Trotz Arbeitszeitverkürzung, trotz der Einführung arbeitssparender und zeitsparender Vorrichtungen, schnellerer Beförderungsmöglichkeiten und längerer Ferien klagen die Menschen immer noch, daß nicht genügend Zeit zur Verfügung stünde, um notwendige Aufgaben zu erledigen. Die heutige Generation scheint die allgemeine Tendenz des Denkens angenommen zu haben, daß die Zeit auf irgendeine unerklärliche Weise eine Beschränkung erfahren hat. Und doch hat jede Stunde immer noch 60 Minuten und jeder Tag 24 Stunden. Dies deutet darauf hin, daß unsere Einstellung zu unseren Aufgaben rein gedanklicher Natur ist.
Ein kleines Kind tritt gewöhnlich jeden Tag an, ohne ein Bewußtsein des Zeitelementes zu zeigen. Für das Kind liegt der Tag vor ihm mit vielen glücklichen Stunden. Nur selten macht es sich irgendwelche Gedanken darüber, daß der Tag zu kurz sein könnte. Auf die Tage seiner Kindheit zurückblickend macht der englische Dichter Wordsworth in den folgenden Zeilen eine Anspielung auf diesen unbefangenen Ausblick:
„Süße Tage der Kindheit,
wo ein jeder Tag so lang
wie zwanzig Tage heut'.“
Ernste Anhänger der Christlichen Wissenschaft, die den Tag mit dem Vertrauen eines kleinen Kindes beginnen und sich in bezug auf Intelligenz und Unterstützung völlig auf Gott, das göttliche Gemüt, verlassen, werden voller Zuversicht an die Erledigung ihrer Aufgaben herangehen, ganz gleich, was auch von ihnen gefordert werden mag. Sie werden der Unruhe enthoben sein sowie auch der erregenden Vorstellung, die zur Verfügung stehende Zeit reiche nicht zur Erledigung all ihrer Verpflichtungen aus.
Es gibt keine übervollen Stunden im Universum des Geistes. Da Gott sich nur der Ewigkeit bewußt ist, kann Er kein Bewußtsein haben von den Begrenzungen, die die Zeit den Sterblichen auferlegt. Der geistige Mensch, der die Kundwerdung Gottes ist, kann unmöglich von einer Last zeitlicher Beschränkungen bedrückt werden.
Das beunruhigte sterbliche Denken allein ist es, was den Körper zur Eile antreibt. Wenn dieses falsche Denken der ruhigen Atmosphäre des göttlichen Gemüts weicht, ändert sich das gesamte Bild, und die Furcht vor unzureichender Zeit wird durch die Erkenntnis der Zeitlosigkeit Gottes und des Menschen ersetzt.
Die Heilige Schrift berichtet von keinem Fall, in dem Christus Jesus mit ungebührender Eile handelte. Er fand Gelegenheit, jedem einzelnen zu helfen, wenn sich das Bedürfnis dafür zeigte, in der Gewißheit, daß es immer Zeit genug gibt, alles Notwendige auszuführen. Im achten Kapitel des Lukasevangeliums lesen wir von Jairus, der Jesus dringend ersuchte, zu seinem Hause zu kommen, um seine einzige Tochter zu heilen, die im Sterben lag.
Als Jesus sich auf dem Wege dorthin befand, kam eine Frau von hinten auf ihn zu, berührte den Saum seines Gewandes und war geheilt. Jesus blieb stehen, fragte, wer ihn angerührt habe, und unterbrach seine Wanderung lange genug, um der Frau in den folgenden ermutigenden Worten einen Segen zu erteilen (Vers 48): „Sei getrost, meine Tochter; dein Glaube hat dir geholfen. Gehe hin mit Frieden!“
Obwohl seine Anwesenheit im Hause des Jairus dringend nötig war, zeigte Jesus keine Hast in seinem Verhalten, da er sich nur der ewigen Gegenwart bewußt war. Dann machte er sich wieder auf den Weg, ging zum Hause des Jairus und rief seine Tochter ins Leben zurück.
Unsere Führerin wußte, daß, wenn wir uns die Hilfsquellen Gottes zunutze machen, für all unsere Bedürfnisse Sorge getragen wird — und dazu gehört auch reichlich Zeit. Auf Seite 42 des Buches „We Knew Mary Baker Eddy“ (Wir kannten Mary Baker Eddy, dritter Band) bezieht sich Calvin C. Hill auf Mrs. Eddys häufig wiederholte Bemerkung: „Alle meine Stunden gehören Ihm.“
In der Christlichen Wissenschaft lernen wir verstehen, daß der wirkliche Mensch die Unendlichkeit zum Ausdruck bringt und daher nicht innerhalb materieller Grenzen gefangengehalten werden kann. In ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit“ legt Mrs. Eddy diese beiden gegensätzlichen Gesichtspunkte dar (S. 598): „Die Zeit ist ein sterblicher Gedanke, ihr Teiler ist das Sonnenjahr. Die Ewigkeit ist das Gottes-Maß seelenerfüllter Jahre.“ Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß Gott grenzenlos und zeitlos ist und daher nicht mit astronomischen Berechnungen, Uhren und Kalendern in Verbindung gebracht werden kann, die, wenn auch unentbehrlich für unser menschliches Dasein, unsere Freiheit, unsere gottverliehenen Aufgaben zu erledigen, nicht beschränken sollten.
