Es scheint, daß die Sterblichen immer geneigt gewesen sind, einander ungerecht zu kritisieren. Daß das neunte Gebot lautet: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten”, läßt erkennen, daß die Neigung schon zur Zeit Mose’s und vorher herrschte. Sein gottinspiriertes „du sollst nicht” anerkennt, daß ein solches Denken aufhören muß, ehe die Menschen die Einheit Gottes völlig erkennen können.
Warum nimmt Herr A. eine fragwürdige Geschichte über seinen Mitbewerber Herrn C. so gern in sein Denken auf und teilt sie Herrn B. mit? Und warum sitzt Frau X. so gern hin und bespricht (oder telefoniert in langer Unterhaltung) mit Frau Y. loses Gerede über Frau Z., ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? Und warum haben selbst Christliche Wissenschafter — manchmal sogar Ausüber — für die die Zehn Gebote das Gesetz des Lebens sind, Halbwahres oder Dreiviertellügen übereinander ausgesagt? Weshalb, ja weshalb denn tun die Sterblichen so etwas?
Einfach deshalb, weil sie noch so stark an einen falschen Begriff von der Schöpfung glauben. Sie glauben, daß eine materielle Ursache, das sterbliche Gemüt, eine materielle Welt entwickelt habe, in der viele materiell denkende Sterbliche seien, von denen ihnen manche gefallen, während sie gegen andere Abneigung empfinden und an manchen, obgleich sie ihre Mitarbeiter in des Vaters Weinberg sind, gern etwas aussetzen und sie zu untergraben suchen. Sie glauben, es gebe ihnen eine Art selbstischer Befriedigung, fragwürdiges Kritisieren ihrer Mitmenschen anzuhören und es anderen mitzuteilen, manchmal in der Hoffnung, sich durch Erniedrigen anderer zu erhöhen. Diese Gewohnheit des Kritisierens setzt sich manchmal im Denken eines Sterblichen so fest, daß ihm die ganze Welt verkehrt erscheint und sein Leben fast nur mit Klagen, Kritisieren und Verdammen anderer ausgefüllt ist.
Die Christliche Wissenschaft heilt dies, indem sie einem einen andern — aber den beweisbar wahren — Begriff von der Schöpfung gibt, wie er in der Bibel enthüllt ist. Sie lehrt, daß der unvollkommene, materielle Sinn des Lebens, der Schöpfung und des Menschen nicht Gottes Werk ist, weil Gott der Geist, das reine Gemüt, ist, und Gottes Schöpfung die Kundwerdung des Gemüts ist, die in der Welt der Ideen des Gemüts, deren höchste der Mensch ist, sichtbar wird. Da Gott, das Gemüt, vollkommen ist — denn Vollkommenheit wohnt der Intelligenz inne — muß Vollkommenheit alle Seine Ideen, Seinen individualisierten Ausdruck, kennzeichnen. Dies ist keine philosophische Theorie, sondern die wissenschaftliche, geistige Tatsache, die zu verstehen und zu beweisen Gott jeden befähigt hat.
Am sichersten und schnellsten erfassen wir den wahren Begriff von der Schöpfung — die Vaterschaft Gottes und die Menschenbrüderschaft — wenn wir in unserem Denken willig die beiden Gebote Jesu befolgen: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte” und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst”.
Niemand kann Gott, das Gute, von ganzem Herzen lieben, ohne Gottes Kundwerdung, den Menschen, zu lieben; denn der Mensch — als einzelner und als Gesamtheit — ist in Gott. Wenn also das Denken Gott und Sein Werk liebt, kann es nicht Sein Gegenteil, das sterbliche Gemüt, als Ursache oder dessen vermeintliche Schöpfung Sterblicher — kritisierbarer und kritisierender — als Wirkung annehmen. Für den Rechtgesinnten ist dies Erdichtung; Gottes Ideenfamilie ist Tatsache.
Sooft wir von einem andern ungerecht denken oder sprechen, sagen wir soviel wie: „Ich glaube, daß das sterbliche Gemüt, die Materie und die Sterblichen die Wahrheit der Schöpfung sind, und daß ich eine dieser materiellen Persönlichkeiten bin. Als solche mache ich es mir zum Zeitvertreib, zu kritisieren, zu verdammen, zu klatschen und wider meinen Mitsterblichen falsches Zeugnis zu reden”. Wie unintelligent und eines Christlichen Wissenschafters unwürdig dies ist! So denkend, setzen wir mental die in der Christlichen Wissenschaft enthüllte geistige Schöpfungsidee beiseite und ergötzen uns an ihrem negativen, gottlosen Gegenteil.
Von allen Leuten in der Welt sollten die Christlichen Wissenschafter die Gewohnheit nörgelnden, zerstörenden Kritisierens in ihren Familien, ihren Arbeitsstätten, ihren Kirchen und in ihrem gesellschaftlichen Verkehr ablegen. Jedes Wort ihrer Religion lehrt sie, wie falsch, unwahr und unwürdig solche Gedanken sind.
In Wirklichkeit gibt es im Reich der Liebe nichts, was falsches Zeugnis reden könnte. Gott tut es gewiß nicht. Das allwissende Gemüt, Gott, kennt die Vollkommenheit Seines Werks. Ebenso gewiß redet Gottes Bild und Widerspiegelung, der Mensch, kein falsches Zeugnis. Die Widerspiegelung ist in Art und Tätigkeit mit ihrem Ursprung eins. Das Gemüt läßt jede Idee die Vollkommenheit jeder andern Idee wissen. Es gibt nichts, was die Unvollkommenheit der falschen Schöpfungsvorstellung des sterblichen Gemüts kennen, sehen oder behaupten kann.
Laßt uns alle wissen, daß wir nicht tadelsüchtige Sterbliche sein können, die ihr Gemüt und ihre Zunge gern zerstörendem und teuflischem Denken und Reden leihen! Gott erwartet, daß unser Denken und Reden Ihn ausdrückt, für Seine Weisheit und Liebe zeugt. Wir haben keinen andern Daseinsgrund.
Wir verdammen das Böse, aber nicht Personen. Wir rügen Unrecht, ermutigen und unterstützen aber unsern Bruder. Im täglichen Leben unseres großen Wegweisers Christus Jesus haben wir das vollkommene Beispiel der Gesinnung, die wir Gottes Willen gemäß ausdrücken sollen — Liebe, die alle als Glieder der Familie Gottes unparteiisch liebt und nur das Böse verurteilt, das diese Wahrheit zu trüben sucht.
In einer Bemerkung über gewisse Gebote rät uns Mary Baker Eddy in „Miscellaneous Writings” (S. 67): „‚Du sollst kein falsch Zeugnis reden‘, d. h. du sollst weder im stillen noch hörbar eine Lüge äußern noch veranlassen, daß sie gedacht werde. Gehorsam gegen diese Gebote ist für Gesundheit, Glück und langes Leben unerläßlich”.