Christus Jesus öffnete weit die Tür zur Vergegenwärtigung der Unsterblichkeit, als er am Kreuz zu Gott betete, allen zu vergeben, die an der Kreuzigung beteiligt waren. Ja, seine körperliche Auferstehung könnte als bloßes äußeres Phänomen der inneren Auferstehung betrachtet werden, die in seinem Vergeben zum Ausdruck kam. In dieser erhabenen Veranschaulichung der göttlichen Liebe, die den Höhepunkt in seiner Laufbahn bildete, bekundete er Gottes heiligen Plan.
Können wir dann nicht in Betracht ziehen, daß Sein heiliger Plan für jeden von uns jetzt „offenbart [ist] durch die Erscheinung unsers Heilandes Jesus Christus, welcher. .. dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergänglich Wesen ans Licht gebracht [hat] durch das Evangelium“ 2. Tim. 1:10;? Ist nicht unsere Auferstehung von dem Glauben an Leben und Intelligenz in der Materie — mit deren Begleiterscheinungen von Haß, Sinnlichkeit und allgemeiner Unmenschlichkeit gegenüber unseren Mitmenschen — die Tür, durch die unsere eigene Unsterblichkeit ans Licht kommen muß?
Aus den Lehren der Christlichen Wissenschaft geht hervor, daß Unsterblichkeit nicht eine endlose Fortsetzung des sogenannten Lebens in der Materie ist, denn es gibt in Wirklichkeit kein solches Leben. Leben ist Geist, Gott, das seinem absoluten Wesen nach ewig sein muß, und jeder einzelne spiegelt das göttliche Leben wider. Jesus tat beides; er definierte Leben für seine Jünger und sicherte der Menschheit dessen Verwirklichung zu. Er sagte: „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“ Joh. 17:3; Wenn wir das Leben als ein Verständnis von Gott und Seinem Sohn definieren, werden wir feststellen, daß ewiges Leben in der beständigen Entfaltung eines Verständnisses von Gott, dem Guten, und von nichts anderem, besteht. Dann können wir die Notwendigkeit für die erlösende Tätigkeit des Vergebens erkennen, die das menschliche Denken von seiner Kritiksucht und seinem Verdammen reinigt, damit wir uns allein des Guten bewußt sein mögen.
Der menschliche Wille widersetzt sich jedoch wie zu Jesu Zeit diesem erneuernden Vorgang. Bloße akademische Bibelgelehrsamkeit reicht nicht aus, um die Mauer hartnäckigen menschlichen Widerstandes gegen die Auferstehung zu durchbrechen: es bedarf der Inspiration geistigen Verständnisses. Selbst die inspirierte Lehre des Meisters reichte nicht aus, um seine Nachfolger völlig wachzurütteln, bis sie Zeugen der Kundwerdung seiner Auferstehung wurden. Mrs. Eddy sagt in dem Buch Wissenschaft und Gesundheit: „Seine Auferstehung war auch ihre Auferstehung. Sie half ihnen, sich und andere aus geistiger Stumpfheit und aus dem blinden Glauben an Gott zu der Erkenntnis unendlicher Möglichkeiten zu erwecken.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 34;
Seine eigenen Nachfolger konnten den Bericht von seiner Auferstehung nicht fassen, wie er ihnen von der treuen Maria gegeben wurde, deren Verharren am Grabe ihr die ersten durchbrechenden Strahlen einer heraufdämmernden Osterzeit enthüllt hatte. Die „geistige Stumpfheit“ der Jünger hatte ihnen einen unmittelbaren Anteil an der Auferstehung ihres Meisters versagt, bis Jesus einigen von ihnen auf dem Weg nach Emmaus erschien. Sie bemerkten später: „Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege, als er uns die Schrift öffnete?“ Luk. 24:32;
In der Auferstehung entfaltet sich die Allerhabenheit des Geistes, die Macht und Intelligenz des Gemüts und die heitere Stille der Seele als das Gesetz Gottes, des göttlichen Prinzips. Durch diese Vergegenwärtigung der Wahrheit und mit dem Erbarmen der Liebe müssen wir alle die wahre Idee des unsterblichen Lebens und der unsterblichen Substanz demonstrieren.
