In einer Welt, wo Furcht unvermeidlich scheint, ist es etwas Wunderbares, zu erkennen, daß die göttliche Liebe für jede Qual des Herzens ihr besonderes und segenvolles „Schweig und verstumme!“ hat. Die herrliche Wahrheit, daß Liebe die Furcht austreibt und die Menschen von ihrer Pein befreit, wird von der Heiligen Schrift verkündet und durch die Christliche Wissenschaft eingehend und allen verständlich erklärt und Tag für Tag im Leben derer bewiesen, die sich bestreben, die Grundlagen dieses Wirkens zu verstehen und anzuwenden. Deshalb kann diese unschätzbare Wahrheit hier und jetzt von jedem bewiesen werden, der die Regeln der Christlichen Wissenschaft befolgt. Die Tatsache, daß die Beseitigung der Furcht eine der ersten Erfordernisse bei der christlich-wissenschaftlichen Behandlung ist, zeigt klar, wie wichtig es ist, die Macht der göttlichen Liebe über die Furcht zu beweisen.
Der geliebte Jünger Johannes erklärt die geistige Wahrheit, auf der die Zerstörung der Furcht beruht, mit diesen einfachen Worten (1. Joh. 4:18): „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus.“ Wie konnte Johannes dies mit solcher Überzeugung behaupten? Weil er wußte — um es mit seinen eigenen Worten zu sagen — „Gott ist Liebe“ und „alle Dinge sind durch [ihn] gemacht, und ohne [ihn] ist nichts gemacht, was gemacht ist“ (Joh. 1:3, engl. Bibel); und „Gott [ist] Licht und in ihm ist keine Finsternis“ (1. Joh. 1:5).
Wie können wir es uns beweisen, daß Liebe die Furcht austreibt? Indem wir rückhaltlos der Tatsache zustimmen, die Johannes darlegt, sowie den vielen Erklärungen, die in unserem Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ von Mary Baker Eddy und in ihren anderen Schriften enthalten sind. Mrs. Eddy sagt im Lehrbuch (S. 454): „Das Verständnis der göttlichen Allgewalt, sogar nur in geringem Grade, zerstört die Furcht und stellt die Füße auf den rechten Pfad — den Pfad, der zu jenem Hause führt, das nicht mit Händen gemacht ist, sondern, ewig. .. im Himmel‘ ist.“ Wir können den Segen, auf den unsere Führerin mit dieser Erklärung hinweist, erlangen, wenn wir uns aufrichtig bemühen, diese Lehre zu verstehen, wenn wir in jedem Augenblick anwenden, was wir verstehen und so Schritt für Schritt beweisen, daß ihr Gesetz göttlich und seine Wirkung unfehlbar ist. Der Vorgang wird wesentlich abgekürzt, wenn wir bereitwillig und freudig den Gedanken aufgeben, daß wir eigentlich menschliche Wesen sind, die nach einem fernliegenden Ziel streben, und statt dessen unsere geistige Wesenheit als den von Gott geschaffenen Menschen anerkennen.
Beim Erlernen, wie Sorge und Angst, die das Leben manchmal zu einem Alpdruck zu machen scheinen, überwunden werden können, müssen wir über die Furcht nachdenken, um zu verstehen, warum ihre scheinbare Macht keinesfalls wirklich sein kann, und um zu begreifen, daß sie keinen tatsächlichen Ursprung hat. Forschen wir dabei in der Heiligen Schrift, so finden wir viel Licht und Klarheit im zweiten und dritten Kapitel der Genesis. Hier lesen wir, daß als der Nebel von der Erde aufging und Adam erschien, zum ersten Mal der Anspruch aufkam, der Mensch sei von Gott getrennt, lebe sein eigenes Leben und wirke aus eigener Kraft. Dieser sogenannte Mensch, der bereits seine eigene Unfähigkeit, diesen Anspruch aufrecht zu erhalten, fühlte, fiel leicht dem Versucher zum Opfer, der ihm einen Weg zu größerer Macht versprach, nämlich einem Gott gleich zu werden, sobald er von der verbotenen Frucht äße. Als diese falsche Vorstellung von Macht angesichts der Wahrheit im Garten versagte, kam die Furcht über ihn und er verbarg sich vor der göttlichen Stimme. Das christlich-wissenschaftliche Lehrbuch erklärt mit einleuchtender Ausführlichkeit dies symbolische Geschehen und beschreibt dann das erste Auftreten der Furcht mit folgenden Worten (S. 532): „Furcht war die erste Kundgebung des Irrtums des materiellen Sinnes. So begann der Irrtum den Traum der Materie, und so wird er ihn enden.“
Gewährt uns dieser Bericht nicht einen Einblick in den scheinbaren Ursprung und die Art der Furcht, wie sie in all ihren unzähligen Gestaltungen erscheint? Als erste sehen wir den Anspruch eines von Gott getrennten Menschen mit einem ihm eigenen Gemüt, einem materiellen Körper und einem ihm angehörenden, begrenzten Leben und begrenzter Kraft; wird dieser Anspruch jedoch mit der Wahrheit in Berührung gebracht, so erweist er sich als Lüge. Schließlich sehen wir, wie der sterbliche Mensch, wenn er erkennt, daß alles verloren ist, der Furcht und ihren Qualen verfällt. Wenn wir erfassen, in welcher Weise die Furcht sucht, sich Anerkennung zu verschaffen, können wir in unserem Leben leichter das Nichts eines jeden Furchtgefühls durchschauen und uns so voll Vertrauen und in der rechten Weise mit ihr befassen.
