Was heißt es, das Bild Gottes zu sein? Hat das Sein, von diesem Standpunkt aus betrachtet und zum Ausdruck gebracht, einen praktischen Wert für den einzelnen? Das Wort „Bild" spielt im heutigen Denken und in der heutigen Terminologie eine bedeutende Rolle. Wir hören davon, daß durch gesteuerte Propaganda — durch die wiederholte Betonung festgelegter Phrasen und Begriffe — in den Augen der Welt ein verzerrtes oder vorteilhaftes Bild von einem Menschen oder einer Nation geschaffen wird. Dies ist eine Art von Gehirnwäsche, und das sterbliche Gemüt besteht darauf, durch diese Methoden Gedankenströme ohne viel Rücksicht auf die Wahrheit in die Richtung zum Guten oder zum Bösen zu leiten.
Solche Begriffe und Methoden reichen bei weitem nicht an das Wort „Bild" und seine tiefe Bedeutung in der Christlichen Wissenschaft heran. Hier lernen wir, daß der Mensch das Bild Gottes ist, Gottes eigene Widerspiegelung Seiner selbst. Die Christliche Wissenschaft befreit das Denken aus der Gefangenschaft seiner eigenen Selbstbegrenzung und macht es uns möglich zu erkennen, daß der Mensch die Eigenschaften Gottes zum Ausdruck bringt, und zu verstehen, daß er das tatsächliche Gleichnis des Gemüts ist, das, worin sich Gott, das göttliche Gemüt, offenbart.
In diesem Licht nimmt das erste Kapitel der Genesis für den Christlichen Wissenschafter eine neue Bedeutung an. Die erhabene Erklärung: „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn" 1. Mose 1:27; muß als eine zeitlose Erklärung der Wahrheit angesehen werden, weder dem Wechsel noch der Manipulation unterworfen.
Christus Jesus illustrierte das wahre Bild, oder die wahre Selbstheit. Sein Leben war ein Wunder unwandelbarer Liebe. Grober Bosheit begegnete er mit wissenschaftlicher Weisheit; Unwissenheit mit gleichbleibender Geduld und Erleuchtung. Er weigerte sich, dem Druck der Menge zu weichen, die ihn bedrängte, oder von der einengenden pharisäischen und römischen Willkürherrschaft begrenzt zu werden. Zweifellos verbrachte er viele Stunden allein im Gebet in Gemeinschaft mit Gott. Markus sagt von ihm: „Des Morgens vor Tage stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete daselbst." Mark. 1:35;
Jesu geistige Sinne gewahrten immerdar den Plan der Liebe. Sein Weg muß auch unser Weg sein. Die Tiefe seines Lebens inspiriert den Schüler dazu, diese Liebe seine Motive und Beziehungen erleuchten und beleben zu lassen, — und sie so ausstrahlen zu lassen, daß sie eine heilende Wirkung hat.
Die uns vertrauten Einschränkungen, die man sich fast ungewollt selbst auferlegt, werden als betrügerisch erkannt, als etwas, was keine göttliche Grundlage oder Macht hat. Der Mensch kann nicht eingeschränkt werden, noch können wir uns vorstellen, daß das wahre Gleichnis Gottes als ein sterblicher Mensch versucht, die Imitation eines unsterblichen Gottes zu sein. In der Wissenschaft beginnen wir mit der Tatsache, daß der Mensch bereits vollkommen ist, und diese Überzeugung gibt uns die Initiative, in unseren täglichen Angelegenheiten diese Vollkommenheit auszuarbeiten.
Mrs. Eddy schreibt: „Die große Wahrheit in der Wissenschaft des Seins, daß der wirkliche Mensch vollkommen war, ist und stets sein wird, ist unbestreitbar; denn wenn der Mensch das Bild, die Widerspiegelung, Gottes ist, dann ist er weder verkehrt noch umgekehrt, sondern aufrecht und gottähnlich." Wissenschaft und Gesundheit, S. 200;
Eine Christliche Wissenschafterin, die ich kenne, machte eine interessante Erfahrung bei ihrem Bemühen, sich von Begrenzungen zu befreien. In der Stadt, in der sie lebte, war ihre Wohnung — in der Claystraße gelegen — zwar hinreichend, aber nicht mehr als das. Das Einkommen der Familie war nicht groß und außerdem unsicher. Sie hatten es niemals reichlich. Die Christliche Wissenschafterin war in dieser Atmosphäre aufgewachsen und sah Spärlichkeit beinahe als natürlich an.
