Wer den Christus empfängt, fühlt den Drang, ihn zum Ausdruck zu bringen. Ein solches Verlangen ist mehr als ein drängendes menschliches Begehren; es ist die Widerspiegelung der erlösenden und heilenden Macht der göttlichen Liebe durch den Einzelnen. Das menschliche Herz, das sich Gott auftut, muß sich auch den Mitmenschen öffnen, wenn der Christus darein einkehren soll, denn der Christus-Geist ist der Geist des Gebens.
Gottes Gaben bringen die ihnen eigene Inspiration mit sich, mit anderen geteilt zu werden, und ein solches Teilen macht die Gabe vollständig; wenn man eine Gabe nicht mit anderen teilt, so verschwindet sie für den menschlichen Sinn. Das Gute bringt nicht das volle Maß an Glück, bis es mit anderen geteilt wird; es bleibt für uns nur lebendig, wenn wir seine Segnungen weitergeben, denn das Gute steht nicht still, die Liebe kann nicht zurückgehalten werden, auch gibt es keine Aufspeicherung ungenutzter geistiger Reichtümer. Der Besitz des Guten flößt keine Furcht des Verlustes ein; das Gute wird nicht vorsichtig gehortet oder widerwillig weitergegeben. Es erscheint nur dann in Fülle, wenn es freimütig empfangen und freudig weitergegeben wird.
Der Mensch ist die Widerspiegelung Gottes, der göttlichen Liebe, des großen Gebers. Zu lieben heißt daher, das Verlangen haben zu geben. Ein Fragesteller erkundigte sich einmal bei einem Christlichen Wissenschafter: „Warum sollte Gott uns lieben und uns von Seiner Überfülle geben?“
„Er kann gar nicht anders“, war die Erwiderung, „das ist Seine Natur.“
Die göttliche Liebe gibt unaufhörlich und fordert von uns ein freudiges Eingehen auf ihre Inspiration des Gebens. „Die geistige Tatsache, die sich in der Tätigkeit des Menschen und des ganzen Universums wiederholt, ist harmonisch und ist das Ideal der Wahrheit“, schreibt Mary Baker Eddy, die geliebte Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 207). Diese Feststellung zeigt an, daß auch die menschliche Tätigkeit die göttliche nachahmen muß, wenn sie Glück und Erleuchtung für uns und andere bringen soll.
Wir können nur das weitergeben, was uns selbst bereichert hat, und wir bereichern uns durch Geben. Sei es nun, daß wir durch das gesprochene oder das geschriebene Wort, durch Taten oder stillschweigendes Beispiel einem anderen eine geistige Gabe übermitteln — immer ist es die Liebe, die uns zum Schreiben bewegt oder uns etwas tun läßt, das den Gebenden bereichert und die Gabe in einen Segen für den Empfänger verwandelt.
Zurückhalten bedeutet, dem Gesetz der göttlichen Liebe zu widerstehen; es bedeutet, Freude aufzugeben und im Kampf zu liegen mit seiner eigenen wahren Natur als der Widerspiegelung Gottes; es bedeutet, in Furcht vor Verlust zu leben. Es bedeutet, sich selbst ärmer zu machen.
Es gibt jedoch Dinge, die wir einem anderen nicht geben können. Niemand kann einem anderen seine eigene Erfahrung weitergeben und die geistige Überzeugung, die Reife und den Charakter, die sich daraus entfaltet haben; denn geistige Größe ist das Ergebnis beständiger Selbstberichtigung — das Ergebnis eines Fortschritts, der nicht in einem Tag erreicht, noch durch die Bemühungen eines anderen erlangt werden kann. Diejenigen jedoch, die geistig bereit sind, wahre Geistigkeit in einem anderen zu erkennen und zu achten, können dadurch zu höherem geistigem Denken und einem Leben der Hingabe inspiriert werden.