Im Lichte des Vorangehenden wird es offensichtlich, daß wenn wir den Anspruch eines Sterblichen mit einem persönlichen Gemüt und Körper, mit eigenem Leben und eigener Kraft, verwerfen und uns die Gegenwart des wirklichen Menschen, des einzigen Menschen, des Ebenbildes der Liebe, vergegenwärtigen, der in der Allheit der Liebe und der Einheit mit seinem Vater lebt — dann kann es in unserem Leben keine Furcht geben. Was auch als ein nachteiliges Ereignis erscheinen mag, es hat nicht die Macht, den Menschen zu beeinflussen, der sich eins mit seinem Vater, der göttlichen Liebe, weiß. In seinem Buche „Word Studies in the New Testament“ übersetzt der Verfasser M. R. Vincent zum Teil den griechischen Urtext, dem das Zitat 1. Johannes 4:18 entnommen ist. Bei der Auslegung der Stelle: „Furcht ist nicht in der Liebe“ erklärt er, daß sie wörtlich übersetzt heißen könnte: „Es gibt keine Furcht; sie hat keine Existenz.“
Laßt uns sehen, wie solche Wahrheiten auf die einzelnen menschlichen Erfahrungen angewendet werden können. Ein noch neuer Anhänger der Christlichen Wissenschaft begann gerade seine Tätigkeit als Geschäftsreisender in einer großen Stadt an der Küste. Seine Firma hatte ihm einen zweiwöchigen Kursus zuteil werden lassen, um ihn mit der Handhabung der Artikel, die er verkaufen sollte, vertraut zu machen. Er stellte eine Liste der voraussichtlichen Kunden zusammen, die er persönlich kannte. Mit dieser Liste in der Hand, einer auswendig gelernten, einführenden Werbung im Sinn und den ermutigenden Worten seines Chefs noch in den Ohren — so machte er sich auf den Weg. Die oberste Adresse auf seiner Liste war die eines Geschäftsfreundes und Nachbarn, den er als sehr gütig kannte und von dem er annehmen durfte, ihn zum Kunden gewinnen zu können. Mutig schritt er die Straße hinauf, fand das Haus und schickte sich an, das Gebäude zu betreten. Irgend etwas jedoch hielt ihn vom Eintreten zurück. Plötzlich sah er sich als Sterblichen auf einem befremdenden, neuen, unerfreulichen Geschäftsgang. Panische Angst erfaßte ihn. Er bestieg die nächste Untergrundbahn und fuhr weit hinaus an die Küste; dort verbrachte er den Tag, indem er am Strand saß und auf die unermeßliche Weite von Meer und Himmel und Wolken blickte, betend, daß die göttliche Liebe ihre holde Gegenwart in das Dunkel seiner Angst senden möge.
Schließlich kam das ihm bestimmte „Schweig und verstumme“. Wie ein Lichtschimmer dämmerte in ihm die Überzeugung auf, daß er mit seinen Verkäufen ein Segen für seine Kunden sein könnte; daß die Macht der göttlichen Liebe und kein persönliches Bemühen ihn antreiben müßte, seine Verkaufsartikel dem Freunde anzubieten, und daß kein Gedanke an Geldgewinn oder -verlust das Ergebnis bestimmen würde. Vor diesem Lichtschimmer der Liebe wich die Annahme von persönlichem Tun, und die Furcht verschwand. Gerade vor Geschäftsschluß kam er zurück, trat durch die Tür ein, die ihn vorher zurückgehalten hatte, fand freundliche Aufnahme und erzielte sofort einen Verkauf der Erzeugnisse seiner Firma. Bei jenen ersten schwachen Schritten auf dem Weg, wo Liebe die Furcht vertreibt, konnte dieser Beweis nicht mißverstanden werden, und die Fähigkeit, die gesegnete, von Johannes verkündete Wahrheit in jeder Situation seiner menschlichen Beziehungen anzuwenden, nahm in dem Maße zu, wie er in ihrer Anwendung beharrlich blieb.
