Warum verschmähen viele Nachfolger Christi Jesu, sein Gebot zu befolgen, Sünde und Krankheit wie er zu heilen? Es geschieht nicht aus Absicht. Sie alle würden frohen Herzens durch geistige Mittel heilen, wenn sie wüßten, wie sie das anfangen sollten. Doch sie fühlen sich der Aufgabe nicht gewachsen, weil sie das Werk des Meisters als ein Wunder ansehen; und sie werden das weiterhin tun, solange sie glauben, daß er eine übernatürliche Macht besaß, die sie nicht besitzen und nicht besitzen können.
Die meisten Menschen verbinden Krankheit mit natürlichen Vorgängen. Das ist der Grund, warum sich ihre Bemühungen, eine Heilung zu bewirken, auf materielle Mittel beschränken. Aber in den Lehren und der Ausübung des Meisters deutet nichts darauf hin, daß er Krankheit mit der Materie in Verbindung brachte. Nehmen wir zum Beispiel die Frau, die da „war verkrümmt und konnte sich mehr aufrichten“ (Luk. 13:11). Jesus heilte sie augenblicklich, und als Erwiderung auf die Kritik des Obersten der Synagoge, daß er sein Heilungswerk am Sabbat getan hätte, antwortete Jesus: „Sollte ... diese, die doch Abrahams Tochter ist, welche der Satan gebunden hatte nun wohl achtzehn Jahre, nicht von diesem Bande gelöst werden am Sabbattage?“
„Welche der Satan gebunden hatte“ —, was meinte er damit? Vom Standpunkt der scholastischen Theologie aus gesehen ist der Satan die mutmaßliche Quelle des Bösen. Der Offenbarer machte die folgende erleuchtende Bemerkung über den Satan (Offenb. 12:9): „Und es ward gestürzt der große Drache, die alte Schlange, die da heißt Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt.“ Da Jesus den Satan als den Verführer erkannte, handhabte er das Leiden der Frau zweifellos als eine Täuschung, als einen falschen mentalen Zustand, der den materiellen Sinnen als ein physischer Zustand erscheint, als ein Naturphänomen.
Als er von Pilatus über seinen Status befragt wurde, erklärte der Meister, daß er in die Welt gekommen sei, um für die Wahrheit zu zeugen (siehe Joh. 18:37). Nur Wahrheit, die Macht des unsterblichen Gemüts, kann Täuschungen überwinden. Es war daher die Wahrheit, mit deren Hilfe Jesus die Frau heilte. Keine Arznei und kein materielles Mittel kann eine Täuschung überwinden.
Wenn auch die Christliche Wissenschaft [Christian Science] die Krankheit als eine Täuschung erklärt, so geht sie doch noch viel weiter. Sie beweist, daß Wahrheit die heilende Macht Gottes, des unsterblichen Gemüts, ist. Diese Wissenschaft zeigt, wie die Wahrheit auf eine Weise angewandt werden kann, daß heutzutage Menschen, die keinen Anspruch auf eine übernatürliche Macht erheben, die Heilungswerke wiederholen, die Jesus zu einem so wichtigen Bestandteil seines segensreichen Wirkens machte. Diese Tatsache schaltet selbst die Möglichkeit aus, daß es sich bei diesen Heilungswerken um ein Wunder handele.
Hier folgt, was Mrs. Eddy über die Natürlichkeit des geistigen Heilens zu sagen hat (Wissenschaft und Gesundheit, Vorw., S. xi): „Das physische Heilen durch die Christliche Wissenschaft ist jetzt, wie zu Jesu Zeiten, das Ergebnis der Wirksamkeit des göttlichen Prinzips, vor dem Sünde und Krankheit ihre Wirklichkeit im menschlichen Bewußtsein verlieren und ebenso natürlich und unvermeidlich verschwinden, wie Dunkelheit dem Licht und Sünde der Umwandlung Raum gibt. Heute wie damals sind diese mächtigen Werke nicht übernatürlich, sondern im höchsten Grade natürlich.“
Täuschung hat ihren Ursprung in dem sogenannten sterblichen oder fleischlichen Gemüt, einer Mentalität, die das gerade Gegenteil des unsterblichen Gemüts ist. Paulus sprach von dem fleischlichen Gemüt als „Feindschaft wider Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag's auch nicht“ (Röm. 8:7). Da dieses Gemüt kein Prinzip hat, hat es auch keine Intelligenz, kein Gesetz, keine Wahrheit, keine Macht, keine Wirklichkeit.
Als die falsche sterbliche Annahme, die die Frau all diese Jahre hindurch gebunden hatte, sich der Wahrheit gegenübergestellt sah, verschwand sie, weil Jesus sie als das erkannte, was sie war: eine Lüge — ein Nichts, das unter der Maske von Etwas auftritt, in der Absicht zu täuschen. Jesus trieb diese Lüge aus seinem eigenen Denken aus, ehe er sie aus dem Denken der Frau austrieb. Wohin ging diese Lüge? Nirgendhin. Woher kam sie? Nirgendher. Was war sie also während all der Jahre, in denen die Frau durch sie gebunden gewesen war? Eine mesmerische Illusion. Solange, wie man geglaubt hatte, sie sei etwas, hatte sie nicht nur die Frau getäuscht, sondern auch jeden, der sie gesehen hatte. Den Meister aber vermochte sie nicht zu täuschen.
Wohl der größte Betrug, der je begangen worden ist, derjenige, unter dem die Menschheit am meisten gelitten hat, ist die Täuschung, daß Krankheit ein Phänomen der Natur sei. Es ist geradeso, als ob der Satan das menschliche Denken durch falsche Erziehung dazu verführt hätte, Krankheit und Sünde zusammen mit der Materie und dem Bösen als etwas Natürliches hinzunehmen.
Diese universelle Täuschung hat ein gewaltiges Bemühen ausgelöst, Krankheit durch materielle Verfahren zu heilen. Sie bringt ihr Bemühen im Namen der physischen Wissenschaft vor und betrachtet das Heilen durch geistige Mittel allein als unwissenschaftlich. Aber die mutmaßliche Quelle aller Krankheit ist in der göttlichen Wissenschaft von jeher als „der große Drache, die alte Schlange, die da heißt Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt“ erkannt worden; und Wahrheit, die Macht des unsterblichen Gemüts, wird als allumfassend in ihrer Anwendung bewiesen.
Es bleibt noch Zeit in unserem gegenwärtigen Zeitalter für die Erfüllung der folgenden Verheißung Mrs. Eddys (Pulpit and Press, S. 22): „Wenn das Leben der Christlichen Wissenschafter Zeugnis ablegt für ihre Treue zur Wahrheit, so sage ich voraus, daß im zwanzigsten Jahrhundert jede christliche Kirche in unserem Lande und einige in weit entfernten Ländern sich dem Verständnis der Christlichen Wissenschaft [Christian Science] genügend genähert haben werden, um die Kranken in Seinem Namen zu heilen.“
Eine Art und Weise, durch die wir unsere Treue zur Wahrheit bezeugen können, ist die, Krankheit von der Natur oder von natürlichen Vorgängen zu trennen. Wir erkennen Krankheit als eine Darbietung des tierischen Magnetismus oder des sterblichen Gemüts. Dann sind wir imstande, sie durch Wahrheit zu heilen, und Heilungen, die durch die Macht des unsterblichen Gemüts zustande gebracht wurden, werden als göttlich natürlich, nicht als etwas Übernatürliches angesehen werden.
