Die Eroberung Babels im Jahre 538 v. Chr. durch Cyrus ist ein Meilenstein in der Geschichte der Hebräer. Sie brachte ihnen die Befreiung aus der langen Knechtschaft der Chaldäer, worauf der König ihnen gestattete, in ihr Heimatland zurückzukehren. So wurde eine neue Ära in der Aufgabe der Propheten Israels vorbereitet, die in ihren Anfängen mit den Namen Haggai und Sacharja verknüpft ist.
Cyrus war ursprünglich der Herrscher des kleinen Königreichs Anschan, aber 549 v. Chr. war er König von Medien geworden, und bald gewann er auch das Königreich Lydien in Kleinasien, indem er den sagenhaft reichen König Krösus besiegte und dessen Hauptstadt Sardes einnahm. Die Eroberung Mediens nördlich und östlich von Babylonien veranlaßte den Zweiten Jesaja, im Namen des Herrn zu verkündigen — vermutlich in bezug auf Cyrus: „Von Norden habe ich einen kommen lassen, und er ist gekommen, vom Aufgang der Sonne her den, der meinen Namen anruft“ (Jes. 41:25).
Das Buch Esra (1:1, 2) berichtet, daß im ersten Jahr der Herrschaft des Königs Cyrus über Babylonien „der Herr. .. den Geist des Cyrus, des Königs von Persien“ erweckte, so daß er einen Erlaß folgenden Inhalts öffentlich bekanntmachte: „Der Herr, der Gott des Himmels, hat mir alle Königreiche der Erde gegeben, und er hat mir befohlen, ihm ein Haus zu Jerusalem in Juda zu bauen.“ Durch die Bereitwilligkeit und Großzügigkeit des Königs Cyrus kam es dazu, wie Esra schreibt, daß über 42 000 Juden in Jerusalem eintrafen (siehe Esra 2:64). So öffnete sich der Weg für den Wiederaufbau ihres Tempels und die Rückerstattung seiner geweihten Geräte, die Nebukadnezar etwa sechzig Jahre vor dem Erlaß des Cyrus gestohlen hatte (siehe Esra 1:7–11).
In seinem ersten Kapitel erklärt der Prophet Haggai die Probleme, vor die sich im Jahre 520 v. Chr. die beiden mit dem Bau beauftragten Männer, nämlich Serubabel, der Statthalter von Juda, und Josua, der Hohepriester und Sohn Jozadaks, gestellt sahen. Das Volk beklagte sich, daß diese Zeit für den Beginn eines Projektes von solchen Ausmaßen alles andere als günstig wäre (siehe Hag. 1:2). Eine Dürre und Mangel im allgemeinen waren allzu verbreitet. Warum sollte von dem Verdiener erwartet werden, daß er zum Tempelbaufonds beitrug? Vielleicht später, aber nicht jetzt!
In einer Reihe lebendiger Verse legt Haggai die Situation dar, der sich seine Mitarbeiter in dieser Notlage gegenübersahen. „So spricht der Herr Zebaoth“, berichtete der Prophet. „Dies Volk spricht: Die Zeit ist noch nicht da, daß man des Herrn Haus baue.. . Aber eure Zeit ist da, daß ihr in getäfelten Häusern wohnt, und dies Haus muß wüst stehen!. .. Achtet doch darauf, wie es euch geht: Ihr säet viel und bringt wenig ein; ihr eßt und werdet doch nicht satt; ihr trinkt und bleibt doch durstig; ihr kleidet euch und könnt euch doch nicht erwärmen; und wer Geld verdient, der legt's in einen löchrigen Beutel“ (1:2–6). Der Prophet setzt seine Botschaft mit dem Befehl fort, die Arbeit weiterzuführen, und erklärt, wie es zu der Armut des Volkes gekommen ist.
Die Geschichte gibt uns nur wenig Einzelheiten über den Propheten Haggai, obwohl er einer der wenigen überlebenden älteren Bürger gewesen sein mag, die sich an die Schönheit und Herrlichkeit des Tempels Salomos vor dessen Zerstörung erinnerten. „Wer ist unter euch noch übrig“, fragt Haggai, „der dies Haus in seiner früheren Herrlichkeit gesehen hat? Und wie seht ihr's nun? Sieht es nicht wie nichts aus?“ (2:3.)
Haggais Prophezeiung erstreckt sich über eine Zeit von weniger als vier Monaten innerhalb eines einzigen Jahres — 520 v. Chr. — während der Regierungszeit des Königs Darius, und ihre vier kurzen Abschnitte sind sorgfältig datiert. Sie umfassen nur zwei kurze Kapitel, die sich mit den hohen Anforderungen des Wiederaufbaus befassen.
