Das Gebet, das Jesus seine Jünger lehrte, enthält die Zeile: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel“ (Matth. 6:13). Wie eifrig müssen die Nachfolger des galiläischen Propheten diese Erlösung herbeigesehnt haben, da sie scheinbar durch die bösen Mächte des Hasses, der Eifersucht, des Neides, des Aufstandes und der Verfolgung bedrängt wurden. Das Böse, welcherlei Gestalt es auch annahm, wurde lange Zeit als eine wirkliche Macht angesehen, gewöhnlich als unvermeidlich, oft als unüberwindbar.
Im 19. Jahrhundert wurde die Unwirklichkeit des Bösen von Mary Baker Eddy in ihrer Entdeckung der Christlichen Wissenschaft offenbart. Auf Seite 330 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ sagt sie: „Das Böse ist nichts, es ist kein Ding, kein Gemüt, keine Macht.“ Und unsere Führerin erklärt die oben angeführte Zeile des Gebets des Herrn folgendermaßen ebd., S. 17): „Und Gott führt uns nicht in Versuchung, sondern erlöst uns von Sünde, Krankheit und Tod.“
Demjenigen, der sich hoffnungslos den scheinbaren Mächten des Bösen ausgeliefert sieht, bringen solche Worte Trost und Zuversicht; erstens die Versicherung, daß das Böse machtlos und unwirklich ist; zweitens, daß Gott uns erlöst von der Versuchung, an das Böse zu glauben oder seine Nachwirkungen zu fürchten.
Vielleicht ist die Gefahr, die mit dem Bösen verbunden ist, der verbreitetste Grund, es zu fürchten und sich davor zu entsetzen. Ein Wörterbuch erklärt „das Böse“ folgendermaßen: „Etwas das Schaden oder Unheil anrichtet.“ Im Bestreben, sich vor dem Bösen zu schützen, haben sich die Menschen seit langem materieller Hilfsmittel bedient, zum Beispiel der Waffen und anderer materieller Verteidigungsarten. Der mächtige Panzer und das Schwert, das König Saul dem Hirtenjungen David auflud, mag dieses physische Verständnis von Schutz versinnbildlichen.
In der Geschichte von David und Goliath lesen wir, daß David sich weigerte, diese materiellen Hilfsmittel anzunehmen, weil er sie nicht ausprobiert hatte (1. Sam. 17:39). In seinen früheren Begegnungen mit Gefahr, hatte der Jüngling den Schutz Gottes erlebt, den Gott denen gibt, die Ihm vertrauen. Jetzt, da er in Gestalt des Goliath einer noch bedrohlicheren Gefahr gegenüberstand, war es für David selbstverständlich, sich wieder an das zu wenden, das er bereits bewiesen hatte. Mit der Gewißheit ausgerüstet, daß „die Schlacht des Herrn“ ist, und daß die Kraft der Allmacht ihn erlösen würde, gewann David einen leichten Sieg über seinen Gegner, und schon seit Jahrhunderten ist dieser Sieg eine Inspiration für Bibelforscher.
Es wäre nicht vernünftig, wenn ein Bürger die Türen seines Hauses offen lassen und so Diebe zum Eintritt verleiten würde. Ein höheres Verständnis von Schutz muß jedoch jedes körperliche Schutzmittel begleiten, um es wirklich wirksam zu machen.
Von der Natur dieses Schutzes spricht Mrs. Eddy mit folgenden Worten (Wissenschaft und Gesundheit, S. 234): „Wir sollten uns mehr mit dem Guten als mit dem Bösen vertraut machen und sollten uns ebenso sorgfältig vor falschen Annahmen hüten, wie wir unsre Türen gegen das Eindringen von Dieben und Mördern verriegeln.“
Auch Paulus empfahl in seinem Brief an die Epheser (Eph. 6:11–17) den geistigen Sinn von Schutz, indem er sie anhielt den ganzen Harnisch Gottes anzuziehen, der im einzelnen aus dem Panzer der Gerechtigkeit, dem Schild des Glaubens, dem Helm des Heils und dem Schwert des Geistes bestand. War das nicht wahrscheinlich die wirkliche Rüstung, die David trug, als er gegen Goliath kämpfte?
Mrs. Eddy weist in ihrem Schriften darauf hin, daß unser Schutz in der Erkenntnis der ganz mildtätigen, geistigen Natur des göttlichen Weltalls liegt, in dem es kein Übel gibt und damit auch keine Notwendigkeit eines Schutzes. Es wird uns im ersten Buch Mose im Hinblick auf das Weltall gesagt, daß „Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut“ (1. Mose 1:31). Was oder wen hat man dann in Gottes Weltall zu fürchten? Gewißlich nichts, was Gott gemacht hat, denn alles was Gott gemacht hat, muß Ihn widerspiegeln, muß geistig, liebevoll und gut sein.