Weil wahres Geben eine Tätigkeit Gottes, des göttlichen Gemüts, ist, ist sein menschlicher Ausdruck, wenn auch liebevoll und herzlich, doch nicht sentimental; es wird stets durch geistige Erkenntnis beherrscht und ist weise, intelligent auswählend und rechtzeitig. Wenn wir zu hartnäckig versuchen, jemandem die Wissenschaft des Christus zu bringen, der noch nicht bereit ist, sie zu empfangen, so bedeutet das, etwas Heiliges einer unachtsamen, unehrerbietigen Behandlung oder der Verneinung und dem Widerstand des Materialismus aussetzen, der die Forderungen, die der Christus an den menschlichen Charakter und an den ganzen sterblichen Begriff vom Guten stellt, spürt und sich dagegen auflehnt.
Unsere Führerin warnt uns (ebd., S. 238): „Es ist gut zu warten bis die, denen du nützen willst, für den Segen bereit sind, denn die Wissenschaft bewirkt Veränderungen im persönlichen Charakter, wie auch im materiellen Universum.“ Wenn wir durch unseren ungezähmten Eifer, anderen etwas zu geben, auf unfreundliche Aufnahme stoßen, so sollte das unser hingebungsvolles Streben nicht dämpfen, sondern sollte uns anregen, noch gebeterfüllter auf die Führung des göttlichen Gemüts zu lauschen und uns folgsamer durch die Selektivität der Wahrheit zur rechten Wahl leiten zu lassen.
Die Erfahrung lehrt uns, daß es nicht genügt, liebevoll und arglos zu sein; wir müssen auch imstande sein, den menschlichen Übereifer durch die Herrschaft und geistige Leitung des göttlichen Gemüts in Schranken zu halten. Eine solche Vorsicht ist nicht Furcht sondern Weisheit. Sie schützt nicht nur die Würde unserer heiligen Sache, sondern auch die besten Interessen desjenigen, den wir zur Christlichen Wissenschaft führen möchten. Das rechte Wort, das mit Liebe und aufrichtiger Überzeugung zur rechten Zeit gesprochen wird, wird bestimmt ein empfängliches Ohr finden. „Ein Wort, geredet zu seiner Zeit, ist wie goldene Äpfel auf silbernen Schalen“ (Spr. 25:11).
Der Drang zu geben entstammt der allumfassenden Liebe, die ausströmen muß, und die selbst ihre rechten Gelegenheiten und die rechte Zeit zu segnen findet. Weil das Verlangen zu geben geistig in Ursprung, Ausdruck und Ziel ist, kann es niemals vereitelt werden, auch kann sein Enthusiasmus durch die Geringschätzung des Intellektualismus und die Gleichgültigkeit und den Widerstand der weltlich Gesinnten nicht abgeschreckt werden. Es fürchtet diese nicht, aber es übersieht sie auch nicht.
Niemand hat so wenig, daß er nichts geben könnte. Das Scherflein der Witwe wurde von Christus Jesus als eine freimütigere Gabe angesehen als das Gold des reichen Mannes, und es war zweifellos ebenso wertvoll und lohnend. Die Großzügigkeit im Geben wird nicht nach der Quantität bemessen, sondern nach der Liebe, der Treue, der Freimütigkeit und Freudigkeit des Gebens.
Was für ein Beispiel dieses heiligen Verlangens zu geben und seiner erfolgreichen Ausführung ist doch das Lebenswerk Mrs. Eddys! Beseelt von ihrer inspirierten Erkenntnis der weitreichenden Bedeutung, die ihre Entdeckung für das Menschengeschlecht enthielt, arbeitete sie unermüdlich während eines Zeitraums von nahezu 45 Jahren, angesichts unsagbarer Widerstände, um die besten Mittel zu finden, wodurch ihre große Gabe auch weiterhin die menschliche Familie allerorten erreichen kann.
Sicherlich könnte jene Erklärung Jesajas Anwendung auf das Leben unserer großen Führerin finden: „Der Edle hegt edle Gedanken, und ein solcher beharrt auch bei edlem Tun“ (32:8, Menge-Bibel). Der Welt ihre Gabe darzubieten, ist die Mission eines jeden dankbaren Christlichen Wissenschafters. Reichlich haben wir empfangen, daher laßt uns auch freimütig geben.
Der Drang zu geben ist freudig und unermüdlich; denn gerade dadurch, daß er betätigt wird, stärkt er den, der ihn hegt. „Die Seele, die da reichlich segnet, wird gelabt; und wer reichlich tränkt, der wird auch getränkt werden“ (Spr. 11:25).
