Der Psalmist erhob seine Gedanken zu Gott und sagte (51:8): „Siehe, du hast Lust zur Wahrheit, die im Verborgenen liegt; du lässest mich wissen die heimliche Weisheit.“ Mary Baker Eddy gibt eine Erklärung, die gewissermaßen hiermit übereinstimmt, wenn sie in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 2) sagt: „Nützt uns Beten etwas? Ja, das Verlangen, das da hungernd nach Gerechtigkeit ausgeht, wird von unserm Vater gesegnet und kehrt nicht leer zu uns zurück.“
Verlangen drückt warmes Gefühl, Sehnsucht und aufrichtigen Wunsch aus. Wanderer in der Wüste, deren Zunge verdorret vor Durst, und die vor Hunger verschmachten, verlangen nach Wasser und Brot. Ein Psalm singt von solchen (107:4—6), „die irregingen in der Wüste, in ungebahntem Wege, und fanden keine Stadt, da sie wohnen konnten, hungrig und durstig, und ihre Seele verschmachtete; die zum Herrn riefen in ihrer Not, ... er errettete sie aus ihren Ängsten.“
Christus Jesus lenkte die Aufmerksamkeit auf den Wert des geistigen Verlangens, als er sagte: „Selig sind die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.“ In dieser Seligpreisung macht er es klar, daß rechtes Verlangen seinen eigenen Lohn in sich trägt.
„Verlangen ist Gebet“, schreibt Mrs. Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 1). In dem Maße, wie rechtes Verlangen still und aufrichtig beherbergt wird, werden unsre Gebete erhört werden.
In allen Zeitaltern haben die Geistiggesinnten eine Art geistiges Verlangen ausgedrückt, welches das Vorspiel zu erhörtem Gebet bedeutet. So rief Hiob zum Beispiel mit heißer Sehnsucht aus: „Ach daß ich wüßte, wie ich ihn finden und zu seinem Stuhl kommen möchte!“
Um wirksam zu sein, bedarf das Verlangen der Handlung. Die Frage ist: Was ist das Motiv oder der Antrieb zu unsern Handlungen? Natürlich muß unser Verlangen ein rechtmäßiges Verlangen sein; doch muß es auch rechtmäßig im wahren geistigen Sinne des Wortes sein, wenn wir es wirksam machen wollen und durch unser Gebet verstehen lernen, daß die Bewegungen des Geistes und Körpers mit den geistigen Gesetzen des Lebens, der Wahrheit und der Liebe übereinstimmen. Wie oft lesen wir in der Heiligen Schrift, daß unsern Meister des Volkes „jammerte“; und wie schnell und mühelos heilte er die Menschen, wenn er diesem Antrieb folgte.
Das geistige Verlangen, das von Mitleid durchdrungen ist, löst große geistige Kräfte aus. Nichts kann dem mächtigen Antrieb der göttlichen Liebe widerstehen. Wir können uns die göttliche Liebe nicht als stagnierend oder stillestehend vorstellen. Ihre Reinheit bedingt ihre Wirksamkeit. Stagnierende Wasser sind ungesund. Selbstgefälligkeit und zu persönliche Zuneigung haben oft ihren Sitz in den bewegungslosen Tiefen der Selbstsucht; und so werden sie ungesund und bitter.
Die Liebe fordert Freilassung in allen Richtungen. Sie kennt keine Schranken und Begrenzungen, und sie verlangt keine persönlichen Neigungen. Stockungen des sterblichen Gemüts, die sich in mentaler und körperlicher Untätigkeit ausdrücken, können augenblicklich überwunden werden, wenn das Gebet des rechten Verlangens, das von christusähnlichem Erbarmen inspiriert wird, wie ein Gesetz der Befreiung darauf einwirkt.
Unsre Gebete sind wirksam in dem Maße, wie unsre Wünsche selbstlos sind, wie das Herz von wahrem Erbarmen bewegt ist und dem Wunsch, die Leiden der Menschheit zu lindern.
