Eine Christliche Wissenschafterin und ihre Familie hatten eine Ausüberin sehr gern. Diese Ausüberin, mit der sie auch sehr befreundet war, hatte ihr in vielen Anfechtungen Beistand geleistet, wenn die Kinder Hilfe brauchten, oder wenn auf der Mutter durch Unfrieden, Mangel oder Krankheit Schwierigkeiten lasteten. Sie war immer bereit, den Schleier des Materialismus lüften zu helfen, damit die unsterbliche Harmonie des Geistes zum Vorschein kommen konnte.
Eines Tages hatte die Mutter eine schwere Erkältung. Sie arbeitete, um die Wahrheit zu erkennen, daß der Mensch die geistige und vollkommene Widerspiegelung Gottes ist, wie sie es in der Christlichen Wissenschaft gelehrt worden war; aber die Beschwerde wich nicht.
„Ich muß die Ausüberin um Hilfe bitten“, sagte sie zu ihrem kleinen Sohn.
„Ach Mutter, die Schwierigkeit können wir doch selber ausarbeiten“, antwortete er; „dazu brauchen wir sie nicht zu rufen. Wir können es tun. Wir können die Wahrheit wissen!“
Auf diese Aufforderung ihres Sohnes hin fing sie an, ihr Denken zu prüfen. Hatte sie sich zu viel auf diese geliebte Ausüberin verlassen? Hatte sie ihre Zeit mehr in Anspruch genommen, als wirklich nötig war? Und hatte sie vor allen Dingen unbewußt die Ansicht gehegt, daß ihre Freundin mit Gott reden konnte, während sie es nicht konnte; daß diese hingebende Ausüberin die Tür zur Wahrheit öffnen konnte, während sie es nicht tun konnte? Sie dachte an das alte Sprichwort: „Arzt, hilf dir selber!“ und erkannte plötzlich, daß sie ihre Freundin zu oft um Hilfe gebeten und zu wenig Anstrengung gemacht hatte, sich des Menschen Untrennbarkeit von Gott selber zu vergegenwärtigen.
Sie sah, daß die Wahrheit nichts Geheimnisvolles ist, so daß nur einige Eingeweihte sie verstehen; denn die Wahrheit ist allumfassend, immer gegenwärtig und durchdringt alles. Keinem sterblichen Priesterstand sind besondere Verleihungen und Vorrechte erteilt, mit Gott in Verbindung zu treten. Nicht ein Sterblicher, sondern die Wahrheit heilt. Als diese Wahrheiten in das Denken der Wissenschafterin einströmten, empfand sie ein neues, inbrünstiges Verlangen, ihr eigenes Verständnis der unendlichen Wahrheit beharrlicher anzuwenden. Mary Baker Eddy sagt uns in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 457): „Die Christliche Wissenschaft ist keine Ausnahme von der allgemeinen Regel, daß es ohne Arbeit in einer bestimmten Richtung keine Vollkommenheit gibt.“ Die Wissenschafterin erkannte, daß sie, wenn sie sich unbedingt auf die Wahrheit verließ und, wo immer möglich, ihre eigene geistige Arbeit tat, dem Himmel schneller näher käme.
