Wir alle tragen heute eine große Verantwortung. Jede himmlische Segnung, die wir empfangen haben, bringt die heilige Verpflichtung mit sich, diesen Segen mit anderen zu teilen; jede Christus-Erkenntnis, die unser Denken erfüllt, muß in eine Wohltat für die Menschheit umgesetzt werden.
Niemand lebt für sich allein. Unsere Erziehung, unsere Erfahrungen und Bestrebungen, unser Geschmack, unsere Freuden und unsere Arbeit sind mit denen vieler anderer Menschen eng verknüpft. Wie ungeheuer wichtig ist es daher, unsere gegenseitigen Beziehungen zu verstehen, und zu lernen, was wahre Verantwortung bedeutet, und auch zu lernen, daß ein falsches Verantwortungsgefühl keinen Platz in unserem Leben haben sollte.
Die Christliche Wissenschaft [Christian Science] lehrt eindeutig, daß wir in dem Verhältnis lernen, richtig zu leben, wie wir lernen, in der rechten Weise zu lieben. Mrs. Eddy schreibt in ihrem Buch „Vermischte Schriften“ (S. 234): „Liebe ist das Prinzip der göttlichen Wissenschaft, und Liebe wird nicht durch die materiellen Sinne erfahren noch durch den sträflichen Versuch, das zu scheinen, was wir noch nicht erreicht haben, zu sein: ein Christ. In der Liebe zum Menschen gewinnen wir ein echtes Verständnis von Gott als Liebe, und auf keine andere Weise können wir dieses geistige Verständnis erlangen und uns erheben — und immer weiter erheben — zu den wesentlichen und göttlichen Dingen.“
Gott ist der liebevolle Vater und die liebevolle Mutter von allem, was Er erschafft, und Er führt und leitet weise alle Seine geliebten Kinder. Das Verständnis von dieser Wahrheit ist eine geistige Kraft, die uns über die Versuchung erhebt, ein falsches Verantwortungsgefühl zu hegen, das Sorge, Unglück, Unterdrückung und Furcht mit sich bringt.
Unter dem Deckmantel natürlicher Zuneigung bedient sich das aggressive Verantwortungsgefühl zuweilen des falschen Arguments, daß die Besorgnis der Eltern um ihre Kinder berechtigt sei. Es ist klar, daß die Eltern liebevoll für ihre Kinder sorgen müssen, aber aus welcher Quelle werden die Bedürfnisse des Kindes wirklich gestillt? Durch das Studium der Bibel und des Buches „Wissenschaft und Gesundheit“ von Mary Baker Eddy lernen wir, daß jede weise und liebevolle Tätigkeit die Widerspiegelung des göttlichen Gemüts ist. So sind auch die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen dem Vorsitzenden und den übrigen Mitgliedern eines Komitees, zwischen Lehrer und Schülern in dem Verhältnis gut und nutzbringend, wie geistige Harmonie, Liebe, Freude und Intelligenz bekundet werden.
Wenn wir die Gewißheit erlangen, daß die göttliche Liebe immer ihren Vorsatz ausführt, jedes Kind im Himmelreich richtig zu führen, dann können wir weder beunruhigt sein noch uns belastet fühlen, noch ängstlich um das Wohl irgendeines Menschen besorgt sein. Wenn wir uns still und zuversichtlich Gottes beständiger Güte und seiner schützenden Obhut bewußt sind, erlangen wir einen Schimmer von der Tatsache, daß jeder menschlichen Not reichlich aus der unerschöpflichen Quelle alles Guten abgeholfen wird.
Wenn wir diese Wahrheit klar verstehen, werden wir schneller erkennen, wie wir unseren Freunden, unseren Nachbarn und unseren Lieben behilflich sein können. Wir werden besser verstehen, wie wir sorgenvolle Herzen von ihrer Last befreien können, und werden ihnen durch trostbringende, liebevolle, heilende Wahrheiten helfen, sich aus ihrer Notlage, aus Sorge, Krankheit und Furcht zu Freiheit und Herrschaft zu erheben.
Diese intelligente Liebe wird durch keine übertriebene Sorge um das Wohlergehen eines anderen getrübt. Nur wenn wir selbst im Licht bleiben, können wir anderen den Weg aus der Dunkelheit zeigen. Gott ist gut; deshalb müssen Krankheit, Sorge, Kummer und Sünde als dunkle Schatten des sterblichen Gemüts, als unwirklich und unwahr erkannt werden. Wenn wir das Licht der göttlichen Liebe, das die dunklen Traumschatten vertreibt, widerspiegeln, sind wir imstande, zu segnen, zu trösten und zu heilen. Es ist Liebe, die uns mit christusgleicher Zartheit trösten läßt.
