Diejenigen, die in Jerusalem nach Jesus suchten, weil er gewagt hatte, am Sabbat zu heilen, mögen erstaunt gewesen sein über die Ruhe des Menschen, zu dem sie gekommen waren, um ihn zu verhaften und zu töten. Ihnen furchtlos entgegentretend, verkündigte Jesus sein Einssein oder seine Verbundenheit mit dem Vater und fügte die bedeutungsvollen Worte hinzu (Joh. 5:39): „Suchet in der Schrift; denn ihr meinet, ihr habet das ewige Leben darin; und sie ist's, die von mir zeuget.“ Diese Männer, deren Denken durch den Buchstaben des Gesetzes verdunkelt war, konnten nicht den Schlüssel erfassen, den Jesus ihnen darbot, den Schlüssel, der ihnen die Prophezeiungen von Jesaja und Hesekiel erschlossen haben könnte, sowie die Entfaltung der geistigen Idee im Leben der Patriarchen und Propheten — die Wahrheit über den Menschen als Bild und Gleichnis Gottes.
Die Worte unseres Heilandes bedeuteten den Pharisäern gar wenig. Doch die demütigen Jünger begriffen Jesu Demonstration des Christus, sowie auch Paulus, welcher lehrte, daß das Christus-Bewußtsein in allen Menschen erweckt werden könnte. Den Hebräern sagte Paulus (Hebr. 3:14): „Wir sind Christi teilhaftig geworden, so wir anders das angefangene Wesen bis ans Ende fest behalten.“ Und an die Epheser schrieb er (Eph. 3:14, 17): „Derhalben beuge ich meine Kniee vor dem Vater unsers Herrn Jesu Christi,. .. daß Christus wohne durch den Glauben in euren Herzen.“
Durch die Jahrhunderte hindurch hat das Wort Gottes die Herzen der Menschen bereitet und belebt, bis das menschliche Bewußtsein genügend bereichert worden war und die Zeit gekommen, die Christliche Wissenschaft zu offenbaren. Nachdem Mary Baker Eddy von einem vermeintlich todbringenden Unfall wieder genesen war, indem sie den biblischen Bericht von Jesu Heilung des Gichtbrüchigen gelesen, begann sie ein eingehendes und inspiriertes Studium der Heiligen Schrift, um das göttliche Gesetz zu ergründen, das ihre Heilung bewirkt hatte. Durch ihr hingebendes Forschen wurde ihr die wesentlich geistige Bedeutung der Bibel enthüllt; und sie begründete die Religion der Christlichen Wissenschaft auf dieser sicheren Basis. Es wurde Mrs. Eddys erleuchtetem Bewußtsein klar, daß die Schöpfung eines Gottes, der vollkommen gut ist, nur aus Gutem besteht, und daß daher das Böse keine Stätte darin haben kann; denn das Böse in irgendeiner Form würde die Allheit Gottes, des Geistes, verneinen. Sie erkannte, daß Jesus den Christus veranschaulichte, daß jedoch der Christus immer gegenwärtig ist und die untrennbare Verbundenheit von Gott und dem Menschen verkündigt.
Die Klarheit des geistigen Schauens und die Inspiration der großen Gestalten des Alten Testaments wird wiederholt von Mrs. Eddy betont. In beachtenswerten Worten weist unsere Führerin an einer Stelle in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ darauf hin (S. 213): „Es ist denkbar, daß die Eindrücke der Wahrheit so deutlich wie Laute waren, und daß sie in Lauten zu den ersten Propheten kamen, ehe das menschliche Wissen in die Tiefen einer falschen Auffassung der Dinge hinabgetaucht war — in die Annahme eines materiellen Ursprungs, die das eine Gemüt und die wahre Quelle des Seins verwirft.“
Das Unkraut des materiellen Wissens, das dicht neben dem Weizen des Christentums zu wachsen scheint, trägt keine Früchte. Die Kraft und Inspiration des Christus-Geistes sind erforderlich, um die höheren Ideale unserer Zeit und das erwachende Verlangen nach universaler Brüderschaft zu ihrem vollen und vollkommenen Ausdruck zu bringen.
Die Bibel ist mehr als eine Geschichte des jüdischen Volkes. Die Heilige Schrift ist von jeher zugleich die Wiege und der Hüter der geistigen Wahrheit gewesen; sie leuchtet weiter, ein strahlendes, herrliches Licht, das es allen Menschen überall ermöglicht, ihr wahres Erbteil als der Kinder Gottes verstehen zu lernen. Die Allumfassendheit ihrer Mission erklärt die Wahl des aufgenommenen Stoffes und die vielen unerwarteten Auslassungen in den biblischen Berichten. So zum Beispiel die Geschichte von Abraham: nichts wird uns von Ur erzählt, der Stadt, die seine Familie verließ, ehe er die Suche nach der Wahrheit begann; obwohl Ur ein Mittelpunkt des Wissens und der Kunst jener Tage war. Wir hören keine Einzelheiten über Abrahams Reichtum, seine Nachbarn oder seine Lebensweise, denn all diese Dinge ermangelten der geistigen Bedeutung. Andrerseits werden die Leiden der Sklavin Hagar in der Wüste anschaulich berichtet, denn in ihrer Notlage wendete sie sich an Gott um Hilfe, und sie wurde erhalten.