Wenn die Erlösung von der persönlichen Gerechtigkeit gewisser Menschen abhinge, so würde die Zukunft recht dunkel und zweifelhaft aussehen. Wenn Christus Jesus die Auffassung gehabt hätte, daß er persönlich die Quelle der Erlösung sei, so wäre es ihm nicht möglich gewesen, andere von ihren persönlichen Problemen der Sünde, der Krankheit und des Todes zu erlösen. Jesus ließ die Fluten der Wahrheit frei, die durch den angesammelten Materialismus der Zeitalter eingedämmt worden waren.
Die Fluttore der Liebe werden geöffnet durch das von Erbarmen inspirierte rechte Verlangen. Wenn der Christus sich im Bewußtsein geltend macht, so wird der Damm — die Hemmung — des Materialismus hinweggeschwemmt. Die Menschen, die sich dieser Fluten der Liebe bewußt werden, erheben sich geheilt von ihren Krankenbetten, und selbst die Pforten des Todes öffnen sich, um sie freizulassen.
Die Wirksamkeit des göttlichen Gemüts, die im ersten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung so kraftvoll war, ist durch die Ausübung der Christlichen Wissenschaft von neuem lebendig geworden. Die göttliche Liebe hat niemals aufgehört, erbarmungsvoll ihren Gnadenplan auszuführen, und in der Jetztzeit werden wir uns mehr denn je zuvor dieser Wirksamkeit der Christuswahrheit bewußt. Wir werden von dem Antrieb des Geistes vorwärts getragen, manchmal sogar gegen unsern menschlichen Willen. Wir erkennen, daß die zwingende Macht des Geistes innerhalb und außerhalb und rings um uns herum ist, denn Gott ist überall. Sie ist so unwiderstehlich, wie in der Natur das Kommen des Frühlings, und am Himmel das Kreisen der Sterne. Wenn die Macht Gottes verstanden wird, so wirkt sich dies in Tätigkeit aus.
Eine im Sinne der Wissenschaft bewirkte Heilung ist wie ein Ruf zur Handlung. Durch ihre Einwirkung wird geistiges Verlangen wachgerufen, und die Dankbarkeit wird werktätig. Mit einer Flut geistigen Erbarmens werden wir dazu angetrieben, nach einem tieferen Verständnis von Gott und dem Menschen zu streben. Wir bekümmern uns weniger um unsre persönlichen Besitztümer, unser persönliches Behagen und das Erwerben von Reichtum und Ruhm. Die weltlichen Wünsche werden als gefährliche und schwierige Steine des Anstoßes erkannt, die unsern Weg zur Erlösung zu versperren drohen. Sie hemmen unsern Fortschritt dem Geiste zu, so daß wir nur langsam vorwärts kommen. Uns auf Reichtum oder persönlichen Einfluß zu verlassen, bedeutet, unsern Fuß auf Triebsand zu setzen. Wir brauchen den Felsen, um festen Boden zu finden; nichts weniger als der ganze Christus kann uns als Grundlage dienen.
Ein Verstehen der zeitlichen Natur alles dessen, was wir mit den körperlichen Sinnen wahrnehmen, wird uns genügend aufwecken, um die Notwendigkeit des geistigen Verständnisses zu erkennen. Der Wunsch, der Sache der Wissenschaft zu dienen, wird zum größten Verlangen unsres Herzens, und damit erwacht auch der Wunsch, der Kirche Christi, Wissenschafter, anzugehören, die geistige Bewegung darstellt und die sie begleitende Macht. So können wir mitwirken bei der Befreiung der geistigen Kräfte und die Hindernisse hinwegräumen helfen, die das freie Einströmen von Wahrheit und Liebe hemmen.
Bei diesem herrlichen Werk werden wir von unsrer geliebten Führerin Mary Baker Eddy geleitet, die den Weg offenbarte und die Bahn ebnete. Wir sind immer dankbarer für das rechte Verlangen, das sie mit Erbarmen erfüllte, und sie von beständigem Kranksein zu neuem Leben erweckte, — einem Leben, das der selbstlosen Liebe zu Gott und den Menschen geweiht war.
