Im täglichen Leben hört man häufig die Äußerung: „Es ist zu spät.“ Der Arzt, der einen schwer kranken Patienten besucht, oder der Geschäftsmann, der ein erfolgloses Unternehmen überdenkt, oder Ehepaare, die sich zur Scheidung entschlossen haben — sie alle hört man sagen: „Hier gibt's keine Hoffnung mehr; es ist zu spät“.
Der Christliche Wissenschafter wird gelehrt, diesem Irrtum niemals nachzugeben. Da er weiß, daß sein Gott, das göttliche Gemüt, ihm immer zur Verfügung steht und Seine Schöpfung immerdar erhält, weist er jeden unharmonischen Zustand als eine Lüge zurück, als das Zeugnis der materiellen Sinne, das nie wahr ist. Er erkennt, daß die Gesetze von Leben, Wahrheit und Liebe stets gegenwärtig und stets wirksam sind und den Menschen in einem Zustand ewig harmonischer Existenz erhalten. Das Annehmen und Nutzbarmachen dieser geistigen Wahrheit wandelt das menschliche Bewußtsein in solchem Maße um, daß die sogenannten Wunder Jesu sich in unserer Zeit wiederholen.
Als Jesus von dem Christus, dem großen Erlöser der ganzen Menschheit, sprach, sagte er (Matth. 28:20): „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ — das heißt, bis zur Zerstörung einer jeden Lüge hinsichtlich der restlosen Vollkommenheit des Menschen. Als der Psalmist auf die Anwendbarkeit unseres Verständnisses von Gottes erlösender Gegenwart und Macht hinwies, sagte er (Ps. 139:8–10): „Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich halten.“
Diese Tatsachen müssen wir unter allen Umständen anerkennen. Im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ schreibt Mrs. Eddy (S. 419): „Tritt jedem widrigen Umstand als sein Herr entgegen. Beobachte das Gemüt anstatt des Körpers, damit nichts, was zur Entwicklung ungeeignet ist, in die Gedanken eindringe.“ Das war die Methode, die Jesus und unsere große Führerin anwendeten. Sie standen unerschüttert angesichts der tobenden, brandenden Wogen des Irrtums. Nach Jesu Kreuzigung nahmen seine Jünger das Zeugnis der materiellen Medizin und der materiellen Wissenschaft an, demzufolge er gestorben sein sollte. Ihnen schien es zu spät, noch weiterhin etwas zu tun. Und so folgten sie dem Beispiel des Petrus, der sagte (Joh. 21:3): „Ich will hin fischen gehen.“ Sie nahmen das Zeugnis der materiellen Sinne an, obgleich Jesus sie geduldig und beharrlich gelehrt hatte, daß Geist Leben verleiht, und daß Leben ewig ist.
Laßt uns auf der Hut sein, daß wir Petrus’ Worte „ich will hin fischen gehen“ nicht wiederholen; das heißt, daß wir nicht zurückgehen zu unserer früheren Art zu leben und die Materie mit Macht ausstatten. Laßt uns Jesu Weisungen folgen (Matth. 5:25): „Sei willfährig deinem Widersacher bald, dieweil du noch bei ihm auf dem Wege bist, auf daß dich der Widersacher nicht dermaleinst überantworte dem Richter, und der Richter überantworte dich dem Diener, und werdest in den Kerker geworfen.“ Die einzige Willfährigkeit, die dem Christlichen Wissenschaft bei irgendeinem widrigen Umstand stets angeraten wird, ist die: „Ich bin ‚willfährig, nicht willfährig zu sein‘, hier und jetzt und immerdar.“ Und er lernt, dies in dem Augenblick zu tun, wenn der Widersacher ihm entgegentritt.
Das Böse oder der Irrtum, in welcher Form er sich auch zeigen mag, ist machtlos. Sünde, Krankheit, Mangel, Tod und Furcht sind alles Lügen über den Menschen. Sie sind das Zeugnis des gemütlosen Irrtums. Sie haben keinen Ursprung und daher keine Existenz. Nur wenn wir sie als wahr und wirklich annehmen, können sie auf uns wirken und im Denken so vergrößert werden, daß wir uns für unfähig halten, sie zu überwinden. Ein einfacher Hirtenjunge, der die Macht Gottes erkannte und anerkannte, trat der gewaltigen Lüge der Furcht, Goliath genannt, entgegen und überwand sie. Er sagte nicht: „Es ist zu spät, noch irgend etwas zu tun“. Er war willfährig, nicht willfährig zu sein gegenüber dieser Lüge und deckte damit ihr Nichts auf. Sein Stein traf den Goliath an die Stirn, so daß er zur Erde fiel auf sein Angesicht.
Das Böse kann nicht an uns festhalten, wenn wir es als eine Fälschung erkennen. Es vermag nichts. Wir müssen es loslassen — seine Macht sofort verneinen. Und wenn wir auch anfangs nicht vollen Erfolg dabei haben, so haben wir doch durch tätiges und beständiges Anerkennen von Gottes Allmacht und Allgegenwart Gelegenheit zu einem Sieg. Mrs. Eddy schreibt (Nein und Ja, S. 24): „Es gab nie einen Augenblick, in dem das Böse wirklich war. Diese große Tatsache, den ganzen Irrtum betreffend, bringt die weitere und herrlich Wahrheit mit sich, daß das Gute allerhaben ist.“ Und dann sagt sie: „Diesen großen Gedanken nur äußern genügt nicht! Wir müssen ihn leben, bis Gott das All und Einzige unseres Seins wird“.
Ich lernte einmal eine Frau kennen, die wegen einer Rückgraderkrankung im Krankenhaus gelegen hatte. Die Ärzte waren zu dem Schluß gekommen, daß sie nichts weiter für sie tun könnten. Sie erwarteten, daß sie bald sterben werde. Zu dieser Zeit wurde sie mit der Christlichen Wissenschaft bekannt gemacht. Ein Ausüber der Christlichen Wissenschaft wurde gebeten, ihr zu helfen, und in ganz kurzer Zeit war sie geheilt. Als ich sie traf, war sie gerade eine steile Treppe hinaufgestiegen, um an einer christlich-wissenschaftlichen Kirchensitzung teilzunehmen.
Kein Tal der Sünde, des Mangels oder der Niedergeschlagenheit ist zu tief, um gehoben zu werden; kein Berg der Selbstsucht, der Krankheit oder des Bösen ist zu hoch, um durch die allmächtige und immergegenwärtige Macht des Geistes eben gemacht zu werden. Es ist nie zu spät, zu Gott zurückzukehren und die eigene geistige Gotteskindschaft anzuerkennen; nie zu spät, den Augenschein der materiellen Sinne zu verneinen; nie zu spät, auf dem Pfad der Wahrheit zu wandeln, die ausgestreckte Hand der göttlichen Liebe zu fassen und Christus sprechen zu hören: „Du bist geheilt.“
