Es ist beachtenswert, daß in dem Schöpfungsbericht im ersten Kapitel des 1. Buchs Mose in den ersten sechs Tagen der Schöpfung der Abend dem Morgen immer vorangestellt ist. Der Bericht des sechsten Tages lautet zum Teil (1, 26. 31): „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen. ... Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.“ Am siebten Tage wurde dann die geistige Vollkommenheit und Vollständigkeit festgestellt und gesegnet. „Also ward vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und also vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte. ... Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn“ (1. Mose 2, 1–3). Folglich besteht dieser gesegnete, endlose Tag geistiger Wirklichkeit weiter und ist jetzt und ewig hier.
Mary Baker Eddy gibt im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 584) für „Tag“ die Begriffsbestimmung: „Der Strahlenglanz des Lebens; Licht, die geistige Idee der Wahrheit und Liebe., Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.‘ (1. Mose 1, 5.) Die Dinge der Zeit und des Sinnes verschwinden in der Erleuchtung des geistigen Verständnisses, und Gemüt bemißt die Zeit nach dem Guten, das sich entfaltet. Dieses Entfalten ist Gottes Tag, ,und wird keine Nacht da sein.‘ “ Die begrenzenden menschlichen Annahmen Wirrnis und Finsternis weichen, wenn der unaufhörliche geistige Strahlenglanz und sein Licht verstanden werden. Die vollkommene und vollständige Schöpfung wird augenscheinlich in immerwährendem Licht.
Mit bezeichnendem Scharfsinn schreibt unsere Führerin (Unity of Good, S. 61): „Kommen und Gehen gehören zum sterblichen Bewußtsein. Gott ist, derselbe gestern und heute und auch in Ewigkeit.‘ “ Und sie fügt im nächsten Abschnitt hinzu: „Die Veränderungen des sterblichen Sinnes sind der Abend und der Morgen des menschlichen Denkens, — die Dämmerung und der Tagesanbruch irdischer Wahrnehmung, die dem unverdunkelten Strahlenglanz des göttlichen Lebens vorausgehen. Die menschliche Vorstellung, die dem Erfassen ihrer Nichtsheit entgegengeht, hält inne, geht zurück und wieder vorwärts; aber das göttliche Prinzip und der Geist und der geistige Mensch sind unveränderlich, — sie gehen weder voran noch zurück noch halten sie inne.“ Man könnte mit dem Wort „Veränderung“ das tägliche Leben des Christlichen Wissenschafters beschreiben; denn er weist das sterbliche Sinnenzeugnis mit seiner Verworrenheit und Finsternis, seinen Beschränkungen und Unsicherheiten, seinem Kummer und seinen Fehlschlägen fortwährend zurück und erkennt die herrlichen, ewigen Tatsachen des geistigen Seins an, die ihm sagen, daß der Mensch Gesundheit, Harmonie und Fülle ausdrückt.
Eine Christliche Wissenschafterin ging eines Sommermorgens sehr früh, vor Tagesanbruch, an einen herrlichen See am Fuße hoher Berge. In der Dunkelheit schien die Landschaft verändert, man war sich einer hemmenden Finsternis bewußt und fühlte sich ganz einsam; aber bald brach die Dämmerung an und im Osten erschien ein rosiger Schein. Bald war ein Bergesgipfel nach dem andern in das rosige Licht getaucht und erstrahlte in unsagbarer Schönheit. Die beängstigende Finsternis verschwand allmählich, und die Schönheit und Erhabenheit, die sich der Zuschauerin enthüllte, erinnerte sie an die große, ewige Macht, deren Schönheit und Erhabenheit unveränderlich ist.
Unmittelbar vor Tagesanbruch hatte der Augenschein der körperlichen Sinne erklärt, daß alles Wirrnis und Dunkelheit sei. Wie leicht es gewesen wäre, sofort umzukehren; aber dadurch hätte sie sich die Schönheit entgehen lassen, die später im Tageslicht offenbar wurde! Die uralte Schönheit war zweifellos immer dort; es hatte sich nichts wirklich verändert — aber dies war nur im Licht sichtbar. Wie sehr doch ein von Zweifel, Einsamkeit, Vereitelung und Hoffnungslosigkeit beschwertes Denken der Dunkelheit an jenem frühen Morgen vor Tagesanbruch gleicht! Aber der Wissenschafter hat gelernt, vorwärts zu dringen, da er weiß, daß „der unverdunkelte Strahlenglanz des göttlichen Lebens“ dem erweckten Denken immer die Erhabenheit, Schönheit, Befriedigung und Unzerstörbarkeit alles dessen, was Gott erschaffen hat, enthüllt hat und immer enthüllen wird.
