Freiheit kommt ins menschliche Denken, wenn die Irrtümer zerstört werden, die es gefangen halten. In dem Verhältnis, wie wir uns der Disziplin von Wahrheit und Liebe unterwerfen, wird das menschliche Bewußtsein von seinen irrigen Bestandteilen geläutert und bringt die Eigenschaften des göttlichen Gemüts — seine Reinheit, seine Liebe, seine Intelligenz — zum Ausdruck. In dem Maße, wie wir durch unser wachsendes Verständnis des Christus, der Wahrheit, eine tiefe innere Antwort auf seinen Anruf vernehmen, werden wir das Verlangen haben, seinen hohen geistigen Standard zu unserem eigenen zu machen, und das wird uns veranlassen, uns über die alten materialistischen Denkgewohnheiten zu erheben, die eines Kindes Gottes unwürdig sind.
Wir werden uns der Wahrheit bewußt, daß gewisse ererbte oder erworbene Charakterzüge kein Teil unserer Individualität als geistige Widerspiegelungen Gottes sind. Wenn wir uns von diesen Charakterzügen frei machen, uns nicht länger von ihnen beherrschen lassen, sind wir imstande, unsere höchsten Fähigkeiten durch eine ungehinderte Widerspiegelung der göttlichen Wahrheit und Liebe zu entwickeln. In bezug auf diesen Punkt erklärt unsere Führerin, Mrs. Eddy (Wissenschaft und Gesundheit, S. 227): „Liebe und Wahrheit machen frei, Böses und Irrtum aber führen in Gefangenschaft.“ Weiter unten sagt sie: „Bürger der Welt, nehmt die herrliche, Freiheit der Kinder Gottes‘ an und seid frei! Das ist euer göttliches Recht.“
Es ist also unsere innere Treue zu Christus, die uns von der Sklaverei der sogenannten fleischlichen Natur mit ihren falschen Führungen und Begrenzungen befreit, die die Entfaltung unserer gottgegebenen Fähigkeiten verhindern oder sie verkümmern lassen, und die uns krank, unglücklich oder arm bleiben lassen.
Alle Ansprüche der sogenannten sterblichen menschlichen Natur scheinen uns der mentalen und geistigen Freiheit zu berauben, die für eine ausgeglichene Entwicklung und für den Erfolg notwendig ist. Im Grunde sind diese Ansprüche nur Bestandteile der sterblichen Illusion von der Wirklichkeit der Materie und von der Existenz vieler Gemüter, von denen jedes eine Mischung aus Gut und Böse ist, jedes in einem materiellen Körper wohnt und von ihm abhängig ist. Dem sterblichen Sinn erscheint der sterbliche Mensch demnach mit der Fähigkeit ausgestattet zu sein, seinen eigenen Ansichten entsprechend zu planen, und mit der Neigung behaftet, auf falsche Einflüsse mit falschem Verhalten zu reagieren.
Die Befreiung der Menschen von ihrer unnötigen Unterwerfung unter diese falsche Auffassung von sich selbst muß daher mit dem Verständnis von Christus beginnen, das die Unwirklichkeit der gesamten sterblichen Vorstellung von Leben, von Gemüt und vom Menschen vollständig erklärt. Die Christliche Wissenschaft erweckt den Anhänger ihrer Lehre zum Bewußtsein seiner vollen Möglichkeiten zum Guten, die er praktisch verwirklichen kann, wenn er gegenüber den Einflüsterungen des materiellen Sinnes wachsam ist, sowie durch sein aufrichtiges Bemühen, sein Denken von ihrem Einfluß frei zu machen.
Gedankenfreiheit beginnt in der Christlichen Wissenschaft damit, daß sich derjenige, der sie studiert, vergegenwärtigt, daß er in Wahrheit ein völlig geistiges Wesen ist und daher nicht an die Materie oder an die Ansprüche einer sterblichen Natur gefesselt und auch dem Bösen jeglicher Art gegenüber nicht hilflos ist. Sein wahres Wesen, seine Individualität, ist nicht der Resonanzboden der Materialität oder der Sklave materieller Vererbung, sondern der geistige Ausfluß oder die Widerspiegelung des göttlichen Prinzips, Gottes, des Vater-Mutter jeder Seiner Ausdrucksformen. Das Verständnis dieser grundlegenden Wahrheit hat sofort eine vergeistigende, befreiende Wirkung auf den Christlichen Wissenschafter, indem es ihn aus den Banden sterblicher Eigenschaften befreit.