Die Evangelien geben nur eine kurze Zusammenfassung des Lebenswerkes Christi Jesu. Johannes, der geliebte Jünger, berichtet (21:25): „Es sind auch viele andere Dinge, die Jesus getan hat; so sie aber sollten eins nach dem andern geschrieben werden, achte ich, die Welt würde die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.“ Jesus führte die Befehle seines himmlischen Vaters aus, indem er seine ganze Stärke und Fähigkeit von Gott, seinem himmlischen Vater, herleitete, auf dessen Geheiß er ständig harrte.
Jesus brauchte keinen ausgedehnten Zeitabschnitt, um seine mannigfachen Verpflichtungen der Menschheit gegenüber zu erfüllen. Zum Abschluß seines unvergleichlich segensreichen Wirkens konnte er erklären (Joh. 17:4): „Ich habe dich verklärt auf Erden und vollendet das Werk, das du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte.“ Welch herrliche Vollendung eines Lebenswerkes, und doch dauerte seine Mission für die Menschheit nicht länger als drei Jahre nach materiellen Berechnungen!
Kommen auch wir diesem glorreichen Ideal näher? Können wir am Schluß eines jeden Tages ehrlich sagen, daß wir das Werk vollendet haben, mit dem Gott uns betraut hat? Bringen wir täglich unsere geistige Selbstheit zum Ausdruck und deren ewiges Sein, die Selbstheit, die ihren Schöpfer in unsterblichen Eigenschaften widerspiegelt? Natürlich wird unsere Fähigkeit, größere Aufgaben zu übernehmen, nicht bloß durch eine Anhäufung von Jahren bestimmt. Vielmehr sind unsere Leistungen die Auswirkung unseres Vertrauens auf das Gemüt, die einzige Intelligenz.
Wenn das schnelle Tempo der heutigen Zeit um uns herumbrandet und wir das Empfinden haben, von seinen drängenden Forderungen nahezu überschwemmt zu werden, dann ist das der geeignete Augenblick, um innezuhalten und nachzudenken über das Ruhe ausstrahlende Wesen Gottes, der göttlichen Liebe, sowie auch über die geistige Umgebung, in der wir in Wirklichkeit leben.
Wenn wir unsere Zuflucht zu dem einen und einzigen Gemüt nehmen, damit uns der Weg gewiesen werde, so wird uns eine sinnvollere Zeiteinteilung gezeigt werden, wodurch wir alles Unwesentliche ausmerzen können, eine klarere Auffassung von unseren wirklichen Obliegenheiten erlangen und vielleicht auch die Erkenntnis, daß wir uns fälschlicherweise bemüht haben, Pflichten zu übernehmen, die über das hinausgingen, was uns normalerweise zusteht.
Eine voreilige oder unüberlegte Handlungsweise wird vermieden werden. Wenn Ungeduld für unser Hasten und Jagen verantwortlich gewesen ist, so wird dies an die Oberfläche gebracht und kann verneint und überwunden werden, weil es sich dabei nicht um eine Eigenschaft Gottes handelt. Geistiges Bewußtsein wohnt jedem Kind Gottes inne, und die Gelassenheit und Ruhe der göttlichen Liebe wird die Unordung des früheren Denkens ersetzen.
Mrs. Eddy nimmt auf den Segen Bezug, der uns als Lohn für unsere Hingabe an Gott zuteil wird, wenn sie schreibt (Miscellany, S. 131): „Da ist bei uns in dieser Stunde dieser große, große Segen; und laßt mich mit dem Bewußtsein des Gemüts sagen, daß die Erfüllung der göttlichen Liebe in unserem Leben die Forderung dieser Stunde ist — die ausdrückliche Forderung.“
Um dieser vorherrschenden Annahme von einem Wettlauf mit der Zeit entgegenzuarbeiten, müssen wir uns abwenden von der Vorstellung bedrückender Spannung und des Menschen geistigen Stand als Kind Gottes anerkennen, in dem alle Bewegung und alle Tätigkeit harmonisch und geordnet sind — ohne drängende Eile.
In dem Verhältnis, wie wir der „Forderung dieser Stunde“ Folge leisten, werden die sogenannten materiellen Forderungen in ihre rechte Proportion zurückgewiesen und der Regierung der göttlichen Liebe unterstellt werden. Wenn wir uns das „Gottes-Maß seelenerfüllter Jahre“ zu eigen machen, werden wir nicht länger das Empfinden haben, in die vom materiellen Sinn erfundenen engen Grenzen eingezwängt und eingeschlossen zu sein, sondern wir werden uns immerdar frei fühlen, Gottes grenzenloses und unendliches Wesen und Sein zum Ausdruck zu bringen.
