Jeder ernste Christliche Wissenschafter macht die Erfahrung, daß es für den Fortschritt in der Christlichen Wissenschaft keinen größeren Feind gibt als eine halbe Stellungnahme. Schon im menschlichen Leben kann man sehen, daß das Gelingen einer guten Sache von der Hingabe daran abhängt. Die Christliche Wissenschaft macht hierin keine Ausnahme, wie aus der Erklärung von Mary Baker Eddy in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ ersichtlich ist (S. 274): „Die göttliche Wissenschaft ist absolut und duldet keine halbe Stellungnahme beim Erlernen ihres Prinzips und ihrer Regel, denn sie begründet diese durch Demonstration.“
Wir mögen uns zuweilen fragen, warum der ersehnte Erfolg nur sehr langsam oder überhaupt nicht eintritt. Selbst unsere ehrlichen Anstrengungen, Furcht und Zweifel zu überwinden und den Augenschein der Sinne zu meistern, mögen unzureichend scheinen. Bei dem Bemühen, den Grund für den ungenügenden Fortschritt zu finden, hört man oft sagen: „Ich besuche die Gottesdienste und die Zeugnisversammlungen am Mittwoch regelmäßig, und lese die Lektionspredigt im Christlich-Wissenschaftlichen Vierteljahrsheft jeden Tag. Ich bin Mitglied einer Zweigkirche und Der Mutterkirche. Ich habe Klassenunterricht gehabt. Ich besuche Vorträge über die Christliche Wissenschaft, und doch kann ich meinen Beweis nicht erbringen.“
Erinnert dies nicht an die Antwort, die der reiche Jüngling Jesus gab, als der Meister ihm empfahl, die Gebote zu halten (Luk. 18, 21): „Das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf“? Worauf Jesus antwortete: „Es fehlt dir noch eins. Verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach!“
Wir kommen dieser unbedingten Forderung erst dann nach, wenn wir den Glauben aufgeben, daß die Materie Substanz sei, und uns trennen von dem, was uns an eine materielle Vergangenheit, an althergebrachte Verfahren und Gewohnheiten bindet. Dies sollte keine schwere Aufgabe sein, da uns Mrs. Eddy in der Christlichen Wissenschaft den Schatz im Himmel enthüllt hat. Im Licht der Christlichen Wissenschaft bringt das Aufgeben des Alten um des Neuen willen reichen Segen, wie aus der Erklärung unserer Führerin hervorgeht (Wissenschaft und Gesundheit, S. 323, 324) „Die Willigkeit, wie ein kleines Kind zu werden und das Alte um des Neuen willen aufzugeben, macht den Gedanken für die vorgeschrittene Idee empfänglich. Die Freudigkeit, die falschen Marksteine zu verlassen, und die Freude, sie verschwinden zu sehen — eine solche Gesinnung beschleunigt die endgültige Harmonie.“ Paulus zeigte den Weg zum schließlichen Aufgeben alles Irrtums, als er die Kolosser ermahnte: „Ziehet den alten Menschen mit seinen Werken aus und ziehet den neuen an“ (Kol. 3, 9. 10). Wir tun gut daran, dem Nachsatz „mit seinen Werken“ Beachtung zu schenken; es bedeutet zweifellos mit seiner irrigen Denk-, Rede- und Handlungsweise, ja, mit all den Irrtümern, die dem falschen materiellen Begriff vom Menschen anhaften.
Wenn ehrliche Selbstprüfung uns erkennen läßt, daß es unsere Art ist, eine lahme und halbe Stellung einzunehmen, die unsere Entschlußfähigkeit beeinträchtigt, sollten wir über die Worte unserer Führerin unter der Randüberschrift „Halber Erfolg“ in Wissenschaft und Gesundheit (S. 167) nachdenken: „Es ist nicht weise, eine lahme und halbe Stellung einzunehmen oder zu erwarten, daß man gleichmäßig mit Geist und Materie, Wahrheit und Irrtum arbeiten könne. Es gibt nur einen Weg, der zum geistigen Sein führt, das ist Gott und Seine Idee.“
Was ist diese Neigung zu einer lahmen und halben Stellungnahme, und woher kommt sie? Sie ist das Ergebnis einer zweifachen Gesinnung, die ihren Ursprung in dem Adam-Traum hat, daß Gutes und Böses wirklich seien. Diese zweifache Gesinnung ist die Geburtsstätte des Zweifels. Sie hält das menschliche Bewußtsein davon ab, nur den einen Gott anzubeten. In der Christlichen Wissenschaft erwachen wir aus diesem Traum zu der einen zwingenden, erneuernden und beweisbaren Wahrheit, daß Gott, das durch sich selbst bestehende Gute, alle Macht hat und allen Raum erfüllt, und daß das Böse daher machtlos, unwirklich ist.