In unserem Fortschritt zu der Verwirklichung unserer Freiheit lernen wir als eine der ersten und notwendigen Lektionen mit dem Einfluß eines bohrenden Grolls über ein wirkliches oder eingebildetes Unrecht und mit einer tiefen persönlichen Abneigung, die manchmal damit verbunden ist, fertig zu werden. Christus Jesus, der bewies, daß die göttliche Liebe das Gemüt von allem ist, hegte keinen Groll gegen diejenigen, die ihn schmähten. Selbst am Kreuz, in diesem Augenblick äußerster Versuchung, es seinen Peinigern heimzuzahlen, konnte er sagen (Luk. 23:34): „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“
Nichts konnte sein Denken mit Bitterkeit oder Groll erfüllen. Sein Gebet, das uns zu unserem eigenen Besten in jeder Lebenslage leiten sollte, lautete (Matth. 6:12): „Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern.“ Und er fügte hinzu: „Denn wenn ihr den Menschen ihre Übertretungen vergebet, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Übertretungen auch nicht vergeben.“
Wenn wir das Gefühl nähren, daß uns Unrecht geschehen sei, fesseln wir uns selbst an dieses falsche Gefühl. Groll, der bloß unterdrückt wird, schwelt weiter und beeinflußt das menschliche Denken auf Kosten des Glücklichseins des einzelnen und gewißlich zum Nachteil seines geistigen Fortschritts. Wenn jedoch solch ein verborgenes, nagendes Gefühl aufgedeckt und dann nicht gerechtfertigt, sondern verdammt wird in der klaren Erkenntnis seiner bösartigen Natur und daher seiner Unwirklichkeit als gänzlich unvereinbar mit der Widerspiegelung der göttlichen Liebe, dann wird das Gefühl des Verletztseins aus dem Denken schwinden, und seine Fesseln aus der menschlichen Erfahrung. Dies ist die Wirkung des Christus auf das menschliche Bewußtsein. Wir sollten aus der folgenden inspirierenden Erklärung unserer Führerin große Ermutigung schöpfen: „Wer den Saum des Gewandes Christi berührt und seine sterblichen Annahmen, das tierische Wesen und den Haß, meistert, der erfreut sich des Beweises des Heilens, eines süßen und gewissen Sinnes, daß Gott Liebe ist“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 569).
Der erbarmungslose Ehrgeiz, ein vorbestimmtes Ziel im Leben zu erreichen, ohne Rücksicht auf die Rechte und das Wohlergehen anderer, ist eine weitere Form der Unterwerfung unter die täuschenden Argumente des fleischlichen Gemüts. Der Antrieb halsstarrigen Verlangens entstellt das menschliche Denken und verhindert die ausgewogene Entwicklung unserer besten Fähigkeiten. Oft macht es den einzelnen blind gegen seine wahren Gelegenheiten zum Fortschritt, den er macht, wenn er Gott und seinen Mitmenschen irgendeinen Dienst erweist.
Durch einen befreiten geistigen Sinn lernen wir, die göttliche Liebe unseren Vorsatz bestimmen zu lassen. Nicht eigennützig, sondern von ganzem Herzen dienen wir dann diesem Vorsatz, inspiriert von dem Bewußtsein des Guten, das er allen Beteiligten bringen wird, und mit einem Verständnis von dem göttlichen Schutz, der die Erfüllung dieses Vorsatzes gewährleistet. Auf diese Weise bringen wir die hemmenden Eingebungen des sterblichen Gemüts zum Schweigen, die uns in Unterwerfung halten möchten. Von diesen Behinderungen befreit, können wir die reinen Eigenschaften und stets verfügbaren Fähigkeiten des göttlichen Gemüts ausdrücken, die die Durchführung jeder guten Aufgabe ermöglichen und die tatsächlich zu einem Leben führen, das reich ist an erfolgreichem Dienen und seinen mannigfachen Belohnungen.
Unsere Führerin gibt uns diese Worte wunderbarer Klarheit und Zuversicht (ebd., S. 481): „Der Mensch ist Gott, dem Geist, untertan und nichts anderem. Gottes Sein ist Unendlichkeit, Freiheit, Harmonie und grenzenlose Seligkeit., Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.‘ Wie den Hohenpriestern vor alters, so ist dem Menschen der, Eingang in das Heilige‘ — in das Reich Gottes — frei.“