Als der Naturforscher Charles Darwin seine Entwicklungstheorie darlegte, betrachtete ihn der größte Teil der religiösen Welt als den Erzfeind Gottes, und nahm jemand seine Theorie an, so bedeutete das für den religiösen Menschen, daß er sich von Gott, der Bibel und allem, was für heilig erachtet wurde, abgewandt hatte. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, schreibt jedoch in ihrem Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift: „Hat Darwin nicht vielleicht recht, wenn er denkt, das Affentum sei dem sterblichen Menschentum vorangegangen?" Wissenschaft und Gesundheit, S. 543; Und sie fügt auf einer anderen Seite hinzu: „Darwins Entwicklungstheorie, die von einer materiellen Grundlage ausgeht, ist in ihrer Geschichte der Sterblichkeit folgerichtiger als die meisten Theorien." S. 547;
Mrs. Eddy verurteilte Darwin nicht, noch lehnte sie seine Theorien ab. Sie betrachtete sie unter dem Gesichtspunkt seiner Vermutungen und hielt dafür, daß sie in der Beschreibung der Geschichte der Sterblichkeit einen Sinn ergaben, obgleich sie nicht das geistige Menschentum beschrieben. Mrs. Eddys Einstellung ist heute für viele Christliche Wissenschafter richtungweisend beim Studium der Theorien der Psychologie, der modernen Biologie und anderer Natur- und Sozialwissenschaften. Wenn auch die Christlichen Wissenschafter dies Theorien unter dem Gesichtspunkt der Voraussetzung, auf die sie sich gründen, studieren, so glauben sie doch nicht irrigerweise, daß diese Theorien den geistigen Menschen, zum Ebenbild Gottes, des Geistes, geschaffen, beschreiben.
Die heutigen Theorien über den sterblichen Menschen — sei es in der Psychologie, Biologie und in den Sozialwissenschaften — beschreiben ihn in vieler Beziehung klarer als je zuvor. Einige Lehren der modernen Psychologie nähern sich Mrs. Eddys Schlußfolgerungen über das sterbliche oder fleischliche Gemüt, obgleich sie nichts über das göttliche Gemüt, Gott, sagen. Die moderne Physiologie beschreibt den sterblichen Körper bis in die kleinsten Einzelheiten, doch erwähnt sie nichts darüber, daß der individuelle, geistige Mensch göttliche Ideen verkörpert. Der Christliche Wissenschafter kann in der modernen Soziologie gewisse Punkte finden, die zu Mrs. Eddys Lehren über die menschliche Gesellschaft parallel laufen, wenn auch erstere Mrs. Eddys Lehre über die geistige zusammengesetzte Idee, die Gattung Mensch, übergeht.
Es ist die Aufgabe der Christlichen Wissenschafter, den weiteren Schritt zu machen — von der Relativität der menschlichen Studien zu dem Absoluten der göttlichen Wissenschaft. Wir lernen durch die Christliche WissenschaftChristian Science; sprich: kr'istjən s'aiəns. vom Standpunkt der absoluten Wahrheit aus zu denken, selbst wenn wir durch den menschlichen Zustand gebunden zu sein scheinen, das heißt, selbst wenn wir noch ein sterbliches Gemüt und einen sterblichen Körper zu besitzen und in einer Gesellschaft zu leben scheinen, deren Meinungen und Absichten auseinandergehen und sich widersprechen.
Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß wir in dem Maße, wie wir uns mit dem Geistigen — dem Christus, der Wahrheit — identifizieren, gewahr werden, daß sich unsere menschliche Daseinsauffassung gebessert hat. Unser Leben verliert etwas von seiner groben Materialität und gewinnt an Geistigkeit; wir machen uns mehr die Merkmale des göttlichen Gemüts zu eigen; unser Körper bringt mehr Harmonie und Gesundheit zum Ausdruck; die Gesellschaft, in der wir uns bewegen, steigt eine Sprosse auf der Stufenleiter zu allumfassender Liebe und Gleichheit empor. Dies bedeutet Heilung in ihrem weitesten Sinn.
