„Als Anhänger der Wahrheit haben wir das inspirierte Wort der Bibel zu unserem geeigneten Führer zum ewigen Leben erwählt." Wissenschaft und Gesundheit, S. 497; So lautet der erste Glaubenssatz der Christlichen Wissenschaft, wie Mary Baker Eddy, deren Entdeckerin und Gründerin, ihn in ihrem Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift darlegt. Diese Erklärung erkennt die Bibel als Autorität an, die die kirchliche Tradition überflüssig macht, und bezieht somit die Christlichen Wissenschafter deutlich in die Reihen des protestantischen Christentums ein.
Ist die ganze Bibel inspiriert? Der folgende Satz aus 2. Timotheus lautet nach der englischen King-James-Übersetzung: „Alle Schrift ist von Gott durch Inspiration eingegeben und ist nützlich" 2. Tim. 3:16;; er kann auch, wie in der amerikanischen Standardausgabe, folgendermaßen übersetzt werden: „Jede Schrift, von Gott eingegeben, ist auch nützlich." Und was versteht man unter Inspiration?
Unter Inspiration versteht man im allgemeinen eine Art der Eingebung oder plötzlichen Erkenntnis, die von den üblichen Vorgängen im menschlichen Gemüt abweicht. Im religiösen Sinn angewandt, deutet das Wort auf Offenbarung hin, auf eine Bekundung des Göttlichen; das Denken wird inspiriert, wenn es einen Schimmer von der geistigen Wirklichkeit, der Gegenwart und Macht Gottes, erfaßt. Solche Lichtblicke, die zuweilen zu einer unaufhörlichen Wahrnehmung werden, sind für die Bibel kennzeichnend, jedoch für manche Teile mehr als für andere, und besonders für das Neue Testament, da die Bibel die Stadien einer fortlaufenden Entfaltung der Wahrheit über Gott und den Menschen darstellt. Die Psalmen bergen eine Fülle solcher Erkenntnisse, und aus ihnen schöpften die großen Propheten den Ereignissen ihrer Zeit entsprechend Führung und Ermutigung.
Ein charakteristisches Merkmal für erleuchtetes Denken ist jedoch, daß es nicht nur für die Zeitgenossen, sondern in allen Zeitaltern für jene eine Botschaft hat, die die Fähigkeit besitzen, sie aufzunehmen, genauso wie Radioübertragungen von allen denen, und zwar nur von denen, empfangen werden können, die in der Lage sind, die richtige Wellenlänge einzuschalten. Denn wenn der Leser aus den inspirierenden Erklärungen der Wahrheit Nutzen ziehen soll, benötigt er ein gewisses Maß an geistigem Verständnis oder Inspiration.
Auf dem Weg nach Emmaus wies Jesus die zwei Jünger zurecht, weil sie nicht zu erkennen vermochten, wie sich die Hinweise auf den Christus im Alten Testament in seinem eigenen Leben erfüllten. Andererseits lobte er Petrus, als dieser ihn durch Inspiration als den verheißenen Messias erkannte.
Um die Botschaften in der Bibel zu erfassen und sie sich zunutze zu machen, müssen wir gewöhnlich über die buchstäbliche Bedeutung hinausschauen, die die Worte jenen übermittelten, an die sie zunächst gerichtet waren. Die eindrucksvolle Behauptung des Paulus: „Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig" 2. Kor. 3:6; können wir mit einer Erklärung Mrs. Eddys vergleichen, nämlich: „Die wörtliche Wiedergabe mache die Heilige Schrift wertlos, ja sei oft der Grund für Unglauben und Hoffnungslosigkeit. Die Übertragung ins Metaphysische werde zu Gesundheit, Frieden und Hoffnung für alle. Das buchstäbliche oder sinnengebundene Lesen sei das Lesen des fleischlichen Gemüts, das eine Feindschaft wider Gott, Geist, ist." Vermischte Schriften, S. 169;
Die nachteilige Wirkung einer wörtlichen Übersetzung zeigt sich am deutlichsten in den Stellen, die Gott als menschlichen Leidenschaften unterworfen beschreiben, als einen Gott, der das Böse zuläßt und es sogar auferlegt, oder die die Menschen als einen elenden Sünder schildern. Jeder Hinweis ist irreführend, der Gott als ein endliches Wesen oder den Menschen als sterblich oder die Schöpfung als materiell darstellt; er steht der vernünftigen Lehre entgegen. Um sich den Widersprüchen zu entziehen, die eine wörtliche Übersetzung mit sich bringt, haben viele gläubige Menschen aus Mangel an geistigem Verständnis Zuflucht zu verzerrten bildlichen und symbolischen Auslegungen genommen, die mitunter phantastischer Natur sind.
