Ein Bekannter sagte einst zu mir, daß er sich zu krank und zu verängstigt durch seine Schwierigkeiten fühlte, um sich selbst eine Behandlung in der Christlichen Wissenschaft zu geben. Ich fragte ihn, ob er zu unglücklich wäre, um ehrlich zu sein. Er antwortete, daß er selbstverständlich ehrlich sein könnte, weil das seine Natur sei. Es sei seine Lebensweise. Was er anzweifelte, war seine Fähigkeit, sich auf geistige Dinge zu konzentrieren, wenn sein Denken so verwirrt war. Seine Einstellung umging natürlich den Hauptpunkt, nämlich, daß das grundlegende Ziel des Gebets oder der metaphysischen Behandlung nicht lediglich die Erwägung gewisser Ideen, sondern die beständige Demonstration der geistigen Lebensweise ist.
Es besteht ein großer Unterschied zwischen der bloßen Betrachtung von Ideen und dem Leben von Ideen. Man könnte über die Götter des alten Griechenlands nachdenken, seinen ganzen Tag im Studium derselben zubringen und an wenig oder gar nichts andres denken, ohne seine Art zu denken, seine Lebensweise zu ändern. Man könnte über Ehrlichkeit nachdenken, ohne selbst ehrlich zu sein. Und man könnte über all die christlichen Eigenschaften nachdenken, ohne sie zu der Art und Weise zu machen, in der man lebt.
Wahrer Glaube, gleich der Ehrlichkeit, ist in der Art zu denken und zu handeln eingeschlossen, der wahren Weise zu leben. Demut ist eine Haltung der Erfahrung gegenüber. Reinheit ist ein Maßstab, den wir aufrecht erhalten, ungeachtet der Einflüsterungen, die kommen und gehen. Der Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit — so unbedingt notwendig für den Fortschritt — ist eine tiefe Sehnsucht, ein tiefes Verlangen nach den Dingen Gottes, und nicht lediglich ein Konzentrieren auf metaphysische Argumente.
Es ist die Art und Weise, wie wir denken und handeln, die der Vergeistigung bedarf, um Heilung in der Christlichen Wissenschaft herbeizuführen. Bloßes Nachdenken über die Wahrheit war nicht Jesu einziger Prüfstein des Erfolges. Er sagte deutlich (Joh. 13:17): „So ihr solches wisset, selig seid ihr, so ihr's tut.“ Es war das Beharren in seiner Lebensweise — das Tun — das frei machte. Lukas berichtet seine Worte (6:46): „Was heißet ihr mich aber Herr, Herr, und tut nicht, was ich euch sage?“
Was sagte Jesus? Er sagte, wir sollten seinem Beispiel folgen, seinem Weg des Lebens. Er erläuterte seinen Weg voll und ganz und so ausführlich, daß wir ihn den Wegweiser nennen. Er machte den Weg so klar, daß jeder, ungeachtet seiner persönlichen Ängste oder Befürchtungen oder Schmerzen, Jesu nachfolgen kann. Die Zusammenfassung seiner Aussprüche, seitdem die Bergpredigt genannt, ist ein Abriß christlicher Belehrungen, wie man leben soll. Sie befaßt sich mehr mit dem innerlichen Gewissen, als mit äußerlichem Betragen.
Die Christliche Wissenschaft fügt den Lehren Jesu wenig wesentlich Neues zu, außer der Erklärung. Wenn der Christliche Wissenschafter die Schriften von Mary Baker Eddy liest, so sieht er sich denselben Forderungen nach Christlichkeit gegenüber, die Jesus an seine unmittelbaren Jünger stellte. Und im Gehorsam gegen diese Forderungen finden wir Heilung.
Ein Beispiel mag dies erläutern. Ein Schüler dieser Religion hatte eine schmerzhafte Magenverstimmung, die dem nicht weichen wollte, was er für seine besten Anstrengungen in der Anwendung der Christlichen Wissenschaft hielt. Er dachte über geistige Wahrheiten nach, versuchte, alles andere aus seinem Denken auszuschalten und bemühte sich zu wissen, daß er gesund war. Man könnte sagen, daß er verzweifelt versuchte, sich in Gesundheit hinein zu denken. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß er mehr tun müsse, als bloß immer und immer wieder die Wahrheiten zu wiederholen, die er in der Bibel und in den Schriften von Mrs. Eddy gelesen hatte.
