Jeder Christliche Wissenschafter sollte sich ab und zu fragen: Wie stelle ich mich zu dieser Wissenschaft des Christentums? Wer die Wissenschaft nur als ein Mittel ansieht, um menschliche Wünsche zu befriedigen, ist weit davon entfernt, ein echter Christlicher Wissenschafter zu sein. Wer ihr gegenüber eine vorwiegend eigennützige Haltung einnimmt, das heißt, wer bloß seine eigenen menschlichen Vorteile zu fördern sucht, versteht diese Wissenschaft nicht. Wir beweisen die Wahrheit nur dann, wenn wir erkennen, daß das wirkliche Selbst des Menschen das Bild und Gleichnis Gottes, der Liebe, ist und bestrebt sind, die göttliche Liebe allezeit widerzuspiegeln.
Christus Jesus veranschaulicht im Gleichnis von den anvertrauten Zentnern (Matth. 25, 14–30), wie wichtig die rechte Stellungnahme ist. Das fortschrittliche Verhalten zweier Knechte und ihre tüchtige, nützliche Arbeit trug beiden das Lob ein: „Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude!“ Dem andern Knecht dagegen, der furchtsam nur an sich selber dachte und sich zu fortschrittlicher Tätigkeit untauglich erwies, brachte seine Haltung nur eine Zurechtweisung und Verlust. Dieses Gleichnis lehrt uns, wie wichtig ein selbstloses Verhalten ist, und wir bemühen uns daher, diese Lehre auf unser Ergründen und Betätigen der Christlichen Wissenschaft anzuwenden. Wenn wir stets eine selbstlose Haltung bewahren, wächst unsere Fähigkeit, die geistigen Tatsachen des harmonischen Seins zu beweisen.
In dem Verhältnis, wie wir in einer geistigen Einstellung verharren, mit andern Worten, uns bewußt sind, daß das wahre Selbst des Menschen von Gott untrennbar ist, werden wir alle Menschen zu uns ziehen, nicht daß sie uns dienen, sondern daß wir ihnen zum Segen gereichen. „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene“, sagte Christus Jesus (Matth. 20, 28). Der Mensch, der Ausdruck der unendlichen Wahrheit und Liebe, braucht nichts zu erwerben oder anzuhäufen; er besitzt schon durch göttliche Widerspiegelung alle Eigenschaften Gottes, der Seele. Der Mensch ist geistig, vollkommen, vollständig und weilt immer in der Allgegenwart Gottes, des Guten. Der Mensch, Gottes geistige Widerspiegelung, kennt weder Mangel, Entbehrung noch Erschöpfung; sie können ihn nicht berühren. Die einzige Pflicht des Menschen ist, die immergegenwärtige Liebe auszudrücken, und er ist sich des unerschöpflichen Guten, das Gott für ihn hat, bewußt.
Das empfängliche Denken trachtet immer danach, die Haltung einzunehmen: „Öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder an deinem Gesetz“ (Ps. 119, 18). Das Berichtigen einer falschen Annahme durch die Vergegenwärtigung der geistigen Tatsache öffnet uns die Augen, so daß wir das vollendete Gute sehen. Mary Baker Eddy schreibt auf Seite 494 im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“: „Die göttliche Liebe hat immer jede menschliche Notdurft gestillt und wird sie immer stillen.“ Und auf Seite 307 in „Miscellaneous Writings“ erklärt sie: „Gott gibt euch Seine geistigen Ideen und sie geben euch sodann, was ihr täglich braucht.“ Sie fügt weiter unten hinzu: „Was für ein herrliches Erbe uns doch durch das Verständnis der immergegenwärtigen Liebe gegeben ist!“
Das göttliche Gemüt entfaltet dem empfänglichen Denken die geistigen Ideen, die Gesundheit und Einmütigkeit bringen, und für diese Ideen gibt es keine Verzögerung, keine Unterbrechung, keine Vernichtung, keine Vermischung mit Irrtum. Der wirkliche Mensch ist sich immer der Allheit des Geistes und der Tatsache bewußt, daß er als die Idee des Gemüts vollkommen ist. Der materielle Sinn, der die Gegenwart der Liebe nicht kennt, kann die vorhandenen geistigen Ideen nicht erkennen. Nur durch das Widerspiegeln der göttlichen Liebe kann man die von Gott gegebene unendliche Versorgung wahrnehmen.
Das göttliche Gesetz sorgt sicherlich für unsere menschlichen Bedürfnisse, nicht aber für unsere menschlichen Wünsche, die nutzlos, selbstsüchtig oder ehrgeizig und daher nicht gut sein können. Beim rechten Verhalten sucht man immer irrige Eigenschaften aufzugeben, um für die Ideen des vollkommenen Gemüts empfänglich zu sein. Durch die rechte Haltung erhält der Mensch seine Einheit mit dem Geist der Seele, aufrecht. Als ein Christlicher Wissenschafter sich des Menschen Einssein mit dem göttlichen Gemüt vergegenwärtigte und begann, seinem Mitmenschen selbstlos zu dienen, anstatt sich in Selbstbedauern zu ergehen, konnte er ein drückendes Gefühl der Einsamkeit überwinden.
