In dem Kapitel „Die Betätigung der Christlichen Wissenschaft“ schreibt Mrs. Eddy (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 419): „Um im Heilen Erfolg zu haben, mußt du deine eigene Furcht wie die deiner Patienten besiegen und dich zu einem höheren und heiligeren Bewußtsein erheben.“ Und sie legt die folgende Regel fest (ebd., S. 411): „Fange deine Behandlung stets damit an, daß du die Furcht der Patienten beschwichtigst.“
Da Gott Liebe ist und da Liebe das göttliche Prinzip des Menschen ist, sein sicherer Schutz, seine nie versagende Versorgung und ewige Wohnstätte, gibt es für die Furcht keine Grundlage in der Wahrheit, keine Ursache im Gemüt, keine Wirklichkeit in der Liebe, keine Gegenwart im Leben, und es besteht kein Grund, sich von Furcht knechten zu lassen. Doch der Begriff, den der sterbliche Mensch heute von sich selbst hat, scheint so schwach und sein Sinn für das Gute so unsicher zu sein, daß die Furcht auf die eine oder andere Weise im sterblichen Denken immer gegenwärtig zu sein scheint, es irreleitet, einschüchtert und begrenzt und die Menschheit der Freiheit und Freude beraubt, die Gott für uns vorgesehen hat. Daher muß die Furcht stets gehandhabt werden, und die unbedingte Anweisung unserer Führerin lautet, daß die Furcht stets als Erstes gehandhabt werden muß.
Da Furcht gedanklich ist, muß ihr im gedanklichen Bereich begegnet werden. Da sie abgewiesen und damit zerstört werden kann, ist sie eine vorübergehende oder sterblich mentale Erscheinung; daher kann man ihr nur mit Mitteln begegnen, die selbst unsterblich oder geistig mental und ihr deshalb überlegen sind. Das Reich des Unsterblichen ist das geistig oder göttlich mentale Reich Gottes. Logischerweise gründet sich daher das Heilen von Furcht auf das wissenschaftliche Verständnis von Gott und Seinem Gesetz; deshalb handelt es sich dabei weder um einen psychologischen noch um einen philosophischen noch um einen medizinischen, sondern um einen religiösen Vorgang.
Das Bekämpfen von Furcht durch den Beweis von der Machtlosigkeit der Drohungen des Bösen ist ein wesentlicher Bestandteil der Religion der Christlichen Wissenschaft [Christian Science], die natürliche Auswirkung ihrer Anwendung in unserem eigenen Denken. Durch diese Wissenschaft kommen wir zu der Erkenntnis von der Existenz der allumfassenden göttlichen Harmonie, in der wir ohne Gefahr und ohne Furcht leben, wirken und gedeihen, unbehindert durch schlechte Gesundheit, persönliche Disharmonien, Mangel an Fähigkeit oder Mangel an Gelegenheit, und so können wir die Erfüllung unserer hohen Hoffnungen und edelsten Absichten erleben.
Furcht ist stets eine Reaktion auf eine Drohung. Die Christliche Wissenschaft [Christian Science] zeigt uns, wie unwirklich das Böse ist, aus dem die Drohung hervorgeht, und wie machtlos es ist, sie auszuführen. Die Wissenschaft des Christus tut dies von der Basis der absoluten Wahrheit aus, die, da sie wissenschaftlich ist, praktisch und wirksam ist. Denn wenn die Drohung sich als eine leere Drohung erweist, wird die Furcht vor ihr ganz natürlich verschwinden.
Das Gegenmittel für Furcht ist daher nicht bloßer physischer Mut, sondern geistiges Verständnis. Die höchste Form des Mutes ist die Furchtlosigkeit, die mit dem wissenschaftlichen Verständnis von der allmächtigen Kraft der göttlichen Liebe kommt, der Liebe, die gerade dort, wo wir uns befinden, gegenwärtig und wirksam ist. Dieser Mut ist das Vertrauen auf den Sieg der Wahrheit und die Unverletzbarkeit von Gottes Menschen. In dem Maße, wie wir diesen Mut ausdrücken, fürchten wir keinen Fehlschlag, kein Wiederauftreten früherer Übel, keine getäuschten Erwartungen, keine Krankheitsdrohung, keinen unbelohnten Dienst. Er hat dort Erfolg, wo materielle Mittel versagen.