Sie erkannte wie noch nie zuvor, wie wichtig es ist, die heilenden, beglückenden Wahrheiten der Christlichen Wissenschaft besser verstehen zu lernen und sie sofort anzuwenden. Sie fragte sich: „Will ich denn nur die Schmerzen und das durch eine körperliche Störung verursachte Unbehagen los werden, oder will ich Gott und den Menschen besser verstehen lernen, um mein geistiges Wachstum möglichst zu fördern?“ Sie erkannte ferner, daß sie über die Übel des Fleisches sogar größere Herrschaft beweisen würde, wenn sie ihr wahres Selbst und das wahre Selbst derer in ihrer Umgebung klarer sehen konnte. Mrs. Eddy sagt uns (Wissenschaft und Gesundheit, S. 476, 477): „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eignes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken.“
Es ist selbstverständlich recht, einen Ausüber um Hilfe zu bitten, wenn wir den Irrtum nicht schnell selber überwinden. Mrs. Eddy macht dies sogar ganz klar in Wissenschaft und Gesundheit. Sie schreibt dort (S. 420): „Wenn Schüler sich nicht selbst schnell heilen, dann sollten sie beizeiten einen erfahrenen Christlichen Wissenschafter zu Hilfe rufen. Wenn sie nicht willens sind, dies für sich zu tun, brauchen sie nur zu wissen, daß der Irrtum einen solchen unnatürlichen Widerstand nicht hervorbringen kann.“ Es besteht kein Zweifel darüber, daß wir berechtigt sind, um Hilfe zu bitten. Aber wenn die mannigfaltigen Lügen des sterblichen Sinnes an die Tür unseres Bewußtseins klopfen und Einlaß suchen, sollten wir ihnen schnell und nachhaltig jede Wirklichkeit absprechen und die Harmonie des von Gott erschaffenen Menschen — unseres wirklichen Selbst — behaupten.
Würde uns nicht oft ein wenig mehr Beharrlichkeit und ein stärkerer Glaube unserseits den Sieg bringen? Zuweilen arbeiten wir für uns selber bis beinahe zur vollständigen Heilung; aber weil wir den körperlichen Augenschein der Heilung nicht so schnell sehen, wie wir es gern hätten, schleicht sich Entmutigung ein und wir verlieren die Freude daran, die Macht der Wahrheit über den Irrtum selber zu beweisen. Der Sieg über Krankheit oder Sünde ist eine der größten, erhebendsten Freuden, die wir kennen können. Laßt uns also keine Gelegenheit versäumen, die Wahrheiten der Christlichen Wissenschaft selber zu beweisen!
Die Wissenschafterin sah, daß die Annahmen Disharmonie und Unstimmigkeit in dem Verhältnis weichen würden, wie sie sich ihre Untrennbarkeit von ihrem Schöpfer, dem Geber alles Guten, vergegenwärtigte und ihr herrliches Erbe der Herrschaft und der Vollkommenheit beanspruchte. Sie dachte daran, daß Jesus sagte (Matth. 10, 8): „Macht die Kranken gesund, reinigt die Aussätzigen, weckt die Toten auf, treibt die Teufel aus. Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt es auch.“ Sie hatte die Wohltaten der Christlichen Wissenschaft lange uneingeschränkt empfangen und sie wußte, daß sie in diesem Fall nicht nur auf eigenen Füßen stehen, sondern auch immer mehr Jesu Gebot befolgen sollte, die Wahrheit, soweit sie konnte, andern mitzuteilen. Mit Befriedigung sah sie, daß die ganze Macht der Wahrheit sowohl ihr als der ganzen Menschheit überall jetzt und ewig zu Gebote stand.
Die körperliche Schwierigkeit, an der sie gelitten hatte, war schnell in ihr Nichts vergangen, als sie ihren Standpunkt für die Wahrheit unerschütterlich vertrat und sich des Menschen Einheit mit Gott verständnisvoll vergegenwärtigte. Sie und ihr Sohn waren freudig Zeugen der heilenden Macht der Wahrheit, sofern man sie versteht und beweist.
Vollkommener Gott und vollkommener Mensch — der Mensch untrennbar von Gott — ist unsere Grundlage der Heilung. Wie dankbar wir sein können, daß unsere Führerin uns die Wahrheit in solcher Form gegeben hat, daß jedermann sie anwenden und sich selber von allen beschränkenden fleischlichen Annahmen befreien kann, wo wir auch sein oder in was für einer Lage wir uns befinden mögen. Wie der Psalmist voller Dankbarkeit sang, können auch wir singen (Ps. 28, 6. 7): „Gelobt sei der Herr; denn er hat erhört die Stimme meines Flehens. Der Herr ist meine Stärke und mein Schild; auf ihn hofft mein Herz, und mir ist geholfen. Und mein Herz ist fröhlich, und ich will ihm danken mit meinem Lied.“
