Was wir von anderen Leuten halten und wie wir sie behandeln, ist wichtig. Wir alle haben einen Nächsten. Wir begegnen ihm im Beruf, auf der Straße, in der Kirche oder im Supermarkt. Unser Kontakt mit ihm mag flüchtig oder eng sein, aber er sollte immer großmütig sein.
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ Matth. 19:19; ist die Goldene Regel, die im Alten Testament niedergelegt ist und auf die Christus Jesus eindringlich hinwies. Um diese Regel rückhaltlos zu befolgen, ist eine tiefe, einwandfreie Erkenntnis unserer eigenen vollkommenen, gottähnlichen Individualität und der unseres Nächsten, wo immer wir ihm begegnen, erforderlich — die höchste Demonstration christlichen Bewußtseins, die erreicht werden kann. Es bedarf eines tiefen geistigen Verständnisses von der Vollkommenheit wahrer Identität in all ihren mannigfaltigen Formen und der Hingabe an die Vision der unendlichen, göttlichen Liebe und ihrer Idee, wie sie in der Christlichen Wissenschaft offenbart wird. Das ist das Endziel christlicher Sozialethik.
Paulus sagte: „In Demut achte einer den andern höher als sich selbst.“ Phil. 2:3; Beachten Sie: höher. Steht dieses Gebot in Widerspruch zu der Regel des Meisters? Die Christliche Wissenschaft zeigt, daß dem nicht so ist. Vielmehr betont sie, wie wichtig es ist, im täglichen Leben jene geistigen Eigenschaften zum Ausdruck zu bringen, die uns durch glückliche menschliche Beziehungen zur schließlichen Demonstration der ganzen Herrlichkeit der universellen göttlichen Liebe führen.
Vor seiner Bekehrung zum Christentum hatte Saulus von Tarsus sehr viel von sich selbst gehalten und bei anderen wegen seiner Gelehrsamkeit und Hingabe an die Verfechtung religiöser Gesetze, die er ehrlichen Herzens für wahr hielt, in hohem Ansehen gestanden. Als das christliche Verständnis von der universellen Vaterschaft Gottes in seinem Denken Einlaß fand, wurde sein Stolz mit Blindheit geschlagen, und in Demut empfing er den neuen Namen Paulus, was „klein“ bedeutet und vielleicht sein römischer Geburtsname war, passend für seine Mission unter den Heiden. Danach wurde er zum Fürsprecher unablässiger Sanftmut und Liebe in allen menschlichen Beziehungen als dem Weg zur schließlichen Demonstration christlicher Liebe in ihrer unendlichen Natur.
Jahrhunderte sind verstrichen, aber die Bedeutung dieser von Gott hergeleiteten menschlichen Eigenschaften hat sich nicht vermindert. Mrs. Eddy spricht von ihrer erlösenden Macht, wenn sie schreibt: „Die Liebe blähet sich nicht; und den Sanftmütigen und Liebenden weiht Gott und beruft ihn, dem Siegeszug der Menschheit aus der Wüste, aus dem Dunkel zum Licht voranzugehen.“ Vermischte Schriften, S. 130;
Ein ernsthafter Christlicher Wissenschafter bemüht sich in immer stärkerem Maße, die Eigenschaften der Sanftmut und Liebe auszudrücken. Er nutzt die Gelegenheiten, die ihm der tägliche Umgang mit Nachbarn, Freunden, Geschäftspartnern, Familienangehörigen und Kirchenmitgliedern bietet, um diese Eigenschaften wirksam werden zu lassen. Er trachtet danach, seine Fähigkeit zu vergrößern, die Menschheit aus Schwachheit zur Kraft, aus Leiden zur Freude, aus Krankheit zur Gesundheit zu führen, indem er diese erneuernden Eigenschaften des göttlichen Geistes hier und jetzt Bestandteil der individuellen menschlichen Beziehungen werden läßt.
Der demütige und liebevolle Mensch ist schnell dabei, das Gute, das andere ausdrücken, anzuerkennen. Ihm fällt es leicht, der Ermahnung des Paulus: „Freuet euch mit den Fröhlichen“ Röm. 12:15; zu folgen. Er zollt großmütig Anerkennung, wem Anerkennung gebührt. Er akzeptiert nicht das Argument des tierischen Magnetismus oder des fleischlichen Gemüts, daß er sein eigenes Ansehen und seinen eigenen Stand auf der Stufenleiter der Vortrefflichkeit verlieren könnte, wenn er die Anerkennung des Guten, das andere getan haben, unterstützt.
In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall. Wenn wir erkennen, daß von Gott stammende Eigenschaften in anderen ihren Ausdruck finden, räumen wir ein, daß wir selbst die Entfaltung der gleichen Charakter-Juwelen in unserer eigenen Erfahrung erwarten können, denn haben wir nicht alle einen Vater? Und hat Er nicht uns alle mit den Eigenschaften Seines Wesens gleichermaßen ausgestattet? Sie in anderen anzuerkennen führt ganz natürlich dazu, daß sie in uns selbst in Erscheinung treten.
Wer wahrhaft demütig und liebevoll ist, nimmt es auch nicht auf sich, einem Freund, einem Geschäftspartner oder Kirchenmitglied verdientes Lob vorzuenthalten, weil der Gelobte sich übermäßig aufblähen könnte — weil ihm die Schuhe nicht mehr passen könnten, wie man so sagt. Können wir es nicht getrost dem Vater überlassen, erforderlichenfalls Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen?
Wir sollten uns niemals fürchten, andere für das Gute, das sie demonstrieren und erreichen, hoch zu achten — sogar höher als uns selbst. Selbstloses, neidloses Lob kann denjenigen, der es äußert, nur segnen, ebenso wie denjenigen, für den es bestimmt ist. Mrs. Eddy schreibt: „Wer fürchtet, zu freigebig zu sein, hat die Kraft verloren, hochherzig zu sein. Der beste Mensch, Mann oder Frau, ist der selbstloseste.“ The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 165.
Mrs. Eddys edler Geist leuchtete durch die Sanftmut und Liebe hindurch, die sie zum Ausdruck brachte. Großzügig gegen andere, war sie schnell dabei, die guten Eigenschaften und Leistungen, die sie bei anderen beobachtete, zu loben. In ihren Schriften bemerkt man, wie oft sie Ehre gibt, wem Ehre gebührt — sei es, daß es sich um Angehörige ihres eigenen Haushalts handelt, um ein großes Staatsoberhaupt oder um Führer anderer religiöser Gruppen, denn sie erkannte, daß die geistigen Eigenschaften Gottes durch sie zum Ausdruck kamen.
Der Wert einer großmütigen Anerkennung der Bemühungen unseres Nächsten bleibt unvermindert. In unseren täglichen Begegnungen mit anderen benötigen wir Liebe, Milde, Sanftmut und Rechtschaffenheit. Dadurch, daß wir sie zum Ausdruck bringen, sollten unser Heim, unsere Kirchen und unsere Gemeinwesen bereichert werden. Diese Eigenschaften verschönen die menschliche Natur durch die Größe des göttlichen Geistes. Sie spiegeln die Gegenwart des Guten in der menschlichen Erfahrung wider und fördern unseren Fortschritt zu den Freuden der unendlichen Liebe hin, wenn schließlich erkannt wird, daß die Herrlichkeiten der Seele immerdar und gleichermaßen großzügig von allen zum Ausdruck gebracht werden.