Wenn man berücksichtigt, daß es die metaphysische Auslegung ist, die wichtig ist, mag man sich fragen, inwieweit, wenn überhaupt, die Bibel als unser „Führer zum ewigen Leben" durch die Ergebnisse der modernen Forschung berührt wird. Dank der Arbeit von Sprachforschern, Historikern und Archäologen wurden uns Bibeltexte zugänglich, die höchstwahrscheinlich den Originalen näherkommen als jene, die von früheren Übersetzern verwandt wurden; falsche Übersetzungen wurden berichtigt, auf die Urheberschaft und die Zeit, aus der viele Bücher stammen, wurde neues Licht geworfen, und es hat sich ergeben, daß nicht alle biblischen Erzählungen mit historischen Tatsachen in Einklang gebracht werden können.
Entdeckungen dieser Art haben einige Leser beunruhigt und vielleicht ihren Glauben erschüttert. Doch solch ein Verhalten ist unlogisch; die Ausschaltung des Irrtums ist in jedem Zusammenhang zu begrüßen, und als Christliche Wissenschafter kann es nicht unser Wunsch sein, daß unsere religiösen Überzeugungen auf falschen oder zweifelhaften Grundlagen ruhen. Ein Anerkennen der feststehenden Ergebnisse der modernen Forschung — was natürlich nicht heißt, jede moderne Theorie blindlings anzunehmen — mag uns in der Tat davor bewahren, die Situationen falsch zu verstehen, mit denen sich die biblischen Gestalten ihrer Berufung gemäß befassen mußten, und mag uns so ein besseres Verständnis von der Bedeutung dessen geben, was sie sagten und taten.
Wenn wir jedoch Klio, der Muse der Geschichte, geben, was Klios ist, so hält uns das nicht davon ab, Gott zu geben, was Gottes ist, mit anderen Worten, die geistige Auslegung zu suchen. Wenn wir die Bibel lesen, lernen wir, wie in einem Fall nach dem anderen — ob die Umstände in dem überlieferten Bericht genau beschrieben sind oder nicht — die biblischen Gestalten „Gesundheit, Frieden und Hoffnung" fanden, wenn sie sich an Gott, Geist, wandten. Betrachten wir einmal als Beispiel geistiger Auslegung, wie in Wissenschaft und Gesundheit (S. 308) die Geschichte aus dem 32. Kapitel des 1. Buches Mose behandelt wird, wo Jakob in Pniel mit einem Mann rang. Bei diesem Vorfall an einen Kampf zwischen zwei körperlichen Persönlichkeiten zu denken ist „wertlos"; es ist hingegen sehr hilfreich, die Geschichte als eine Veranschaulichung der Vergeistigung des Bewußtseins eines einzelnen zu sehen, dessen Vergangenheit keineswegs fehlerlos war, der sich jedoch in einer Zeit der Bedrängnis an Gott, Geist, um Befreiung wandte.
Im Vorwort zu Wissenschaft und Gesundheit schreibt Mrs. Eddy von der grundlegenden Notwendigkeit, eine richtige Auffassung von Gott zu gewinnen, und später sagt sie in jenem Buch: „In dem folgenden Psalm zeigt uns ein Wort, wenn auch nur schwach, das Licht, das die Christliche WissenschaftChristian Science; sprich: kr'istjən s'aiəns. auf die Heilige Schrift wirft, indem sie anstelle des körperlichen Sinnes den unkörperlichen oder geistigen Sinn der Gottheit setzt." Wissenschaft und Gesundheit, S. 577; Der erste und letzte Vers des 23. Psalms, so ausgelegt, lautet wie folgt:
„[Die göttliche Liebe] ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln.. .
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn [dem Bewußtsein der Liebe] immerdar." S. 578.