Falsches Verantwortungsbewußtsein ist der Glaube an die persönliche Fähigkeit, sich selbst und andere führen, leiten und regieren zu können. Die klare Erkenntnis von der ewigen, göttlich begründeten Einheit von Gott und Mensch, Prinzip und Idee, erweitert den geistigen Begriff von Liebe. Wir müssen lernen, wirklich zu lieben, damit Gottes Wille geschehe. Auf diese Weise befreien wir uns von der Last der Sorge um unseren Nächsten.
Wenn wir uns in der Weisheit üben, uns nicht in die Handlungen anderer einzumischen, werden wir bereitwilliger einem jeden das Recht zugestehen, die Führung des göttlichen Prinzips, Liebe, zu suchen und ihr zu folgen. Wir brauchen nicht zu befürchten, daß diese ruhige, klare Gewißheit von der Macht des allwirkenden Guten uns dem Recht anderer gegenüber gefühllos oder ihren Bedürfnissen gegenüber gleichgültig machen oder dazu führen könnte, ihren Ruf nach Trost zu überhören oder den warmen, gütigen Händedruck der Vergebung zurückzuhalten. Gerade das Gegenteil wäre der Fall.
In ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit“ schreibt unsere Führerin von Jesus (S. 18): „Er erfüllte sein Lebenswerk in der rechten Weise, nicht nur um sich selbst gerecht zu werden, sondern auch aus Erbarmen mit den Sterblichen — um ihnen zu zeigen, wie sie ihr Lebenswerk zu erfüllen hätten, nicht aber, um es für sie zu tun oder sie einer einzigen Verantwortlichkeit zu entheben.“
Jesus war unendlich gütig und freundlich. Seine Liebe zur ganzen Menschheit war eine geistige Liebe, die die Sterblichen von den Irrtümern des Sinnes heilte. Er sah nicht über die Sünde hinweg, noch entschuldigte er sie. Statt dessen zeigte er seinen Nachfolgern erbarmungsvoll, wie sie Gottes immergegenwärtiges, allmächtiges Gesetz des Guten erkennen könnten. Dieses Wissen befreite sie aus dem Sinnestraum, daß sie vom Bösen geknechtet seien. Er erhob ihr Denken zu einer klareren Erkenntnis von ihrer wahren Selbstheit. Er war ihr bester und größter Freund. Er bewies dies, indem er ihnen zeigte, wie sie ihr „Lebenswerk in der rechten Weise“ erfüllen könnten, ohne sie aber dadurch „einer einzigen Verantwortlichtkeit zu entheben“. Er wußte, daß jeder einzelne unweigerlich und entschieden seine eigene Seligkeit ausarbeiten muß.
Jesus war der Wegweiser. Wir können sicher sein, daß wir, wenn wir seinen Fußtapfen folgen, vom materiellen Sinn zu den Höhen des geistigen Verständnisses vordringen werden. Aber wir können dies nicht tun, wenn wir gleichzeitig versuchen, die Seligkeit eines anderen auszuarbeiten. Sagt uns nicht unsere Führerin in dem Buch „Vermischte Schriften“ (S. 119): „Jeder einzelne ist für sich selbst verantwortlich“?
Wenn wir lieben, helfen wir unserem Mitmenschen, zu seinem geistigen Einssein mit der Quelle des unendlichen Guten und zu dem Verständnis von der Vollkommenheit und Vollständigkeit Gottes und Seines Gleichnisses zu erwachen. Christus Jesus sagte (Matth. 25:40): „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Das ist wahre Verantwortung.
Welch eine klare Erkenntnis hatte unsere Führerin von dem Vorrecht der göttlichen Liebe, für ihre Schöpfung zu sorgen! Aber es hatte auch niemand seit den Tagen des Meisters, dem sie nachfolgte, eine größere Liebe zur Menschheit als sie. Niemand vertraute beständiger und bedingungsloser auf Gott als sie. Weil sie die Vollkommenheit der Regierung Gottes verstand, konnte sie vertrauensvoll alles der göttlichen Führung des Vaters überlassen. Wenn wir weise sind, werden wir ihr folgen und uns über die aggressiven Einflüsterungen erheben, die das falsche Verantwortungsbewußtsein begleiten, und werden so zu einem festeren Vertrauen auf die Allmacht und Allgegenwart Gottes und zu dem geistigen Begriff von wahrer Verantwortung vordringen.