So kann bei jedem Aufkommen der Furcht gefunden werden, daß der jeweilige Anspruch, ein Mensch handele getrennt von Gott, ihre falsche Grundlage bildet; und sie wird in dem Maße zerstört, wie wir durch die göttliche Liebe die völlige Sinnlosigkeit dieser Vorspiegelung erkennen. Wenn es sich um Furcht vor Mangel an Geld, an menschlicher Kameradschaft, Gesundheit oder an anderen natürlichen und normalen Erfordernissen des gegenwärtigen Lebens handelt, so liegt dem immer der Anspruch zugrunde, der Mensch sei von einem materiellen Zustand oder einem menschlichen Wesen abhängig. Die göttliche Liebe offenbart die Falschheit dieses Irrtums und zerstört die Furcht durch die Erkenntnis der Tatsache, daß die Liebe Gottes Gesetz der individuellen und universellen Harmonie erfüllt. Der Meister Christus Jesus legte dieses Gesetz mit großer Innigkeit dar in den Worten, die er den Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn sprechen läßt (Luk. 15:31): „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.“
Es mag Zeiten geben, in denen wir scheinbar von einem Gefühl des Zweifels und der Unruhe beherrscht werden, das offensichtlich nichts mit den Zuständen, Personen oder Geschehnissen unserer gegenwärtigen Erfahrung zu tun hat, dennoch recht quälend ist. In einer solchen Zeit sollten wir unser Beten zu einer ehrlichen Selbstprüfung machen. Wir wissen, daß jeder Zweifel im Grunde Furcht ist, und wir haben bereits gesehen, daß Furcht zu dem falschen Anspruch, dem falschen Zeugnis, gehört, nicht aber einen Teil des wirklichen Menschen ausmacht. So können wir uns fragen: „Habe ich mich unwissentlich in irgendeiner Entscheidung oder Handlungsweise irrig beeinflussen lassen? Habe ich in irgendeiner Weise der Unwissenheit, dem Mißverständnis oder dem Eigenwillen erlaubt, mich zum Abweichen von der Wahrheit zu bringen?“ Wenn dem so ist, dann mag dies Gefühl der Unruhe uns dazu führen, den Irrtum zu erkennen und zu überwinden, und dann den Frieden zu genießen, der uns rechtmäßig zugehört. Wie der Seemann seinen eingeschlagenen Kurs oft mit dem Kompaß vergleicht, so richtet auch der Christliche Wissenschafter dauernd seinen Kurs nach der Wahrheit, nach dem göttlichen Prinzip des Seins, und paßt sein Handeln der Führung der göttlichen Liebe an. Niemals verdammt er sich oder andere, wenn er merkt, daß er von seinem Kurs abgewichen ist; er dankt statt dessen Gott, daß er diesen ihn führenden Kompaß der Wahrheit besitzt, und schlägt unverzüglich die rechte Richtung ein.
Zu allgemein hat die Menschheit den Glauben angenommen, gewisse Besorgnisse seien unabwendbar, so besonders die Furcht vor Alter und Tod. Da diese Furcht, wie manche andere, der falschen Vorstellung von einem materiellen Menschen entstammt, besitzt sie ihre Scheinmacht und Existenz nur so lange, wie an diese Vorstellung geglaubt wird. Wir müssen verstehen, daß das Gute und nicht das Böse unabwendbar ist, daß das Böse unwirklich ist, gleichviel ob wir uns unserer individuellen, von Gott verliehenen Vollkommenheit und Unsterblichkeit jederzeit bewußt sind oder nicht.
Mrs. Eddy bringt uns die Wahrheit über die Allgegenwart und Macht der Liebe sehr nahe durch eine inspirierende Erklärung in „Message to The Mother Church for 1902“ (Botschaft an Die Mutterkirche für 1902, S. 8): „Durch geistige Liebe wird sich der Mensch bewußt, daß Gott sein Vater ist, und das Bewußtsein von Gott als Liebe gibt dem Menschen Kraft in unbegrenzter Entfaltung. Dann wird Gott für ihn die Allgegenwart — die alle Sünde vernichtet; die Allmacht — die Leben, Gesundheit und Heiligkeit verleiht; die Allwissenheit — das ganze Gesetz und Evangelium.“
Ist das Gefühl einer tiefen Liebe zu Gott, die wir empfinden, und das aufrichtige, liebevolle Interesse für unsere Mitmenschen nicht ein Zeichen dafür, daß die göttliche Liebe in uns wirkt? Laßt uns diese innere Kraft bei jeder möglichen Gelegenheit in uns stärken und sie anwenden, pflegen und verherrlichen, denn sie ist die Wirklichkeit vom Sein des Menschen. Ohne den Impuls und das Feuer dieser inneren Kraft mögen all die hier vorangehenden Ausführungen wenig Bedeutung haben, doch mit ihrer geistigen Weihe sind uns die Resultate unserer Gebete gewiß. Dann werden wir erkennen, daß wir immer mehr im Bewußtsein unserer Verbundenheit, unserer Einheit mit unserem Vater-Mutter Gott, Liebe, verweilen, wo es keine Furcht gibt. Und dann werden wir erleben, daß die göttliche Liebe die Furcht austreibt und zwar individuell, allgemein und unverzüglich.
