Die Christliche Wissenschaft, eine praktisch anwendbare Religion, lehrt ihre Anhänger, wie sie ihre Gebete wirksam machen können. Wer das Studium dieser Wissenschaft aufnimmt, lernt bald das schöne Kapitel über das „Gebet“ kennen, das im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ von Mary Baker Eddy enthalten ist. Beim Lesen dieses ganzen Kapitels wird man beeindruckt von der Einfachheit wahren Gebets. Statt wortreicher Bittgebete und einem angstvollen An-die-Brust-Schlagen ist das Gebet der Christlichen Wissenschaft ein Verstehen, daß alles Gute hier und jetzt gegenwärtig ist, ein festes Vertrauen auf den alliebenden Vater und die Demonstration der wahren Natur Gottes und Seiner Idee, des Menschen, im täglichen Leben.
Obwohl in der Christlichen Wissenschaft das Gebet der auf geistiges Verständnis gegründeten Erklärung oder Bejahung betont wird, so wird doch auch das Bittgebet nicht völlig ausgeschlossen. Unsere geliebte Führerin sagt uns in „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 2): „Durch demütige, inbrünstige Bitten können wir mehr für uns selbst tun, doch gewährt sie der Alliebende nicht einfach auf Grund von Lippendienst, denn Er weiß schon alles.“ Sie fährt fort: „Gebet kann die Wissenschaft des Seins nicht ändern, aber es dient dazu, uns mit derselben in Einklang zu bringen.“
In dem Maße, wie der Christliche Wissenschafter Fortschritte macht, lernt er verstehen, warum das Bittgebet, wenn es sich nicht zu Verständnis und Demonstration entfaltet, das geistige Wachstum mehr hemmen als fördern kann; denn solches Gebet scheint anzudeuten, daß Gott Seiner Schöpfung nicht schon alles Gute gegeben hat, und daß es dem Menschen an etwas mangelt, das er haben sollte. Unser Meister Christus Jesus offenbarte seinen Nachfolgern, daß das Himmelreich, das Reich der Harmonie, jetzt und immerdar hier ist, und daß man sich das nur klarzumachen braucht, um das göttliche Erbteil des Menschen als des vollkommenen Kindes Gottes zu demonstrieren.
Obwohl der Meister beständig im absoluten Verständnis von der Allheit Gottes verweilte, gab er seinen Nachfolgern das schönste aller Bittgebete, das „Gebet des Herrn“. Es ist jedoch zu beachten, daß selbst dieses Gebet nicht ausschließlich ein Bittgebet ist, denn es schließt mit der Erklärung, daß das Reich Gott zugehört, und daß der Vater allerhaben und immergegenwärtig ist, was darauf hinweist, daß Gott Seine Schöpfung in vollkommener Harmonie erhält und bewahrt.
Ein Christlicher Wissenschafter hatte einmal eine interessante Erfahrung mit einem Bittgebet, das in einem der schönen Lieder unserer Führerin enthalten ist. Unvorhergesehen befand er sich auf einmal in einem europäischen Dörfchen zur Zeit einer großen Festlichkeit Da er nicht geplant hatte, sich dort aufzuhalten, hatte er kein Zimmer bestellt. Wenn er jemanden nach dem Weg zu einem Hotel fragte, wurde er ausgelacht; und ihm wurde gesagt, wenn er Glück hätte, so könnte er vielleicht ein Zimmer in einer großen Stadt in einiger Entfernung finden.
„Hirte mein, zeige mir, wie ich soll gehn“, betete er in den Worten jenes Liedes Mrs. Eddys, dessen ganze erste Strophe lautet (Gedichte, S. 14):
„Hirte mein, zeige mir, wie ich soll gehn
Über die steilen, die einsamen Höh'n,
Wie ich wohl sammeln, wie säen ich kann,
Wie deine Schafe ich weiden!
Deiner Stimme will lauschen ich dann,
Daß ich nicht strauchle noch irre fortan;
Froh will ich folgen, gehst du mir voran
Auf rauhem, steinigen Pfade.“
Während er dies Lied vor sich hin summte und über die Worte nachdachte, drangen einige Worte aus der Unterhaltung einer nahestehenden Gruppe von Menschen an sein Ohr. Die Worte waren: „Gerade am Fuße des Hügels.“ Da er dies als eine Weisung ansah, ging er den Hügel hinab, während er beständig vor lauter Dankbarkeit sang, und er betrat ein Hotel gerade, als ein Gast es verließ. So wurde für ihn der Weg geebnet, geeignete Unterkunft zu finden.
Was waren wohl die wesentlichen Elemente in dieser Demonstration des Guten? Ein Bittgebet hatte das Bewußtsein des Wissenschafters für die Wahrheit der Lage geöffnet. Er wußte, daß Gott, das göttliche Gemüt, eine jede seiner Ideen an ihrem rechten Platz und in ihrer rechten Tätigkeit erhält. Nachdem er die Leitung des Hirten erbeten und sein Denken auf die Führung der Liebe abgestimmt hatte, versprach der Wissenschafter, auf die göttliche Stimme zu lauschen und dann freudig zu folgen.