Haggais Werk und seine Lehre drehen sich um eine bestimmte historische Situation. Seine Hauptaufgabe bestand darin, darauf zu sehen, daß das Volk den Tempel in Jerusalem wieder aufbaute (siehe 1:8). Sein Einfühlungsvermögen erfaßte die unausgesprochenen Fragen des Volkes, und er machte es den Menschen klar, daß ihre Armut und ihr Mangel darauf zurückzuführen waren, daß sie das Werk Gottes vernachlässigten, während sie umgekehrt zu Wohlstand kommen würden, wenn sie dem Werk Gottes ihre Aufmerksamkeit schenkten. Haggai wurde der Entmutigung und Depression Herr, und er bat seine Zuhörer, stark zu sein und die Furcht zu verbannen, denn Gott war mit ihnen (siehe 2:4, 5).
Im Jahre 520 v. Chr., nach unserer Zeitrechnung im November, etwa zwei Monate nach Beginn der kurzen Mission Haggais, folgte ihm Sacharja. Beide Männer führten ihre Arbeit unter den gleichen allgemeinen Bedingungen durch und ermutigten die Wiederherstellung des Tempels in Jerusalem, obgleich beide dabei auf Widerstand stießen.
Der Name Sacharja bedeutet wörtlich „Jahve erinnert sich“ — ein Name, den er vielleicht mit Stolz führte, denn er erinnerte ihn daran, daß Gott seine Mission unterstützte. Sacharja, der sowohl Priester wie Prophet war, wurde sehr stark von Hesekiel beeinflußt. Offenbar schrieb er nur die ersten acht Kapitel des Buches, das seinen Namen trägt, denn in den Kapiteln 9 bis 14 ändern sich plötzlich Stil, Methode und Ortsverhältnisse, was zeigt, daß diese Kapitel etwa zwei Jahrhunderte später entstanden sein müssen. Die ersten acht Kapitel weisen eindeutig auf den Wiederaufbau des Tempels hin, oder deuten ihn an; die letzten sechs erwähnen ihn nicht einmal.
In den ersten Versen seines Buches befaßt sich Sacharja, ebenso wie Haggai es getan hatte, mit der Mutlosigkeit und Apathie der Männer, die kürzlich begonnen hatten, den Tempel wieder aufzubauen; und wie so viele der früheren Propheten, sieht er die notwendige Lösung ihrer Probleme in der Reue: „Kehrt euch zu mir,. .. so will ich mich zu euch kehren, spricht der Herr Zebaoth“ (Sach. 1:3).
Ihre Vorfahren hatten diese prophetische Botschaft wiederholt außer acht gelassen. „Wo sind nun eure Väter?“ fragt Sacharja, „und die Propheten, leben sie noch?“ (Vers 5.) Doch nichts konnte je dem Wort Gottes widerfahren. Ungehorsam zieht immer noch unvermeidlich Strafe nach sich. Die Forderung Gottes ist unveränderlich und ewig. „Seid nicht wie eure Väter“, ruft der Prophet aus, denn „sie gehorchten nicht und achteten nicht auf mich, spricht der Herr“ (Vers 4).
Im zweiten Teil dieses ersten Kapitels beginnt Sacharja eine Reihe von apokalyptischen Visionen zu berichten, die Gott ihm durch Engelsboten auslegt.
Einer dieser Engel ermutigt den Propheten, indem er ihm versichert, daß Gott die heilige Stadt keineswegs vergessen oder außer acht gelassen habe. „Ich will mich wieder Jerusalem zuwenden mit Barmherzigkeit, und mein Haus soll darin wieder aufgebaut werden.. . Es sollen meine Städte wieder Überfluß haben an Gutem“ (Vers 16, 17).
In einer weiteren Vision, wie Sacharja im zweiten Kapitel seines Buches berichtet, erschien „ein Mann [mit einer] Meßschnur“, der offenbar die Ausdehnung der heiligen Stadt maß, dann aber erfuhr, daß „Jerusalem. .. ohne Mauern bewohnt werden“ sollte. Der Herr selbst will für Zion, die Stadt Davids, „eine feurige Mauer rings um sie her sein und will [sich] herrlich darin erweisen“ (2:5, 8, 9).
Es ist Sacharja, der den Hoffnungen seines Volkes in bezug auf das Kommen des Messias — der hier (Sach. 3:8; 6:12) wie in anderen Bibelstellen (Jer. 23:5; 33:15) der „SPROSS“ genannt wird — Nachdruck verleiht. In der Offenbarung mißt Johannes den Visionen Sacharjas, und besonders dem Leuchter und den beiden Ölbäumen, offensichtlich große Bedeutung bei (vergleiche Sach. 4:11–14 und Offenb. 11:3, 4).
Darüber hinaus versichert Sacharja voller Freude, daß das messianische Zeitalter kommen werde, in dem die Verheißungen von Wohlstand, Sicherheit und der Wiederherstellung der wahren Religion erfüllt werden sollen, so daß „Jerusalem eine Stadt der Treue heißen soll und der Berg des Herrn Zebaoth ein heiliger Berg“ (Sach. 8:3).