Ein Schneider, dessen Stoffe nur aus feiner Seide und Leinen bestünden, würde natürlich nur Dinge aus feiner Seide und Leinen herstellen. Gott, der ganz und gar gut ist, kann nichts hervorbringen oder erschaffen, was Seiner Natur unähnlich ist. In dem Universum, das die Christliche Wissenschaft offenbart, ist das Gute nicht nur mächtig, sondern es ist die einzige Macht; Wahrheit und Harmonie sind darin nicht nur gegenwärtig, sondern sie sind die einzige Gegenwart. Diese Auffassungen bringen den Menschen Frieden und Sicherheit und schließen natürlich das Dasein jedes Bösen aus.
Schutz vor dem Bösen wurde durch folgende Erfahrung bewiesen, die in unserer Familie gemacht wurde. Einem Arbeiter, der einige Stunden gearbeitet hatte, wurde die Vergütung für seine Dienste in Form eines Schecks, in der vorher vereinbarten Betragshöhe zugeschickt. Einige Zeit darauf jedoch, rief dieser Arbeiter recht ärgerlich an und sagte, das Geld sei nicht bezahlt worden, und er und seine Freunde seien im Wagen auf dem Wege zu uns, um abzurechnen.
Es war Abend geworden und unsere kleine Tochter schlief in ihrem Bettchen. Die Aussicht auf den Besuch dieser wütenden, lauten Männer in unserem friedlichen Heim war nicht erfreulich, und unser erster Gedanke war ganz natürlich der eines körperlichen Schutzes. Wir verschlossen die Haustür.
Ungefähr eine Stunde lang lasen und studierten wir dann in der Bibel und in den Schriften von Mrs. Eddy, jedoch das Gefühl von Ausgeliefertsein, Unsicherheit und Furcht wollte nicht weichen. Es schien sich im Gegenteil noch zu verstärken, als wir uns vorstellten, wie die Angreifer, die in einem entfernten Stadtteil lebten, nun näher und näher kamen.
Plötzlich fühlte ich mich spontan veranlaßt, aufzustehen, die Haustür aufzuschließen und hinauszutreten. Etwas ängstlich tat ich es. Es war eine wunderbare Nacht und als ich hinauf in die Sterne und an den friedvollen Himmel blickte, erkannte ich einen Augenblick lang die geistige, harmlose, ganz und gar gute Natur des wirklichen Universums. Laut erklärte ich, durch diese Erkenntnis fast in heilige Scheu versetzt: „Das Böse ist ja unwirklich! Es hat kein Dasein, keine Intelligenz, keinen Richtungssinn. Es könnte Gottes Kind nicht finden, selbst wenn es wollte.“
Augenblicklich verließ mich alle Furcht und ich ging fröhlich singend ins Haus zurück. Ich versicherte meinem Mann, daß wir nicht aufzubleiben brauchten, und daß nichts Böses geschehen würde. Und so war es. Die Nacht verlief friedlich und früh am andern Morgen rief der Arbeiter wieder an. Dieses Mal war seine Stimme sanft und etwas verlegen. „Meine Dame“, sagte er, „wo wohnen Sie denn eigentlich? Meine Freunde und ich fuhren gestern Abend stundenlang herum und konnten Ihr Haus nicht finden.“
Er gab dann auch zu, daß er den Scheck natürlich erhalten hatte, daß ihn aber niemand einlösen wollte. Wir luden ihn ein, zu uns herauszukommen und die Bezahlung in bar entgegenzunehmen. Er kam und dieses Mal ohne Schwierigkeiten direkt zur richtigen Adresse. Er gab uns den Scheck zurück und ging, nachdem er bezahlt worden war, bescheiden und höflich dankend fort.
Ob unser Problem das eines angriffslustigen Menschen oder einer angriffslustigen Nation ist, unsere Schutzarbeit sollte die geistige Erkenntnis einschließen, daß die unendliche Liebe allen Raum erfüllt, und daß für das Böse kein Platz vorhanden ist; daß alles das unendliche Gemüt und die Idee des Gemüts ist, und daß es daher nicht viele Gemüter gibt; daß die Allmacht Gottes, des Guten, das Dasein jedweder andern Macht ausschließt.
Wenn wir allmählich den Begriff der Wirklichkeit als geistig, harmlos und gut verstehen lernen und annehmen, werden wir die Freiheit und die Freude der Erlösung vom Übel erleben.
