Gott, die unendliche Liebe, ist sich nur der Vollkommenheit und Harmonie bewußt. Das Böse ist der Natur Gottes entgegengesetzt und kann keinen Platz in Ihm finden. Die Bibel sagt von Gott (Hab. 1:13): „Deine Augen sind rein, daß du Übles nicht sehen magst, und dem Jammer kannst du nicht zusehen.“
So kann auch der wirkliche Mensch, der Gott widerspiegelt, nur in einem Zustand der Sündlosigkeit leben. Er wird von der Seele und nicht von den materiellen Sinnen regiert. Die Vergegenwärtigung, daß der Mensch das geliebte Kind Gottes ist, umfangen von der Allheit der göttlichen Liebe, befähigt uns zu verstehen, daß wir in Wirklichkeit nicht von der Suggestion früherer Sünden oder Fehler überwältigt werden können, und diese Vergegenwärtigung bringt Befreiung von Selbstverdammung.
Das Erlangen der Vollkommenheit ist jedoch ein allmählicher Vorgang. Die Sterblichen entdecken, daß sie viele Male straucheln mögen, ehe sie imstande sind, ein gewisses Maß von Vollkommenheit und Harmonie in ihrem Leben zu verwirklichen. Solange ein Fehler immer wieder gemacht wird, kann die Strafe nicht ausbleiben. Das Leiden, das sich als Folge von Sünde zeigt, erweist sich oft als das Mittel, durch welches die Sterblichen gezwungen werden, den Pfad der Selbstberichtigung zu beschreiten. Und es wäre vergeblich zu versuchen, bleibendes Glück auf irgendeinem anderen Wege zu erlangen als allein durch eine Umwandlung des Herzens; „denn“, wie Christus Jesus uns gesagt hat, „die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führet“ (Matth. 7:14).
Obgleich wir die Notwendigkeit, das Böse aus unserer Erfahrung auszuschalten, nie aus den Augen verlieren sollten, müssen wir andererseits achtgeben, daß wir nicht weniger offenkundigen Formen der Sünde wie Selbstverdammung Raum geben.
Was könnte entmutigender sein als ein Bewußtseinszustand der Selbstverdammung? Selbstverdammung kann mit Sicherheit als eine der niederdrückendsten und unheilvollsten Sünden bezeichnet werden, der sich ein Sterblicher ergeben kann. Obwohl die Selbstverdammung zunächst weniger verabscheuenswürdig würdig erscheint als die gemeinhin angenommenen Formen der Sünde, beraubt sie doch die Sterblichen ihres Seelenfriedens und ihrer Lebensfreude.
Unsere Führerin Mrs. Eddy sagt in ihrem Werk „Vermischte Schriften“ (S. 107): „Die Menschheit macht entweder zuviel oder zuwenig aus der Sünde. Der empfindsame, sich abhärmende Heilige macht zuviel aus ihr, der niedrige Sünder und der schläfrige sogenannte Christ machen zuwenig aus der Sünde.“ Hier haben wir einen Gedanken, der uns helfen sollte, unser Leben ins Gleichgewicht zu bringen, damit es so für die uns umgebende Welt ein leuchtendes Beispiel der Lauterkeit und Freude werden kann.
„Der empfindsame, sich abhärmende Heilige“ ist ebenso fehl am Platze wie „der niedrige Sünder oder der schläfrige sogenannte Christ“. Während der letztere zuweilen eine ihn aufschreckende Erfahrung machen muß, die ihn veranlaßt, seine Sünde aufzugeben oder aus seinem eitlen Schlaf zu erwachen, bedarf „der empfindsame, sich abhärmende Heilige“ von neuem der Versicherung, daß Gott ihn liebhat. Wenn ein Vergehen erst einmal zugegeben worden ist und der reuige Sünder lernt, vor einer möglichen Wiederholung des Vergehens auf der Hut zu sein, dann ist die Rettung aus den stürmisch bewegten Wassern des sterblichen Gemüts sichergestellt.
Die Christliche Wissenschaft, die uns befähigt, unsere Taten aus der richtigen Perspektive zu betrachten, kommt demjenigen, der wegen früherer Fehler gegen ein Gefühl der Selbstverdammung zu kämpfen hat, zu Hilfe. Diese Wissenschaft zeigt ihm durch logisches Folgern, daß nichts Böses in seiner menschlichen Erfahrung jemals tatsächlich Teil seines wirklichen Seins gewesen ist.