Wir pflegen Furchtlosigkeit, indem wir unsere Überzeugung von der Wahrheit unserer Gotteskindschaft pflegen, die die befreiende Botschaft des Christus uns enthüllt. Furcht kann nicht anders als mit dieser geistigen Gewißheit wirksam bezwungen werden. Wie bei allen geistigen Bestrebungen liefern das Leben und der Charakter Christi Jesu das Beispiel und die Inspiration für die Pflege dieser geistigen Gewißheit.
Während der Jahre seines öffentlichen Wirkens war sich Jesus der Bosheit seiner Verfolger und der Gefahr, daß sie an ihm Rache nehmen würden, voll bewußt, und doch zeigte er weder Zögern, Zweifel noch Unentschlossenheit bei der schrittweisen Erfüllung seiner Mission. Er war ein vollendetes Beispiel für einen Menschen, der voll und ganz auf die folgenden Worte Jesajas vertraute (41:10): „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott; ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“ Und so konnte er auch voller Überzeugung seine Nachfolger ermutigen (Luk. 12:32): „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben.“ In dem vollständigen Bewußtsein von der Gegenwart der göttlichen Liebe gibt es auch nicht die geringste Spur von Furcht.
Im Grunde genommen stammt alle Furcht von dem Glauben an eine Gott entgegengesetzte Macht, und daher ist sie nicht immer bestimmter Natur; zuweilen mag sich jemand von einer namenlosen, nicht identifizierbaren Vorahnung verfolgt fühlen. Furcht muß daher zuweilen nicht als Furcht vor einer besonderen Krankheit oder einem besonderen Zustand, noch als Furcht vor irgend etwas im besonderen gehandhabt werden, sondern es muß lediglich der Anspruch, es gebe einen furchterfüllten Menschen, zurückgewiesen werden.
Furcht tritt zuweilen in Formen auf, die nicht als Furcht erkannt werden. Ganz gewiß gibt es keine scharfe Trennungslinie zwischen Haß und Furcht; denn hassen wir nicht, was wir fürchten, und fürchten wir nicht, was wir hassen? Und ist nicht das Gegenmittel gegen Haß — Liebe — das Heilmittel für Furcht? „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus“ (1. Joh. 4:18).
Werden wir von Furcht vor dem Altwerden heimgesucht? Vergegenwärtigen wir uns unsere unwandelbare Beziehung zu Gott! Da wir das göttliche Gemüt widerspiegeln, wissen wir, daß Er unser Leben ist und daß wir unser Sein in Ihm haben, in Seiner Gegenwart, die wir niemals verlassen können und die uns niemals verlassen wird; da wir Sein Wesen ausdrücken, von dem wir niemals abweichen können, werden wir mit Ihm als Seine geliebten Kinder identifiziert, als Seine getreuen Zeugen, stets aktiv, stets wirksam, stets erfolgreich.
Unsere Fähigkeiten und unsere Funktionen können weder Schwankungen unterliegen noch versagen. In dem Maße, wie wir beharrlich unsere Fähigkeit zu lauschen pflegen, stärken wir unser Hörvermögen; in dem Maße, wie wir über das Zeugnis der materiellen Sinne hinausschauen, wird das Schauen der Unendlichkeit klarer für uns, und der Mensch, der frei ist von Alter, wird für uns zur Wirklichkeit. Und so wird uns auch das zeitlose Leben zur Wirklichkeit, und das zeitlose Leben kommt in einer furchtlosen Lebensweise zum Ausdruck.
Der Mensch ist niemals der Gefangene der Sinne, sondern stets der freie Ausdruck von Gottes Sein, frei von Krankheit und ihrer Drohung, frei von Sünde und ihrer Versuchung, frei von Fehlschlägen und der Verdammung, die sie mit sich bringen, frei von Tod und der Furcht vor dem Tode. Er ist niemals bedroht, und daher fürchtet er sich niemals. Er kennt nur die Verheißung des Guten, und er lebt in der Gewißheit und Freude der gegenwärtigen Erfüllung des Guten.
Dies ist das wahre Dasein und die wahre Erfahrung der Widerspiegelung Gottes; es kann und es sollte hier und jetzt unsere eigene Erfahrung sein.