Paulus bezog sich auf diesen Heilungsvorgang, als er schrieb: „Leget von euch ab den alten Menschen mit seinem vorigen Wandel, der durch trügerische Lüste sich verderbt. Erneuert euch aber im Geist eures Gemüts und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit." Eph. 4:22–24;
Ein erweitertes und besseres Verständnis vom geistigen Dasein muß unsere menschlichen Studien begleiten. Wir können in den meisten menschlichen Studien — wenn wir danach Ausschau halten — Anzeichen dafür finden, daß sich die Auffassung von den Dingen bessert. Mrs. Eddy schreibt: „Durch die Astronomie, Naturgeschichte, Chemie, Musik und Mathematik geht der Gedanke naturgemäß von der Wirkung auf die Ursache zurück. Akademische Bildung rechter Art ist vonnöten. Beobachtung, Erfindung, Studium und schöpferisches Denken erweitern den Horizont; sie sollten dazu beitragen, daß das sterbliche Gemüt über sich selbst hinauswachse, über alles, was sterblich ist." Wissenschaft und Gesundheit, S. 195;
Akademisches Studium sollte dazu beitragen, „daß das sterbliche Gemüt über sich selbst hinauswachse", anstatt dies zu hindern. „Beobachtung, Erfindung, Studium und schöpferisches Denken" haben der Menschheit gute Dienste geleistet. Das Beobachtungsvermögen der Menschheit hat in größerem Maße als je zuvor durch Teleskop und Mikroskop zugenommen, so daß die Menschen buchstäblich Millionen von Gegenständen sehen, die zuvor nicht wahrnehmbar waren. Die Erfindungen der modernen Technologie befreien die Menschheit immer mehr von beschwerlichen Aufgaben. Ein Studium der Phänomene in der Natur und Kultur trägt dazu bei, den Horizont der Menschheit und ihre Selbsterkenntnis zu erweitern. Schöpferisches Denken sucht das sich schnell ansammelnde Wissen auf bessere Weise zu ordnen und zu erklären.
Besteht ein Konflikt zwischen der Christlichen Wissenschaft und dem akademischen Studium? Nein! Der Christliche Wissenschafter kann mit Mrs. Eddy fragen: „Hat Darwin nicht vielleicht recht. .. ?" Mag nicht jede andere Theorie unter dem Gesichtspunkt ihrer Voraussetzungen richtig sein? Und der Christliche Wissenschafter kann seine Studien tatkräftig aufnehmen, sich mit ihnen auseinandersetzen, sie von ihrer eigenen Warte aus betrachten, den Unterschied zwischen dem Menschlichen und Göttlichen erkennen und aus dieser Tätigkeit geistige Lehren ziehen.
Der Christliche Wissenschafter braucht nicht mit seiner Religion Kompromisse zu schließen oder sie auf einen bestimmten Sektor zu beschränken, wie einige Studenten denken mögen; und es besteht gewiß keine Notwendigkeit, sie eine Zeitlang aufzugeben und ein Agnostiker zu werden, was für viele der einfachste Ausweg zu sein scheint. Wenn auch einige Professoren Gott und Religion verleugnen mögen, ist es doch wichtig, daran zu denken, daß es nur ihre eigene Auffassung von Gott und Religion ist, die sie verleugnen. Der Christliche Wissenschafter wird feststellen, daß er weder jene Auffassung von Gott noch jene Art der Religion akzeptiert.
Selbst wenn hingebungsvolle Gelehrte Religion und Gott abzulehnen scheinen, suchen sie oft von ganzem Herzen nach der Wahrheit. Sie lehnen zwar eine Religion der Form und Zeremonie, des Pomps und Prunks als Torheit ab, suchen jedoch in ihrem Leben auszudrücken, was sie akzeptieren: ein tiefes Interesse für die Menschheit. Der Christliche Wissenschafter schließt sich den Gelehrten sowohl in ihrer Suche nach einem klareren Verständnis vom Wesen der Wirklichkeit wie auch ihrem Bestreben an, dieses Interesse für die Menschheit wirksamer zum Ausdruck zu bringen.
Der Christliche Wissenschafter akzeptiert die Forderung der Hochschule oder Universität, wenn er seinem Studium nachgeht und versucht, ihm eine Bedeutung für sich selbst abzugewinnen und durch sie ein besserer Christlicher Wissenschafter zu werden. Wenn er beständig göttliche Eigenschaften in menschlichen Angelegenheiten ausdrückt, lebt er seine Religion so, daß Professoren und Kommilitonen fragen mögen: „Was hat er, was wir nicht haben?" Er unterhält ein aufgeschlossenes und forschendes Denken, stets bereit zu fragen: „Hat Darwin nicht vielleicht recht. .. ?" Er ist bestrebt, aus einer träumerischen Auffassung sowohl vom Materiellen wie vom Göttlichen herauszukommen und entspricht der gegenwärtigen Forderung, auf die er in folgenden Worten hingewiesen wird:
O weile nicht im Land des Traums,
Hast du, o Mensch, auch Träume gern.
Prüf klaren Blicks die Gegenwart,
Und lausch dem Rufe unsres Herrn. Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 6.
