Das Sonnenlicht ist eine Ausstrahlung. Es erreicht beides, das Schöne wie das Häßliche, ohne Unterschied und ohne davor zurückzuschrecken, aber mit welch unterschiedlicher Wirkung! Derselbe Licht und Wärme spendende Strahl, der eine Blume zur Entfaltung bringt, läßt den Kehricht zusammenschrumpfen.
Als der Ausdruck Gottes müssen wir lieben, wie die Sonne scheint, unparteiisch, ohne zurückzuhalten, und müssen diese geistige Liebe das wahre Wesen der Schlechtigkeit wie auch der Tugend ans Licht bringen lassen.
In der Hoffnung, die Jünger dazu anzuregen, in größerem Maße die umfassende Natur der Segnungen Gottes, der Wahrheit, anzuerkennen, sagte Jesus (Matth. 5:45): „Er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.“
Die Christliche Wissenschaft [Christian Science] legt das Christentum Jesu als exakte Wissenschaft dar und lehrt, daß Gott als Liebe mit Gott als Prinzip, dem Ursprung gerechten Gesetzes, identisch ist. Daher ist wirkliche Liebe niemals untätig oder etwas Negatives; sie bringt die vollkommene, geistige Individualität des Menschen ans Licht und brandmarkt und vernichtet gleichzeitig unlautere Methoden. Das göttliche Gesetz nährt das Rechte und rottet das Unrechte aus.
Nirgends ist die Macht widergespiegelter Liebe in reicherem Maße veranschaulicht worden als in dem Lebenswerk Christi Jesu. Die Wahrheit, die er verkörperte, stellte Gesundheit wieder her, löschte Krankheit aus, vermehrte die Speise, weckte die Toten auf und wirkte der Heuchelei und dem Ritualismus entgegen. Der Realismus seiner Liebe zerstörte die Illusion des Bösen so mühelos, wie die Morgendämmerung das Dunkel der Nacht vergehen läßt. Die aus einer weltlichen Gesinnung hervorgegangenen gesellschaftlichen Übel sowie kirchliche Gewaltherrschaft und Anmaßung wurden von dem großen Beispielgeber bloßgestellt.
Aber der Meister reagierte niemals auf Feindseligkeit; er ließ sich niemals in längere Abwehrkämpfe oder Debatten mit dem Bösen verwickeln. Dadurch, daß er sich der Unendlichkeit Gottes bewußt war und sein Denken bewußt zu dem Christus, der geistigen Idee der Sohnschaft, emporhob, vernichtete er Sünde, Krankheit und selbst den Tod. Jesus spiegelte unentwegt Gott wider. Die Christlichen Wissenschafter streben danach, es ihm gleichzutun, denn sie wissen, daß allein darin ständige Erneuerung und Heilung liegen.
Mrs. Eddy erklärt in „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 259): „Die göttliche Natur fand ihren höchsten Ausdruck in Christus Jesus, der den Sterblichen die wahrere Widerspiegelung Gottes leuchten ließ und ihr Leben höher hob, als ihre armseligen Gedanken-Vorbilder es gestatteten — Gedanken, die den Menschen als gefallen, krank, sündig und sterbend darstellten.“ Und sie sagt weiter: „Das christusgleiche Verständnis vom wissenschaftlichen Sein und vom göttlichen Heilen umfaßt als Grundlage des Gedankens und der Demonstration ein vollkommenes Prinzip und eine vollkommene Idee — einen vollkommenen Gott und einen vollkommenen Menschen.“
Wenn wir lieben, wie die Sonne scheint, so läßt das unseren Lieben sowie denen, deren Handlungen unverständlich sind, „die wahrere Widerspiegelung Gottes leuchten“; es vermindert und vernichtet schließlich die falschen Annahmen, mit denen sich die Sterblichen irrtümlicherweise identifiziert haben.
Mit welcher Entschiedenheit wird dies in Jesu letzter Begegnung mit Judas veranschaulicht! Der Meister, der für einige Silberlinge verraten worden war, begrüßte den Verräter mit der einfachen Frage (Matth. 26:50): „Mein Freund, warum bist du gekommen?“ Hierin lag kein Groll, kein Widerstand, kein Vorwurf, nichts von einer Niederlage. Im Licht jener Widerspiegelung der Seele erkannten sich Habgier, Undankbarkeit und Untreue auf dem Höhepunkt ihrer furchtbaren Nichtsheit als das, was sie waren, und der Verkörperung der Verderbtheit blieb keine andere Wahl, als sich selbst zu zerstören.
Die Christlichen Wissenschafter streben danach, Gott widerzuspiegeln und niemals auf das Fleischliche zu reagieren. Denn durch Reaktion gerät man im allgemeinen unwillkürlich mit Personen oder wegen materiellen Besitzes in Konflikt. Widerspiegelung ist die unkörperliche Tätigkeit des Gemüts. Reaktion führt zu mentalen Zusammstößen und hat leicht unangenehme Rückwirkungen. Widerspiegelung tut den stillen, ununterbrochenen Segen der göttlichen Umarmung kund, die die menschlichen Erfahrungen heiligt und schützt.
Zwischen der Beständigkeit geistiger Widerspiegelung und der unzuverlässigen tierischen Natur der Reaktion besteht eine unüberbrückbare Kluft. Sie sind verschiedene Bewußtseinszustände, verschiedene Welten, die weder miteinander verwandt sind noch eine Beziehung zueinander haben. In „Wissenschaft und Gesundheit“ lesen wir (S. 283): „Die Materie und ihre Wirkungen — Sünde, Krankheit und Tod — sind Zustände des sterblichen Gemüts, die wirken, zurückwirken und dann zum Stillstand kommen. Sie sind keine Tatsachen des Gemüts. Sie sind keine Ideen, sondern Illusionen.“
Debattierlust ist eine Form der Reaktion, die die christusgleiche Widerspiegelung verdunkelt. Es ist selten weise, mit einer Lüge zu argumentieren. Durch einen Disput sinken wir leicht auf das Niveau des Irrtums hinab oder wird Irrtum der Wahrheit gleichgestellt. Wir sollten der Disharmonie nicht so viel Ehre erweisen. Wenn wir dagegen unser Denken zur geistigen Wirklichkeit erheben und Gott über alles lieben, können wir das Gebot des Meisters erfüllen (Matth. 5:16): „So soll euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“
Ein Christlicher Wissenschafter entdeckte einmal ein kleines Gewächs an seiner Schulter, aber er wies es als belanglos ab. Innerhalb kurzer Zeit jedoch war es doppelt so groß. Der Wissenschafter raffte sich auf und ergriff die Gelegenheit, die Wahrheit sowohl in körperlicher Hinsicht wie im Bereich der menschlichen Beziehungen und im Geschäftsleben zu beweisen, und er nahm die freundliche Ermahnung an, sich darin zu üben, zu lieben, wie die Sonne scheint. Er tat dies so eifrig, wie ein Musiker seine praktischen Übungen durchführt.
Dankbarkeit für Mrs. Eddy bestärkte ihn in seinem Entschluß; der Glaube an das Gute regte ihn an, sich selbst zu prüfen und sich in geistiger Wahrnehmung zu üben. Mit der Demut kam Frieden über ihn. Innerhalb einer Woche fiel das Gewächs, das zusehends größer geworden war, ab und trat nie wieder in Erscheinung.
Diejenigen, die Christus, Wahrheit, folgen, vertrauen darauf, daß die widerspiegelungen des Guten das Böse vertreiben und Gottes vollkommenes Werk ans Licht bringen.
