lehrte, daß der einzelne, der sein wahres Selbst als geistig und sein wahres Bewußtsein als das Gemüt Christi entdeckt, die Einheit und die Einigkeit der Schöpfung, der vollständigen Kundwerdung Gottes, und seinen Platz darin zu verstehen beginnt.
Nicht materielle Persönlichkeit, sondern Gott ausdrückende geistige Individualität ist des Menschen Zustand. Weil jeder einzelne dasselbe Gemüt hat, weil jeder lebt, dessen Einheit auszudrücken, ist sein Denken, obgleich individuell, stets in sinfonischer Übereinstimmung mit dem Denken aller anderen Einzelwesen, deren Summe die volle Kundwerdung des Gemüts bildet, manchmal Weltall, manchmal Schöpfung, manchmal Gattung Mensch genannt.
Wenn das Denken des einzelnen den begrenzten, sterblichen, persönlichen Sinn des Selbst aufgibt und in zunehmendem Maße das Selbst findet, das die Einzelidee ist, die sich im Beweggrund, im Denken und Handeln mit allem, was Gott ausdrückt, vereinigt, wird die herrliche Einheit aller Dinge unter Gott immer sichtbarer. Aber seine Individualität, seine unteilbare Wesenheit geht nie verloren. Von Gott schreibt Mrs. Eddy mit einer aus Verständnis geborenen Überzeugung: „Er erhält meine Individualität. Nein, mehr — Er ist meine Individualität und mein Leben” (Unity of Good, S. 48). Unendliche Individualität ist die besondere Art des Gemüts, die herrliche Vollständigkeit und Erhabenheit seiner grenzenlosen, mannigfaltigen Methoden der Intelligenz und der Tätigkeit auszudrücken.
Mrs. Eddy sah vor, daß in ihrer Kirche in jedem Sonntagsgottesdienst die Worte des Johannes gelesen werden: „Jetzt sind wir die Söhne Gottes; und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist”. Wir nähern uns Gott, indem wir den Einzelmenschen, das Bewußtsein, das Johannes den Sohn Gottes nannte, verstehen. Mit dem volleren Verständnis unserer individuellen Gottessohnschaft muß eine größere Klarheit der geistigen Einheit mit allem, was ist, kommen; aber der Einzelmensch wird dadurch nicht vernichtet, sondern immer verherrlicht.
Die Lehren des Meisters und Mrs. Eddys zeigen uns klar, wie wir vom Standpunkt individueller Wirkung aus denken müssen. Der Meister lehrte immer von der einen Ursache, dem Vater, und vom Menschen Seinem Sohn oder der Wirkung. Gott ist immer Ursache. Der Mensch, einzeln und als Gattung, ist immer Wirkung. Er ist eins mit seiner Ursache, aber nie Ursache. Mrs. Eddy schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 336): „Gott und der Mensch sind nicht ein und dasselbe; aber in der Ordnung der göttlichen Wissenschaft bestehen Gott und der Mensch zusammen und sind ewig”.
Um Gott und unserem Einssein mit Ihm immer näher zu kommen, müssen wir mehr von den Eigenschaften Gottes widerspiegeln. Diese verbinden uns mit ihrer Quelle. Sie bringen uns zum Berg der Offenbarung. Nichts anderes kann oder wird dies tun. Der Meister betonte geduldig diesen einfachen Weg des Fortschritts mit Erklärungen wie: „Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen”. „Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch”. Mrs. Eddy zeigte beharrlich denselben Christusweg zum wirklichen Sein: „Studiere den Buchstaben gründlich und nimm den Geist in dich auf” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 495). „Das Lebenselement, das Herz und die Seele der Christlichen Wissenschaft ist die Liebe” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 113). Wir finden die Einheit Gottes und des Menschen, einzeln und in Gesamtheit, in der Vaterschaft und der Mutterschaft Gottes, die alle Individualitäten umfaßt, welche zusammengenommen die Menschenfamilie ergeben.