Als Jesus Lazarus aus dem Grabe hervorkommen hieß, bewies er die Macht und Intelligenz des Gemüts, eine Illusion des materiellen Sinnes zu vertreiben. Aber nach dieser Auferstehung durch Christi Jesu Verständnis blieb Lazarus noch die Aufgabe, in seinem eigenen Verständnis von Gott bis zur endgültigen Demonstration der Unsterblichkeit fortzuschreiten. Er bedurfte immer noch der „Auferstehung“, die unsere Führerin, Mrs. Eddy, in unserem Lehrbuch Wissenschaft und Gesundheit als „Vergeistigung des Gedankens; eine neue und höhere Idee von der Unsterblichkeit oder dem geistigen Dasein; die materielle Annahme, die dem geistigen Verständnis weicht“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 593;, definiert.
Dieselbe Aufgabe, die für Lazarus zu tun blieb, müssen auch wir tun. Erlösung ist individuell. Dem Beispiel und der Methode des Meisters müssen wir folgen. Durch das erneuernde Wirken des Christus in unserem Denken müssen wir aus dem Traum von Leben in der Materie zu der Erkenntnis erwachen, daß das Reich Gottes in unserem Bewußtsein ist. Diese Erkenntnis wird für uns „eine neue und höhere Idee von der Unsterblichkeit“ sein.
Unsere Auferstehung kommt, wenn das Denken geistig so erhoben ist, daß es nur das kennt, was im göttlichen Bewußtsein vorhanden ist. Zu diesem erhobenen Denken gelangen wir, wenn wir anzuerkennen beginnen, daß Gott Alles ist — das unendliche, allgegenwärtige Gute —, und unseren Begriff vom Menschen, Seinem Ebenbild, auf diesen Ursprung gründen. Reinheit, Wahrheitsliebe, Demut, Liebe, Heiligkeit, Aufrichtigkeit machen das Wesen des Ebenbildes Gottes aus. Die Auferstehung aus dem falschen Begriff vom Menschen als einem sündigen Sterblichen, der an die Materie gebunden ist, zu dem Bewußtsein von der wahren geistigen Identität des Menschen als des Sohnes Gottes wird uns ein demonstrierbares Verständnis von Gott enthüllen.
Ob dieser falsche Begriff ein Sterblicher zu sein scheint, der von Krankheit niedergedrückt oder durch Mangel und Aussichtslosigkeit behindert ist, von Gefahr umgeben oder durch Unzulänglichkeit in seiner Entwicklung zurückgeblieben: die nötige Arbeit ist zu einem großen Teil dieselbe. Die wahre Gesundheit des Menschen ist Heiligkeit, geistiges Bewußtsein; seine Versorgung besteht in einem Zustrom von aktiven Ideen; rings um ihn her ist das Himmelreich, und er ist von der göttlichen Triebkraft — dem Wunsch, das Gute widerzuspiegeln — inspiriert, motiviert und aktiviert. Die Unversehrtheit des Bewußtseins des Menschen als einer geistigen Idee enthüllt konkretes Sein, und das ist ewig. Weder Haß, Furcht noch sinnliches Verhalten können den aufsteigenden Gedanken, der dies weiß, herabziehen.
Dies sind die Eigenschaften, die wir für uns und für unseren Begriff von anderen beanspruchen müssen. Nur der aufsteigende Gedanke, der den Charakter erlöst und das Bewußtsein vergeistigt, wird die Auferstehung erleben. Solches Denken allein verharrt in gerechtem Bemühen, und unberührt von der Gewalttätigkeit der Unmenschlichkeit, erhebt es sich darüber — in beständiger Liebe zum Christus und in Erwartung seines Erscheinens.
Diese Auferstehung kommt zu uns als Zerstörung der Sünde im menschlichen Bewußtsein, und das ist eine individuelle Erfahrung. Der Christliche Wissenschafter übernimmt diese Pflicht und erklärt zuversichtlich mit den Worten aus dem Lehrbuch: „Wir bekennen Gottes Vergebung der Sünde in der Zerstörung der Sünde und in dem geistigen Verständnis, das das Böse als unwirklich austreibt.“ S. 497. „Gottes Vergebung der Sünde in der Zerstörung der Sünde“ muß durch unser Vergeben ausgedrückt werden, wenn sie unsere Auferstehung von den Ansprüchen des sterblichen Gemüts beschleunigen soll.