Gott schuf kein Hindernis für unsere Fähigkeit, recht zu denken und recht zu handeln — das Gute zu vollbringen, das wir alle beweisen können — und Er stellt uns kein solches Hindernis in den Weg. Alles, was den Fortschritt zu hemmen scheint, ist nur die Folge einer falschen Haltung unserseits. Dem Menschen mangelt nichts, er ist nicht unzulänglich oder untauglich. Wenn wir an Stelle des falschen materiellen Begriffs vom Menschen die wahre Idee setzen, daß der Mensch Gottes Ebenbild ist, finden wir, daß wir immer mehr Befähigung zu Gutem ausdrücken, das keine Begrenzung, keine Umkehrung oder Vernichtung kennt. Nicht der materielle, sondern der geistige Sinn läßt das menschliche Denken die Glückseligkeit des Seins erkennen und genießen. Die Macht der Wahrheit ist unwiderstehlich; sie entfaltet unaufhörlich die Fortdauer des Guten, die Vollkommenheit der Wirklichkeit und die Vollständigkeit des Seins.
Die vermeintliche Fähigkeit des Irrtums, des menschlichen Willens, ist eine Täuschung. Und die Einflüsterungen des Irrtums tragen, wenn man auf sie horcht, sicher nicht zu unserer Befähigung im christlichen Beweisen bei. Nicht Eigenwille, sondern geistiges Verständnis ist nötig, um mehr von der göttlichen Macht auszudrücken. Keine Irrtumseinwendung kann aus dem Nichts auch nur einen vermeintlichen Anschein heraufbeschwören, der das Denken, das Gottes Leitung Folge leistet, irreführen, aufhalten oder umstoßen könnte.
Der Meister zeigte uns, was empfängliches Verhalten ist, als er sagte (Matth. 18, 3): „Es sei denn, daß ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Frohsinn, Einfachheit, Gehorsam, Unschuld, Güte, Reinheit sind Denkarten jener wahren kindlichen Haltung, die unsere Fähigkeit erhöht, die Segnungen der ewigen Liebe zu genießen. Spitzfindigkeit ist nur eine teuflische Einflüsterung oder tierischer Magnetismus, der, wenn man ihm Beachtung schenkt, unsern geistigen Fortschritt hindert. Eine wissenschaftliche Stellungnahme hält an der geistigen Tatsache fest, daß das Böse, das vermeintliche Gegenteil Gottes, des Guten, keinen Schöpfer, keine Ursache, keine Wirkung, keinen Raum hat, wo es sich aufhalten, keinen Platz, wo es sich eindrängen, und daher keine wirkliche Gegenwart oder Macht hat. Bei einer solchen Haltung sollte es einem nicht schwer fallen, die Überlegenheit und Unsterblichkeit des Guten zu beweisen.
Gott ist das göttliche Prinzip des Seins, die einzige Ursache, die einzige Macht, die unzerstörbare Substanz und das unzerstörbare Leben Seiner geistigen Schöpfung. Die Seele erschafft, erhält und regiert den Menschen. Daher ist sich der Mensch, der Ausdruck des göttlichen Gemüts, keiner Stumpfheit, Trägheit oder Unfähigkeit bewußt. Der Mensch kann nie von Gott getrennt werden; daher kann er seine Fähigkeit, Harmonie widerzuspiegeln, nie verlieren. Dies ist die Tatsache über das wahre Menschentum. Die unhaltbaren Irrtumsvorspiegelungen und die Lüge Beschränkung dauern nur solange, wie wir sie für wirklich halten; sie verschwinden aus unserem Denken, wenn wir sie als Trugvorstellungen bloßstellen und an ihre Stelle wahre Ideen setzen. Nur falsche Annahme beschränkt unsern Ausblick, hemmt unsere Fähigkeiten und setzt unserem Vollbringen des Guten Grenzen. Die rechte Haltung kennt nur die Tätigkeit der Wahrheit und die Allmacht des Guten. Nichts besteht außerhalb des Lebens, der Wahrheit und der Liebe, außerhalb der Unendlichkeit der Seele.
Man sollte beständig eingedenk sein, daß die Christliche Wissenschaft die Offenbarung des göttlichen Lebens und der göttlichen Liebe ist. Ihr Zweck ist nicht, nur das sogenannte menschliche Dasein zu ebnen, sondern das Denken über die Sterblichkeit in das Reich der Wirklichkeit zu erheben. Sie heißt uns das Menschliche für das Göttliche aufgeben, den materiellen Begriff vom Menschen durch den geistigen ersetzen, und zwar so schnell als tunlich.
Wenn unser Denken geistiger wird, werden wir uns mehr der Gesundheit, der Eintracht und der Vollkommenheit bewußt. Das geistige Verständnis der Wahrheit, des Lebens und der Liebe hat gute Ergebnisse zur Folge, wie die Sonne Licht zur Folge hat. Der Geist ist Substanz und gleichbedeutend mit dem Guten; die Materie dagegen ist wesenlos und unwirklich. Das göttliche Prinzip kann nur auf der Grundlage der Allheit des Geistes und der Nichtsheit der Materie bewiesen werden. Eine für geistige Aufklärung und geistiges Wachstum offene und danach strebende Haltung drückt auch die Befähigung aus, Disharmonie im menschlichen Leben durch Harmonie zu ersetzen.
Wenn wir diese Wahrheiten über Gott und den Menschen anerkennen und die entgegengesetzten Einflüsterungen oder Einwendungen des sterblichen Gemüts aufgeben, finden wir, daß wir eine größere Befähigung zum Guten ausdrücken. Möchten wir doch kein anderes Selbst als den zu Gottes Gleichnis geschaffenen Menschen anerkennen, und immer die selbstlose Haltung einnehmen, die in einem Vers im englischen christlich-wissenschaftlichen Liederbuch (No. 182) ausgedrückt ist:
Wir müssen geben, wollen wir
Des Himmels Segen uns erfreun;
Denn wer nicht gibt, empfängt auch nicht,
Da das Gesetz der Lieb’ er bricht.
