Erfahrung ist unerläßlich für geistigen Fortschritt, denn Erfahrung allein ist der Prüfstein für das Verständnis der Wirklichkeit. Mary Baker Eddy sagt in ihrem Werk „Miscellaneous Writings“ (Vermischte Schriften, S. 293): „Die Erfahrung wägt auf Gottes Waage die Bedeutung und Macht der Wahrheit ab gegen die widerstrebenden Ansprüche des Irrtums.“ Im Lichte dieser Erklärung sollte der Christliche Wissenschafter willig sein, der menschlichen Erfahrung mutig entgegenzutreten, im festen Glauben daran daß die Macht der Wahrheit das Übergewicht über den Irrtum hat. Wenn man vermeidet, die Verantwortung für das Überwinden des Irrtums zu übernehmen, so schiebt man lediglich die Gelegenheit auf, im Verständnis der Macht Gottes zu wachsen. Es wird oft darauf hingewiesen, daß David sich nicht vor dem Treffen mit Goliath fürchtete, sondern dem prahlerischen Feinde der Israeliten entgegenlief.
Wenn unsere Beweggründe lauter sind und wir den Wunsch hegen, den göttlichen Willen als das regierende Gesetz des Universums zu beweisen, so können wir stets gewiß sein, daß wir von dem allmächtigen Vater unterstützt werden. Davids Gewißheit lag in der Tatsache, daß Goliath machtlos war, weil er „das Heer des lebendigen Gottes. .. geschändet“ hatte (1. Sam. 17:36). Jeder böse Umstand stellt einen Widerspruch gegen die Tatsache von Gottes Allheit dar und ermangelt daher der Autorität oder Fähigkeit zu beharren. David trat dem Philister auf Grund seiner früheren Erfahrung bei Überwindung eines Löwen und Bären furchtlos entgegen; und wir werden finden, daß jeder Sieg über den Irrtum in unserer individuellen Erfahrung uns den Mut gibt, den Forderungen der Christlichen Wissenschaft zu entsprechen.
Mitunter schieben die Anhänger der Wissenschaft die Gelegenheit auf, Gottes Allheit und die Kraft des Menschen als geistiges Ebenbild Gottes — grundlegende Wahrheiten, welche die Christliche Wissenschaft offenbart — zu beweisen, wenn sie von Menschen mit Problemen um Hilfe gebeten werden. Diese zögernden Schüler sind abgeneigt, die Tatsachen des Seins anzuwenden, von denen sie zugeben, daß sie Heilkraft besitzen. Sie behaupten, sie hätten wenig oder gar keine Erfahrung in der Heilarbeit. Aber wann wollen sie damit beginnen? Obgleich es weise ist, sich nicht in die Ausarbeitung von Problemen zu stürzen, für deren Handhabung man geistig nicht ausgerüstet ist, so ist es andererseits doch weise, solche Fälle willig anzunehmen, in denen das aggressive Böse nicht so ausgesprochen in seiner Wirksamkeit ist. Man sollte jedoch nicht vergessen, daß die bösartigsten Krankheiten von dem Anfänger geheilt werden, der die Frische der Inspiration besitzt, die das neue Wunder der Entfaltung der Wahrheit begleitet. Es ist ein leichter Ausweg, anderen die Verantwortung zuzuschieben. Aber soll die Wissenschaft lediglich eine Theorie für uns bleiben?
Da aller Irrtum eine Mythe ist, wie die Christliche Wissenschaft darlegt, und da unerfreuliche Ereignisse gänzlich unwirklich sind, so sollte es uns klar sein, daß das Zerstören einer sterblichen Illusion eine wunderbar gute Gelegenheit und keine Last ist. Mrs. Eddy sagt in „Miscellaneous Writings“ (S. 278): „Es scheint mir seit einiger Zeit, daß durch meine beständige Unterweisung die Erfahrung meiner Schüler verkümmern könnte, da sie meine Reife für die ihrige halten. Wenn sie lernen müssen durch das, was sie erleiden, dann — je schneller diese Lektion gelernt wird, desto besser.“
Um ihren Schülern die Gelegenheit zu bieten, durch Erfahrung zu wachsen, zog sich Mrs. Eddy so schnell, als es ihr ratsam erschien, von der Teilnahme an deren Unternehmungen zurück. Sie fand, daß dies Vorgehen höhere Fähigkeiten in ihren wahren Nachfolgern entwickelte. Unsere Führerin gab Lehrern und Ausübern ein Beispiel, dem sie folgen sollten. Schüler und Patienten sollten keine „beständige Unterweisung“ erwarten, sondern sollten ermutigt werden, durch individuelle Anstrengungen zu demonstrieren, was sie wissen. Erfahrung wird ihr geringes Verständnis am besten zur Reife bringen; und ihre Macht, die Wahrheit zu beweisen, wird sich dadurch entfalten. Obgleich der Schüler zuzeiten Unterstützung und Erklärungen von geistig vorgeschritteneren Wissenschaftern benötigen mag, so sollte er doch stets bereit sein, die Wahrheiten zu beweisen, die er versteht, und auf diese Weise höher zu steigen. Er sollte bestrebt sein, seine eigene Erlösung auszuarbeiten.
Christus Jesus unterwies seine Jünger gründlich in der Kunst des Heilens. Aber er sandte sie auch früh auf Missionen aus, um zu predigen, zu lehren und zu heilen. Er wußte, daß Belehrung durch Erfahrung ergänzt und vollendet werden muß. Mit Bezug auf mögliche Zusammenstöße mit dem Irrtum sagte er (Matth. 10:26): „Fürchtet euch. .. nicht vor ihnen. Es ist nichts verborgen, das nicht offenbar werde, und ist nichts heimlich, das man nicht wissen werde.“
Wenn dem Irrtum furchtlos entgegengetreten wird, so wird die Unwirklichkeit des Bösen sicherlich aufgedeckt werden. Und die Erfahrung des individuellen Beweisens seiner Unwirklichkeit ist unerläßlich, wenn man das Bewußtsein von des Menschen Erbe der Herrschaft erlangen will.
Die Christlichen Wissenschafter machen sehr früh die Erfahrung, daß die Stunden, die in mentaler Untätigkeit oder bloßer Unterhaltung über die Wahrheiten, die sie interessieren, verbracht werden, besser auf definitive Bemühungen verwandt werden, diese erörterten Wahrheiten zu beweisen. Mrs. Eddy sagt in „Miscellaneous Writings“ (S. 156): „Sich-Versammeln und freundschaftlich oder kampflustig einander zuhören, hilft den Anhängern nicht, sich die echte Christliche Wissenschaft anzueignen. Erfahrung, und vor allem Gehorsam sind in dieser Richtung die Hilfsmittel und Prüfsteine für Wachstum und Verständnis.“
Die Ausbreitung der christlich-wissenschaftlichen Bewegung hängt von der Bereitwilligkeit aller Anhänger der Wissenschaft ab, an der Heilung der Menschheit teilzunehmen. Jeder Wissenschafter sollte als jemand bekannt sein, der fähig ist, in gewissem Maße zu beweisen, was er von der Wahrheit anerkennt. Tägliche gebetvolle Arbeit ist notwendig, um die Nichtigkeit der aggressiven Suggestion zu erkennen, daß man nicht imstande sei zu beweisen, was man als wahr erkannt hat. Nur so kann man seinen Platz in der Welt ausfüllen, als lebendiger Zeuge für die Tatsache, daß der Geist herrscht und daß der Mensch allein von Gott regiert wird.