Er hatte keinen Erfolg, aber er fuhr fort. Als er eines Tages in den Psalmen las, kam er an die folgende Erklärung (17:15): „Ich will satt werden, wenn ich erwache, an deinem Bilde.“ Plötzlich wurde ihm klar, daß Zufriedenheit mit der geistigen Wirklichkeit nicht etwas ist, über das man lediglich nachdenkt, es ist vielmehr die Art, wie man empfindet, die Lebensweise. Es war eine freudige Vergegenwärtigung, nicht eine gedankliche Konzentration. Dies war genug, um ihm den Weg in seinem ferneren Studium und seinen weiteren Anstrengungen zu weisen. Jetzt hatte er etwas zu tun, und nicht nur etwas zum bloßen Nachdenken. Er mußte eine Änderung in seiner Lebensweise vornehmen, bis er Frieden und Zufriedenheit in der geistigen Wahrheit über sich selbst fand. Dies geschah und seine Heilung war eine bleibende.
In dieser Erfahrung sind zwei Punkte sehr interessant. Es waren Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, die ihn im Studium der Christlichen Wissenschaft beharren ließen. Und es war der Weg des Lebens, das heißt Zufriedenheit mit der geistigen Wirklichkeit, die schließlich den Lohn der Demonstration brachte.
Rechtes Denken ist die Grundlage für rechtes Handeln; dies ist unverkennbar. Aber es ist das rechte Handeln, das heilt, nicht das bloße Nachdenken über rechtes Handeln. Auf Seite 4 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ schreibt Mrs. Eddy: „Am meisten bedürfen wir des Gebetes inbrünstigen Verlangens nach Wachstum in der Gnade, das in Geduld, Sanftmut, Liebe und guten Werken zum Ausdruck kommt. Wir sind es unserm Meister schuldig, seine Gebote zu halten und seinem Beispiel zu folgen; dies ist der einzig würdige augenscheinliche Beweis unsrer Dankbarkeit für alles, was er getan hat.“
Ich glaube, daß mein Bekannter, der der Meinung war, daß er für sich selbst keine Arbeit in der Christlichen Wissenschaft tun könne, weil er so verängstigt war, die Vorstellung hatte, daß das metaphysische Gebet ein Versuch ist, etwas ins Geschehen hinein zu wissen. Alles, was man wissen kann, ist bereits wahr; wenn es ewiglich wahr ist, so kann ich es finden und wissen. Aber dies mein Wissen darum hat keine Wirkung auf seine Wirklichkeit und gegenwärtige Macht. Ich kann wissen, daß zweimal zwei vier ist, weil das Gesetz der Zahlen diese Tatsache bereits festgelegt hat, ganz unabhängig von meiner Kenntnis derselben. Ich kann jedoch nicht zweimal zwei durch mein Wissen dazu zwingen, vier zu sein, oder drei oder zehn. Genau so wenig kann ich den Menschen in sein Wohlbefinden hinein wissen. Als Gottes Kind befindet sich der Mensch bereits wohl! Und wenn wir als Sterbliche dies zugeben und die Natur des wirklichen Menschen leben — die Eigenschaften des Christus demonstrieren — so werden wir uns wohl und glücklich fühlen.
In „Wissenschaft und Gesundheit“ schreibt Mrs. Eddy (S. 466): „Die Wissenschaft wird Gott richtig erklären, und das Christentum wird diese Erklärung und deren göttliches Prinzip demonstrieren, indem es die Menschheit physisch, sittlich und geistig besser macht.“ Das Christentum wird demonstriert in der Liebe zu Gott und dem Menschen, die wir empfinden, in der Demut, die wir zur Regel unseres Lebens machen, in der Reinheit, die ein Teil unserer Natur, unserer Art ist. Kein Mensch ist von der Fähigkeit getrennt, christlich zu sein. Jeder kann vollbringen, was im Augenblick für ihn zu tun notwendig ist.
Jesus sagte (Matth. 11:28): „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Kommet her zu der christlichen Lebensweise, alle, die ihr krank und verzweifelt und unglücklich seid, besonders ihr, die ihr verängstigt seid, besonders ihr, die ihr scheinbar nicht klar denken könnt. Kommet her und empfanget den Frieden und die Freude, die zum wirklichen Menschen, Gottes Kind, gehören. Es gibt keinen wirklichen Gegner rechten Handelns, nichts, das zwischen jemandem und der Lebensweise steht, die die göttliche Wirklichkeit erläutert.
Es wird daselbst eine Bahn sein und ein Weg, welcher der heilige Weg heißen wird, daß kein Unreiner darauf gehen darf; und derselbe wird für sie sein, daß man darauf gehe, daß auch die Toren nicht irren mögen. Es wird da kein Löwe sein, und wird kein reißendes Tier darauf treten. ... Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und gen Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. — Jesaja 35:8–10.