Nach einigen Jahren, als sie in einer fremden Stadt wohnte, begann sie sich ernsthaft für die Christliche Wissenschaft zu interessieren. Damit setzte eine Umwandlung in ihrem Denken ein. Sie dachte über ihre Umgebung und die sich ihr bietenden Möglichkeiten in erweiterten Begriffen und sah alles in einem neuen Licht — alles, das heißt, außer sich selbst. Hier mußte sie feststellen, daß das Bild der Kleinheit bestehenblieb. Gewisse Gedanken schienen sich in ausgefahrenen Gleisen zu bewegen. Mit dem Pfennig rechnen, knausern, und vor allen Dingen in engen Begriffen über Versorgung denken schienen unvermeidlich.
Eines Tages sah sie dann diesen Suggestionen ins Auge und fragte sich: „Wohne ich immer noch in der Claystraße?" Dies war eine wachrüttelnde Frage. Es kam ihr immer wieder der Gedanke, daß Gott ihr keine Grenzen auferlegt hatte, und sie weigerte sich, sich selbst zu begrenzen. Sie hatte in der Wissenschaft gelernt, daß sie die Widerspiegelung des einen Gemüts war; daher hatte sie kein persönliches Gemüt, das von Geburt an mit Begrenzungen und Furcht belastet war. „Gott ist mein Gemüt", erklärte sie, „und ich weigere mich, noch länger in der Claystraße wohnen zu bleiben."
Es war dieses radikale Sich-Abwenden von dem falschen Bild und das Anerkennen der Wahrheit, was bei ihr den Mesmerismus brach. Seit der Zeit, so erzählte sie mir, war Mangel nie wieder ein Problem für sie.
Das sterbliche Gemüt behauptet, daß wir alle in der einen oder anderen Form unsere Claystraßen haben. Aber der wachsame Christliche Wissenschafter weigert sich, dort zu wohnen! Er zerreißt die mentalen Bande, die ihn an die sogenannte ererbte oder erklärliche Armut fesseln möchten. Er macht keine mentalen Ausflüge in eine sterbliche Vergangenheit, die ihn mit solchen Zuständen in Verbindung bringen würde.
Mrs. Eddy schildert eindrucksvoll ihre Entdeckung der Christlichen Wissenschaft. Sie schreibt: „Die göttliche Hand führte mich in eine neue Welt des Lichts und des Lebens, in ein neues Universum — alt für Gott, aber neu für Seiner, Geringsten' einen." Rückblick und Einblick, S. 27; Sobald wir mehr über die Christliche Wissenschaft erfahren, wenn sie in unser Leben kommt, um uns zu segnen und zu heilen, wird ein jeder von uns in gewissem Sinne „in eine neue Welt des Lichts und des Lebens" geführt. Werte ändern sich. Wir bekommen eine kleine Ahnung von dem, was es bedeutet, das Bild Gottes zu sein.
Wir erkennen, daß die Vollkommenheit Gottes und des Menschen nicht behandelt oder geheilt zu werden braucht. Sie ist bereits begründet. Wir müssen also daran gehen, sie zu demonstrieren! Auch braucht die Einheit Gottes und des Menschen nicht verbessert oder wiederhergestellt zu werden. Sie ist hier und jetzt unversehrt. So können wir uns also weigern, bei unserem Bemühen, diese Wahrheit zu leben, abzugleiten. Was Gott getan hat, steht unveränderlich fest und sicher. Es braucht weder Behandlung noch Heilung. Was wir tun müssen, ist, es als gegenwärtig und als die einzige Tatsache unseres Seins zu sehen und anzuerkennen.
In einem seiner Briefe legt Paulus den ersten Christen sehr nahe, ihren Begriff vom Menschen zu erhöhen, und er fügt hinzu: „. .. denn ihr habt ja ausgezogen den alten Menschen mit seinen Werken und angezogen den neuen, der da erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbilde des, der ihn geschaffen hat." Kol. 3:9, 10;
Dieser neue Mensch, der die geistige Individualität eines jeden von uns ist, kennt keine Grenzen. Die sich aufdrängenden oder projizierten Bilder von Mangel, Krankheit und Sünde — womit das sterbliche Gemüt den Menschen fälschlicherweise identifiziert — können im wahren Sein weder Raum noch Halt finden. Im geistigen Bewußtsein gibt es keine verzerrten Bilder.
Die Forderung der göttlichen Wissenschaft besteht in folgendem: In unserer menschlichen Erfahrung müssen wir die Mißgriffe und Sorglosigkeit des materiellen Lebens von der Intelligenz und Genauigkeit des Gemüts auflösen lassen, die Kritik der Sinne von der Sanftheit und Freude der Seele, und die sterblichen Regungen und Extreme des Denkens durch die Standhaftigkeit des Prinzips zum Schweigen bringen. Dann werden sich die Umrisse des göttlichen Bildes in unserem Leben abzeichnen, und wir werden die Bedeutung der folgenden Worte Mrs. Eddys immer mehr verstehen lernen: „Selbst durch die Nebel der Sterblichkeit wird der Glanz Seines Kommens erblickt." Vermischte Schriften, S. 363.