Die Tatsache, daß viele Geschehnisse, die für die Israeliten von nationaler oder politischer Bedeutung waren, nicht in der Bibel erwähnt werden, sollte uns zum Nachdenken anregen und mag manchen Bibelforschern eine wertvolle Warnung sein. Die Rekonstruierung der weltlichen Geschichte biblischer Zeiten, die auf archeologischen Forschungen beruht, ist ganz in der Ordnung; doch ein zu eingehendes Interesse dafür mag unsere Erkenntnis der inspirierten biblischen Berichte verdunkeln, indem es unsere Aufmerksamkeit zu sehr auf gewisse Ereignisse lenkt, welche wohl von den ursprünglichen Verfassern absichtlich unerwähnt gelassen wurden, weil sie belanglos für die von ihnen gelehrten Wahrheiten waren. In einem Auszug aus einer der Predigten Mrs. Eddys lesen wir (Miscellaneous Writings, Vermischte Schriften, S. 170): Die materiellen Berichte der Bibel, sagte sie, haben keine größere Bedeutung für unser Wohlergehen als die Geschichte Europas und Amerikas; doch ihre geistige Anwendung ist wichtig für unser ewiges Leben. Die Methode, die Jesus anwandte, war rein metaphysisch, und keine andere Methode ist Christliche Wissenschaft.“
Von ihrem eigenen Forschen schreibt unsere Führerin (Wissenschaft und Gesundheit, S. 107): „Nach meiner Entdeckung suchte ich drei Jahre lang nach der Lösung dieses Problems des Gemüts-Heilens, forschte in der Heiligen Schrift, las wenig andres, hielt mich von der menschlichen Gesellschaft fern und widmete Zeit und Energie der Entdeckung einer positiven Regel.“ Und in demselben Abschnitt fügt sie hinzu: „Die Offenbarung von dem Verständnis der Wahrheit kam mir nach und nach und sichtlich durch göttliche Kraft.“ Vor allem müssen wir die inspirierte Deutung der Bibel, wie unsere Führerin sie darlegt, bedenken und in uns aufnehmen lernen, was uns den Christus offenbaren wird — wie Jesus verhieß, als er von der Heiligen Schrift sagte: „Sie ist's, die von mir zeuget.“
Wenn wir den Christus von ganzen Herzen suchen, so werden wir nicht den Tadel Jesu verdienen, den er an jene Juden richtete, die da glaubten, das ewige Leben könnte im Buchstaben des Gesetzes ohne den Geist desselben gefunden werden. Die gleiche schlangenartige, heimtückische Lüge will uns auch heute noch verführen. Der Intellektualismus bietet uns immer noch seinen wertlosen Ersatz für Inspiration an, und falsche Schlußfolgerungen suchen uns menschengemachte Pläne für die Lösung unserer Probleme aufzudrängen. Solche Pläne würden uns der Freude berauben, auf Gottes Stimme zu lauschen und auf den Pfaden zu wandeln, die Er uns weist. Doch der falsche Intellektualismus und das nur menschliche Planen lassen uns kalt und bringen uns keinen Trost. Sie sind aufgebaut auf der Annahme, daß das Böse ebenso wirklich sei wie das Gute — einem Irrtum in der Voraussetzung, der unvermeidlich zu einem irrigen Schluß führt. Folgerungen, die auf Offenbarung beruhen, sind wertvoll; denn solche Beweisführung ist aufgebaut auf der sicheren Grundlage von der Allheit Gottes und Seiner vollkommen guten Schöpfung.
Die Gewißheit von Gottes Bereitwilligkeit und Fähigkeit zu helfen, war der Felsen, auf dem die Patriarchen und Propheten ihr Leben aufbauten. Abraham redete mit Gott; Moses wartete auf Seine Führung; Elias, Daniel und viele andere hörten Seine Stimme und gehorchten. Die großen biblischen Gestalten sind unsere Freunde; sie stehen uns sehr nahe, denn wir streben nach den gleichen Zielen, haben den gleichen Versuchungen entgegenzutreten, und freuen uns — ebenso wie sie sich freuten — wenn die Innigkeit der göttlichen Gnade uns von neuem offenbart wurde. Jesus war wohl vertraut mit den Schriften des Alten Testamentes; und mit seinem Leben und seinem Beispiel fügte er das allumfassende Evangelium der Liebe hinzu.
Die Bibel ist unser köstliches Erbteil, und alle, die ihre Wahrheitslehren bereitwillig annehmen und freudig befolgen und „das angefangene Wesen bis ans Ende fest behalten“, werden „Christi teilhaftig“ werden. Jesu Verheißung gilt auch noch für unsere Zeiten: „Suchet in der Schrift; ... sie ist's, die von mir zeuget.“