Das sterbliche Gemüt weiß nichts von der Einheit des Guten, und es weiß daher auch nicht, daß diese Einheit zugleich die Allheit des Guten ist, also alles in sich schließt, was wahrhaft befriedigt und höchste Vollendung ist. Das sterbliche Gemüt sucht zum Beispiel geltend zu machen, daß es zwar sehr wichtig sei, sich in Mrs. Eddys Werke zu vertiefen und die christlich-wissenschaftlichen Zeitschriften zu lesen, daß aber andere religiöse Schriften für dieses Forschen ebenfalls von Nutzen sein können. Es wendet ein, daß Mrs. Eddy mit der Christlichen Wissenschaft eine wunderbare Religion entdeckt habe, daß aber altehrwürdige religiöse Bräuche beibehalten werden sollten. Es sucht zu behaupten, daß das Heilen in der Christlichen Wissenschaft wohl mit dem Urchristentum übereinstimmt, daß man aber in gewissen Fällen auf die Anwendung materieller Mittel und Verfahren nicht verzichten könne. Dringt nicht durch die Jahrhunderte hindurch der vorwurfsvolle Ruf des Propheten Elia bis in unsere Tage hinein (1. Kön. 18, 21): „wie lange hinket ihr auf beide Seiten?“ — ein Vorwurf, mit dem er das Volk Israel aufforderte, sich entweder für Gott oder für Baal zu entscheiden.
Gott verlangt unsere ganze Neigung und unsern ganzen Gehorsam; eine lahme und halbe Stellungnahme ist folglich nicht nur unfruchtbar, sondern auch irreführend, weil ein Ausbleiben des Erfolgs zu dem Trugschluß führen kann, daß die Christliche Wissenschaft versagt habe, während in Wirklichkeit Mangel an Hingabe das Versagen veranlaßt hat. Kein teilweiser, sondern ein vollständiger Verlaß auf die Christliche Wissenschaft führt zu Erfolg. Jeder, der sich ernstlich zur Christlichen Wissenschaft bekennt, weiß, daß er Mrs. Eddy als die Entdeckerin dieser Wissenschaft richtig würdigen muß. Er sieht in ihr nicht nur eine bedeutende Frau, sondern erkennt, daß sie eine ihr göttlich übertragene Bestimmung erfüllt hat.
Wer eine lahme und halbe Stellungnahme vollständig aufgegeben hat, kann unbedingt gehorsam sein, auf dem geraden und schmalen Wege der Wahrheit beharren, und die in der göttlichen Wissenschaft enthüllten Ziele erreichen. Warum sollten wir uns mit einem halben Erschauen der Wissenschaft zufrieden geben, wenn wir das Ganze haben können und haben müssen, um Vollkommenheit zu erreichen?
Zuweilen hält das menschliche Gemüt mit seiner Hingabe an die Wissenschaft zurück aus Furcht, dem Fanatismus oder einer Einseitigkeit zu verfallen, während es gerade die bedingungslose, ungeteilte Hingabe ist, die vor Fanatismus bewahrt, weil diese Hingabe Vernunft, Mäßigkeit, Geduld in sich schließt, sowie ein erbarmungsvolles Verstehen, verbunden mit der Fähigkeit, immer das rechte Wort zur rechten Zeit zu sprechen. Diese Tatsache weckt in uns das Vertrauen, das wir einer beweisbaren Wissenschaft entgegenzubringen bereit sind, während ein Halbwissen immer gefährlich ist. Jedermann weiß, daß zum Beispiel in einem Halbwissen auf den Gebieten der Technik und der Chemie die größte Gefahr lauert; wogegen ein auf Erfahrung gegründetes, umfassendes Wissen und ein Beherrschen dieser Gebiete vor Gefahr schützt.
Die menschliche Erfahrung zeigt ferner, daß das unruhige Auf und Ab und Extreme des sterblichen Gemüts auf einen aus Halbheit entspringenden Mangel an Gleichgewicht zurückzuführen sind. Die volle Hingabe an die göttliche Wissenschaft stattet die Menschen mit allem aus, was sie brauchen, um den Anforderungen des menschlichen Lebens in gebührender Weise gerecht zu werden.
In seinem Brief an die Gemeinde zu Laodizea richtet sich Johannes gegen ihre Lauheit. Er schreibt (Offenb. 3, 15): „Ich weiß deine Werke, daß du weder kalt noch warm bist.“ Die gleiche Hingabe, die den Fortschritt des einzelnen gewährleistet, überwindet auch jede Lauheit in einer christlich-wissenschaftlichen Zweigkirche und ermöglicht uns, unsere Kirchenangelegenheiten mühelos, das heißt, in göttlich eingegebener Weise zu regeln. Eine bedingungslose Hingabe an das Gute ist weit davon entfernt, etwas mit Willenskraft erreichen, oder, wie so oft gesagt wird, durchdrücken zu wollen.
Es wird sich immer wieder erweisen, daß in einem Zweig Der Mutterkirche dann der Geist der Wahrheit und der Liebe herrscht, der die Kranken heilt, wenn die Mitglieder durch treue Pflichterfüllung beweisen, daß sie sich keine halbe Stellungnahme erlauben. Eine solche Pflichterfüllung zeigt sich in regelmäßigem und pünktlichem Besuch der Gottesdienste und Versammlungen, im Geben von Zeugnissen, in hingebungsbereitem, liebevollem Dienen, in tatkräftiger finanzieller Unterstützung und — nicht zuletzt — in tätiger, auf geistiger Liebe und geistigem Verständnis beruhender Mitarbeit in den Mitgliederversammlungen.
Nur wenn Gott alles für uns ist, kann Er alles für uns tun. Laßt uns Ihm also die Gelegenheit geben, uns alles zu sein! Dadurch werden wir die höchste Machtentfaltung des Guten erleben, und dadurch beweist der Mensch seine Liebe zu Gott. Liebe ist der Tribut, den Gott von uns fordert. Der Prophet sagt (Mal. 3, 10): „Bringet aber die Zehnten ganz in mein Kornhaus ... und prüfet mich hierin, spricht der Herr Zebaoth, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle.“