So scheinen die Veränderungen der menschlichen Annahme unaufhörlich fortzudauern, gerade wie durch die Umdrehung der Erde um ihre Achse Abend und Morgen aufeinander folgen. Aber der Mensch, den Gott zu Seinem Bild und Gleichnis schuf, verkörpert „unverdunkelten Strahlenglanz“. Dieser Mensch kennt weder verstandesmäßige noch sittliche Unklarheit, kein Leiden oder Mißgeschick, keine Trübsal, kein von Gott getrenntes Selbst. Der „unverdunkelte Strahlenglanz des göttlichen Lebens“ schließt fortwährende und vollständige Erleuchtung in sich. Wenn man den Menschen als Gottes Kind erkennt, erleuchtet „unverdunkelter Strahlenglanz“ das Denken mit Hoffnung, Liebe und Freude und vertreibt die geheimen Befürchtungen der sterblichen Annahme, den Groll und den Zweifel, die Zwietracht und Krankheit fördern und nähren. In diesem Licht braucht man nicht zu kämpfen. Man muß die Freiheit rechten Denkens nur anerkennen und sich zu eigen machen, um die lebhafte Befriedigung und Freude, die sie verleiht, zu genießen. Der Psalmist sang (Ps. 97, 11): „Dem Gerechten muß das Licht immer wieder aufgehen und Freude den frommen Herzen.“
Ungehemmtes rechtes Denken ist das natürliche Ergebnis geistiger Entfaltung in der Erfahrung eines Menschen. Erleuchtung bringt ungeachtet menschlicher Umstände Heilung, und dies ist für den Christlichen Wissenschafter unumgänglich.
Ein kleiner Knabe, der in eine christlich-wissenschaftliche Sonntagsschule ging, hatte einen klaren Beweis hievon. Als er eines Tages in den Wagen kletterte, in dem er vom Kindergarten nach Hause gebracht wurde, sagte er: „Heute wäre ich fast von der Schule nach Hause gegangen.“ Als er nach dem Grund gefragt wurde, antwortete er: „Ach, ich war nicht ganz wohl.“ Als er gefragt wurde, ob er es der Schulpflegerin oder der Lehrerin gesagt habe, erwiderte er: „Nein, ich habe zu niemand darüber gesprochen. Das war ja nicht nötig, weil ich wußte, daß es nur in meinem Denken war. Ich änderte somit mein Denken und wußte, daß ich in Wirklichkeit Gottes vollkommenes Kind bin, und dann war ich wohl.“ So natürlich und einfach hatte das Kind sich dadurch geheilt, daß es das Licht der Wahrheit einließ. Mrs. Eddy schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 474, 475): „Wahrheit zerstört Unwahrheit und Irrtum, denn Licht und Finsternis können nicht beieinander wohnen. Das Licht vertreibt die Finsternis, und die Heilige Schrift erklärt:, Da wird keine Nacht sein.‘ Für Wahrheit gibt es keinen Irrtum — alles ist Wahrheit.“
Der geliebte Jünger Johannes, der den Lehren des Meisters treu blieb und daher auf die Insel Patmos verbannt wurde, kannte den unaufhörlichen, sich selber erhaltenden geistigen Strahlenglanz; denn in seiner Beschreibung des neuen Jerusalem erklärt er (Offenb. 22, 5): „Und wird keine Nacht da sein, und sie werden nicht bedürfen einer Leuchte oder des Lichts der Sonne; denn Gott der Herr wird sie erleuchten.“ Dieses geistige Licht, das Gott dem Menschen immer zukommen läßt, erweckt einen zur Erkenntnis der Fortdauer und Vollständigkeit, der Natürlichkeit und Unumgänglichkeit des Guten.
Ausdruck ist der Augenschein der Widerspiegelung. Eine vollkommene Quelle sendet in Widerspiegelung und Ausdruck Vollkommenheit aus. Wenn man die Wahrheit erfaßt, daß der Mensch rechte Tätigkeit widerspiegelt und in seinem täglichen Leben dartut, drückt man die Art Gottes, der Quelle des ewigen Guten, aus. Dann können wir verstehen, daß unser wirkliches Sein vollständig ist und die Klarheit geistigen Lichts ausdrückt.
„Der unverdunkelte Strahlenglanz des göttlichen Lebens“ zeigt die ewige Klarheit harmonischer Tätigkeit, und enthüllt das christusgleiche Bewußtsein des Menschen, in dem Gesundheit, Wohlergehen und Friede geistige Tatsachen sind. Geistige Erleuchtung läßt erkennen, daß die Beschränkungen irregeleiteten menschlichen Denkens den Menschen nicht berühren, und durch dieses Verständnis können wir unsere täglichen Pflichten in ehrlicher Absicht, wachsam, verständnisvoll, flink und erfolgreich ausführen. Wenn der Christliche Wissenschafter die Unveränderlichkeit des Lebens in Gott zugibt, findet er, daß das unveränderliche Gute seine Erfahrung regiert und kennzeichnet.
„Der unverdunkelte Strahlenglanz des göttlichen Lebens“ offenbart in reichem Maße des Menschen wahre Wesenheit mit seiner Schönheit, Würde und einer weder durch Zeit noch durch menschliche Annahmen getrübten Vollkommenheit. Diese Wahrheit ist nicht etwas für morgen Versprochenes, sondern heute Tatsache. „Sehet, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils“ (2. Kor. 6, 2). Das Gute und seine große heilende Ermutigung ist also nicht etwas in der Zukunft zu Erhoffendes, sondern eine gegenwärtige Macht, die in Gottes zeitlosem Tag durch den Strahlenglanz der geistigen Wirklichkeit leuchtet.