Wenn wir vergeben und dadurch Haß in Liebe verwandeln, Verdammung in Wertschätzung, Herrschsucht in Demut und Kritiksucht in Lob, haben wir den Beweis dafür, daß der Christus die Verstocktheit des sterblichen Gemüts auflöst und den zu Gottes Gleichnis geschaffenen Menschen offenbart.
Ernstes Studium und selbstlose Betätigung der dem Lebenswerk Jesu zugrunde liegenden Wissenschaft enthüllt, daß wahre Auferstehung sich äußerlich darin bekundet, daß Haß durch Liebe, falsche Begriffe durch Wahrheit und Körperlichkeit durch Leben erlöst werden. Das ist jene Auferstehung der Christus- Idee im menschlichen Bewußtsein, die in der Vergegenwärtigung des unsterblichen Menschen ihren Höhepunkt findet.
Als Jesus allen vergab, schloß er Judas ein, der ihn verraten hatte. Aber dieses Vergeben tat nicht die Arbeit für Judas, wie die Art und Weise seines Todes zeigt. So mag auch unser Vergeben nicht die Arbeit für diejenigen tun, die heute Lügen, Verleumdungen und Schmähungen verbreiten; es mag nicht einmal für sie erkennbar sein, bis ihre eigene Umwandlung Wiedergutmachung und Erlösung umfaßt. Es wird aber ein großer Schritt zur Erlangung unserer eigenen Auferstehung sein.
Ein Christlicher Wissenschafter war einmal einem Angriff durch verbrecherische Lügen ausgesetzt, mit dem ausdrücklichen Ziel, ihn vollständig zu vernichten. Zunächst bewahrte ihn die offensichtliche Unsinnigkeit des Angriffs davor, ärgerlich zu sein; als aber Freunde begannen, den Lügen Glauben zu schenken, und sich gegen ihn wandten, wurde er sehr aufgebracht. Er tat viel aufrichtige Arbeit, um die Situation zu klären, ohne aber denen, die anscheinend all dies herbeigeführt hatten, vollständig zu vergeben. Nachdem er monatelang gebetet hatte, kam er nacheinander mit verschiedenen Personen zusammen, die eine starke tyrannische und herrschsüchtige Einstellung bekundeten. Da wurde ihm klar, daß er nicht von Menschen, sondern vom Haß selbst beherrscht wurde und daß die Erfahrung nur die Vergegenständlichung seines Denkens war.
Sein Gebet wurde selbstloser, als er sich fragte, ob er bereit war, seine Geistigkeit an seinem Gehorsam gegen das Gemüt, das sein Vater-Mutter Gott war, bemessen zu lassen — einem Gehorsam, der Gehorsam gegen das Gebot, unsere Feinde zu lieben, einschloß. Er erkannte, daß anstelle der gegenteiligen Illusionen die geistige Wahrheit von der Vollkommenheit des Menschen bestand und daß er in Erwartung des Erscheinens Christi lieben mußte. Sein Denken klärte sich, und sein Leben wurde von Frieden erfüllt, als er sah, daß er auf das Böse nicht einzugehen brauchte. Und als er allem, was sich darbot, mit Erbarmen begegnete, blieb er ruhig. Dadurch, daß er vergab, wurde sein Denken über das eines irrenden Sterblichen erhoben, und es brachte in gewissem Grade die stete Gegenwart des Christus zum Ausdruck. In dem Maße also, wie die Menschheit die Christus- Idee im Bewußtsein erhet, wird der Frieden allgemein sein, und wir werden immerwährend Ostern haben.
Lob, Erwartung und Dankbarkeit müssen unseren Pfad erleuchten. Wenn wir uns dann auf unserem Weg nach Emmaus die unvergängliche Substanz des Lebens vergegenwärtigen, wird unser Herz in uns brennen mit dem Licht der Wahrheit, und unser Antlitz wird von der Wärme der Liebe erglühen. Wenn wir einsehen, daß Auferstehung, nicht der Tod, das Tor zur Unsterblichkeit ist, werden wir feststellen, daß Vergeben der goldene Schlüssel zu diesem Tor ist.