Dies Versprechen gründete sich auf das vollkommene Vertrauen, daß Gott ihn recht führen würde. So vollkommen war sein Vertrauen, daß er soger ein Danklied singen konnte für Segnungen, die ihm noch nicht zuteil geworden waren. Er wußte, daß Gott ihn leiten würde, und daß aller Bedarf des Gotteskindes schon gedeckt war. Daher konnten weder Furcht noch Zweifel in sein Bewußtsein eindringen, um die Demonstration von des Vaters liebevoller Fürsorge zu hindern. Die englischen Worte, die aus dem Sprachengewirr des Wissenschafters Ohr erreichten, bildeten das Mittel, sein empfängliches Bewußtsein zu leiten. Dank seinem Bittgebet war er wachsam genug geworden, diese Weisung der göttlichen Liebe zu erkennen und ihr zu folgen.
Dies war nur ein weiterer Beweis, daß das Gebet in der Christlichen Wissenschaft wirksam ist. Gleichwohl ob es sich an Gott wendet mit der Bitte um die Heilung einer besonderen Schwierigkeit, oder ob es einen Teil des täglichen Danklieds des Christlichen Wissenschafters bildet — das Gebet, das mit Verständnis und Inbrunst dargeboten wird, ist ein heilendes Gebet. Mrs Eddy beginnt das Kapitel über das „Gebet“ in „Wissenschaft und Gesundheit“ mit den folgenden Worten (S. 1): „Das Gebet, das die Sünder umwandelt und die Kranken heilt, ist ein absoluter Glaube, daß bei Gott alle Dinge möglich sind — ein geistiges Verständnis von Ihm, eine selbstlose Liebe.“ In Beziehung auf den festen Glauben, der tatsächlich Gebet ist, sagte Jesus (Mark. 11:23): „Wer zu diesem Berge spräche: Hebe dich und wirf dich ins Meer! und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, daß es geschehen würde, was er sagt, so wird's ihm geschehen, was er sagt,“
Jede materielle Annahme, die einen zu beschränken scheint, kann durch das Gebet des absoluten Glaubens oder des geistigen Verständnisses überwunden werden. Absoluter Glaube ist geistiges Verständnis; denn absoluter Glaube gründet sich auf die Tatsachen des Seins und ist unerschütterlich, weil er weiß, und nicht nur glaubt. Auf diese Weise werden die Berge der materiellen Annahme versetzt und in das Meer geworfen — auf ihr natürliches Nichts zurückgeführt.
Wenn der Christlichen Wissenschafter betet, so öffnet er sein Bewußtsein dem Einströmen rechter Ideen. Er bringt den menschlichen Willen zum Schweigen, um eine klare Transparenz für den göttlichen Willen zu werden, und er gestattet Gott, die Führung zu übernehmen. Das ist wahres Gebet, wirksames Gebet, heilendes Gebet.
In der Christlichen Wissenschaft geschieht die Heilung immer durch Gott, die Wahrheit, nicht durch den, der betet, noch durch den, der den Segen empfängt. Die christlich-wissenschaftliche Heilung bedeutet einfach die Entfaltung eines höheren Gottesbegriffes im menschlichen Bewußtsein. Die äußere Offenbarwerdung dieser Entfaltung zeigt sich in einem besseren Gesundheitszustand, einem Wohlergehen, das die Folge einer Läuterung und Vergeistigung des Bewußtseins ist. Aus diesem Grunde betet der Christliche Wissenschafter niemals um materielle Dinge oder nur körperliche Heilung, sondern er betet um ein höheres Verständnis von Gott und dem Menschen und um die Erkenntnis des immergegenwärtigen Christus.
Jedes Problem kann in der Christlichen Wissenschaft gelöst werden durch ein Anerkennen der Tatsachen des Seins — der Vollkommenheit Gottes und Seines Ausdrucks, des geistigen Menschen — und durch eine Betätigung dieses Verständnisses. Es bedarf der Hingabe, des standhaften Festhaltens an der Wahrheit und des zuversichtlichen Vertrauens auf die Allheit und Güte Gottes, um eine Heilung in der Christlichen Wissenschaft zustande zu bringen. Diese Heilung ist nicht bloßes Mutmaßen, einfaches Zusammentreffen oder menschlicher Wille. Es ist das Wirken der Wissenschaft des Seins. Es ist erhörtes Gebet.
Das Gebet in der Christlichen Wissenschaft braucht nicht lang und mühsam zu sein. Eine einfache Erklärung der Wahrheit oder ein demütiges Gebet zur Liebe genügt, um Berge zu versetzen, wenn es von dem Verständnis begleitet wird, daß alles schon gut ist, und daß dies so ist, weil Gottes Weltall sich in Übereinstimmung mit Ihm bewegt. Der Christliche Wissenschafter hat in dem Maße Macht über materielle Annahmen und unharmonische menschliche Lagen, wie er versteht, daß der Mensch als immerdar vollkommene Idee im göttlichen Gemüt existiert. Das Dasein eines Christlichen Wissenschafters sollte ein Leben unablässigen Betens sein, das im Denken und Tun Ausdruck findet. In dem Verhältnis, wie er seinem Gebet gemäß lebt, werden ihm Gottes Segnungen kundgetan, und das Gebot des Meisters wird befolgt (Matth. 5:16): „Lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“