Die Christliche Wissenschaft geht von der Prämisse der Allheit des göttlichen Gemüts aus, der Allheit des Guten, und dem sich daraus ergebenden Nichts der Materie, des Bösen. Sie erklärt, daß das Leben gleichbedeutend mit dem Geist ist, und zeigt so, daß das Dasein völlig geistig ist. Die Christliche Wissenschaft schließt die Materie ein für allemal von dem Reich der Wirklichkeit aus und erklärt, daß sie ein sterblicher Irrtum sei, da sie der Allerhabenheit des Geistes widerspricht.
Diese Lehre kann am besten zusammengefaßt werden im ersten Gebot (2. Mose 20:3): „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Das Bewußtsein, das von der Allheit des Guten beseelt ist, kann sich nicht gleichzeitig mit der Behauptung befassen, daß das Böse wirklich sei. „Gänzlich getrennt von der Annahme und dem Traum des materiellen Lebens ist das göttliche Leben, welches geistiges Verständnis und das Bewußtsein von des Menschen Herrschaft über die ganze Erde offenbart“, schreibt Mrs. Eddy auf Seite 14 ihres Buches „Wissenschaft und Gesundheit“.
Die scholastische Theologie möchte dem Menschen noch weiteres Leiden auferlegen, nachdem er durch Reue und Wiedergeburt umgewandelt worden ist. Die Christliche Wissenschaft jedoch erklärt, daß die Sünde, wenn sie einmal rückhaltlos aufgegeben worden ist, auch vergeben ist. Der durch Umwandlung wiedergeborene Sterbliche braucht nicht länger für Sünden zu leiden, denen er nicht mehr frönt. Etwas anderes zu glauben setzt uns nur unnötigem Leiden aus und bindet uns häufig an eine andere Form der Sünde, die hinterlistiger, wenn auch scheinbar weniger verwerflich ist — die der Selbstverdammung.
Der Prophet Jesaja sagt (1:18): „So kommt denn und laßt uns miteinander rechten, spricht der Herr. Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden; und wenn sie gleich ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden.“ Diese Worte weisen darauf hin, daß es unerläßlich ist, den Übeln des Selbstbedauerns und der Selbstverdammung ein Ende zu bereiten, ehe sie eine Gelegenheit gehabt haben, unser Denken zu lähmen.
Die Freude darüber und die Dankbarkeit für die Erkenntnis, daß der in Frage stehende disharmonische Zustand nur eine Phase des Adam-Traumes gewesen ist und sich in Wirklichkeit nie ereignet hat, wird den Menschen auf der Stufenleiter des Daseins emporsteigen lassen. Diese Eigenschaften werden seinem erwachenden Bewußtsein seine wahre Selbstheit enthüllen, die geistig ist und immerdar unberührt von den Ansprüchen der materiellen Sinne. Unsere geliebte Führerin schreibt in ihrem Buch „Nein und Ja“ (S. 36): „Der wirkliche Christus wußte nichts von der Materie, von Sünde, Krankheit und Tod, und war sich nur Gottes, des Guten, des ewigen Lebens und der Harmonie bewußt.“
Wenn sich der einzelne zuweilen wundert, warum er gerade derjenige zu sein scheint, der einen bestimmten Fehler macht, sollte er sich vergegenwärtigen, daß in Wirklichkeit das Gemüt und nicht der Irrtum den Menschen regiert und daß er sich nie außerhalb der Herrschaft jenes unendlichen, vollkommenen Gemüts befinden kann. Er würde auch gut daran tun, die Grundregel zu bedenken, daß ein Verlangen nach sofortiger Vollkommenheit sehr oft dem unbewußten Glauben an eine vollkommene sterbliche Selbstheit entspringt; wohingegen seine Erlösung darin besteht, klar zu erkennen, daß er nur dann erwarten kann, ein gewisses Maß von unerschütterlicher Freude zu erlangen, wenn er sein sterbliches Dasein als das einschätzt, was es in Wirklichkeit ist — nämlich ein sterblicher Traum.
Geduld mit unseren Unzulänglichkeiten, verbunden mit dem aufrichtigen Bemühen, sie durch die Wahrheit zu überwinden — das ist eine Lektion, die wir auf jeder Stufe unseres Fortschritts lernen müssen. Ist ein Fehler erst einmal erkannt und aufrichtig bereut worden, so sollten wir ihm alle Wirklichkeit absprechen und über die Wahrheit frohlocken, daß unser wahres Selbst immer unangetastet geblieben ist und daß der geistige Mensch — der einzige Mensch, den es in Wirklichkeit gibt — niemals von dem Fehler berührt worden ist. Dann werden wir die Freude empfinden, die zu denen kommt, die in gewissem Grade die Nichtigkeit der Ansprüche der materiellen Sinne erkannt haben. Dann wird uns der von Gott erschaffene Mensch, der aufrecht, rein und vollkommen ist, offenbart werden.
