„Danach“, berichtet Johannes, „war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem“ (5:1). Er mag allein gegangen sein, denn es wird nicht erwähnt, daß ihn jemand begleitete.
Dadurch, daß Jesus am Sabbat den Kranken am Teich Bethesda heilte (s. Vers 2–9), rief er bei den Juden in Jerusalem sofortigen Widerstand hervor. Ihre Empörung darüber, daß der Mann das Verbot, am Sabbat Lasten zu tragen, mißachtete, ließ sie die bemerkenswerte Heilung nicht sehen, die sich gerade zugetragen hatte (s. Vers 10).
Da der Mann, den Jesus geheilt hatte, vielleicht die Schuld von sich abzuwälzen suchte, nannte er bald seinen Wohltäter, und ihr Zorn richtete sich gegen diesen. Sie waren entschlossen, Jesus zu töten, nicht nur weil er am Sabbat wirkte, sondern weil er auch Anspruch auf seine göttliche Sohnschaft erhob, was sie mit Gotteslästerung gleichsetzten (s. Vers 11–18). Aber Jesus erklärte weiterhin furchtlos seine Beziehung zu seinem himmlischen Vater, dem Ursprung des Lebens und allen wahren Gerichts (s. Vers 19–30).
Auf ihre Einwände hin führte der Meister als Bestätigung für seine Stellung folgende Zeugen an: Johannes den Täufer (Vers 33), Jesu eigene Werke (Vers 36), den Vater selbst (Vers 37; vgl. Matth. 3:17), die hebräische Schrift (Joh. 5:39) und vor allem Mose (Vers 46).
Die synoptischen Evangelien enthalten in ihren Berichten über Jesu Wirken in Galiläa weitere Hinweise auf die Feindseligkeit, die ihm von den Pharisäern wegen der Heilighaltung des Sabbats entgegengebracht wurde.
Als die Jünger an einem Sabbat durch die Felder gingen, aßen sie einige Getreidekörner. Diese offensichtlich harmlose Handlung rief eine weitere Flut von Kritik seitens der Pharisäer hervor (s. Matth. 12:1–8; Mark. 2: 23–28; Luk. 6:1–5). Die Frage des Stehlens wurde nicht aufgeworfen, da es im fünften Buch Mose heißt: „Wenn du in das Kornfeld deines Nächsten gehst, so darfst du mit der Hand Ähren abrupfen“ (23:26). Im Vorübergehen Ähren zu pflücken und die Getreidekörner zu essen stellte jedoch anscheinend das Ernten, Dreschen und Zubereiten von Speise dar, und keine dieser Tätigkeiten war am heiligen Sabbat erlaubt.
Jesus erinnerte sie daran, daß David die Förmlichkeiten des Gesetzes brach (s. 1. Sam. 21:2–7), und betonte damit den humanitären Zweck des Gesetzes: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, und nicht der Mensch um des Sabbats willen“; und außerdem „ist des Menschen Sohn ein Herr auch über den Sabbat“ (Mark. 2:27, 28). Immer wieder trennten Jesu Worte die Spreu rabbinischer Zeremonie und Begrenzung von den Körnchen geistiger Wahrheit, um diese zu bewahren.
Die Synoptiker berichten von einem anderen Ereignis, wo am Sabbat sogar in der Synagoge eine Heilung vollbracht wurde (s. Matth. 12:9–14; Mark. 3:1–6; Luk. 6:6–11). Im Lukasevangelium (6:6, 7) lesen wir: „Es geschah aber an einem andern Sabbat, daß er ging in die Synagoge und lehrte. Und da war ein Mensch, des rechte Hand war verdorrt. Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer lauerten darauf, ob er auch heilen würde am Sabbat, auf daß sie eine Sache wider ihn fänden.“ Die Vorschriften für den Sabbat ließen es zu, daß an jenem Tag geheilt wurde, falls Lebensgefahr vorlag, doch es war kaum anzunehmen, daß jemand mit einer verdorrten Hand dem Tode nahe war.
Nachdem Jesus die geistige Grundlage ihrer Vorschriften für den Sabbat in Frage gestellt hatte, heilte er den Mann, und wieder gingen die aufgebrachten Gegner hinaus und sannen auf Rache.
Es ist nicht verwunderlich, daß Jesus und seine Jünger sich in dieser gefährlichen Lage an das Galiläische Meer zurückzogen, „und viel Volks folgte ihm nach“ (Mark. 3:7).
„Und er sagte zu seinen Jüngern, daß sie ihm ein Schifflein bereithielten um des Volkes willen, damit sie ihn nicht drängten“ (Vers 9). Die Hilfesuchenden drängten sich weiter vor und riefen laut, daß er Gottes Sohn sei, aber „er bedrohte sie hart, daß sie ihn nicht offenbar machten“ (Vers 12). Wegen der großen Menschenmenge, die Jesus nachfolgte, muß es immer klarer geworden sein, daß er bald Schritte zu einer ordnungsgemäßen Entwicklung seiner Mission unternehmen mußte. So zog er sich, wie Markus und Lukas berichten, auf einen nahegelegenen Berg zurück, wo er die Nacht im Gebet verbrachte. „Und da es Tag ward, rief er seine Jünger und erwählte aus ihnen zwölf, welche er auch Apostel nannte“ (Luk. 6:13).
Zu „seinen Jüngern“ zählten all diejenigen, die dem Meister nachfolgten. Die Apostel aber waren die Jünger — zwölf an der Zahl —, die die eigens von Jesus ausgewählte Gruppe bildeten. Diese sollten ihn überallhin begleiten, sein Leid und seinen Erfolg mit ihm teilen und aus seinem Munde die tiefere Bedeutung seiner Lehre über das Reich Gottes hören. (S. Matth. 10:2–4; Mark. 3:16–19; Luk. 6:14–16; Apg. 1:13.)
Über die kleine Gruppe berühmter Männer, die von dem Meister selbst auserwählt und geschult wurde, um sein Werk fortzusetzen und „in alle Welt“ (Mark. 16:15) hinauszutragen, sind nicht viele Einzelheiten bekannt. Wahrscheinlich waren auch sie, ebenso wie der Meister, junge Männer.
Andreas und Simon Petrus (auch unter dem Namen Kephas bekannt) waren Brüder, die aus Bethsaida kamen, einem Dorf in der Nähe von Kapernaum am Galiläischen Meer. Sie hatten jedoch Jesus zum erstenmal in Bethabara jenseits des Jordans gesehen, kurz nachdem er von Johannes dem Täufer getauft worden war (s. Joh. 1:40, 41).
Johannes, der offenbar der Lieblingsjünger ist, auf den im vierten Evangelium Bezug genommen wird, und Jakobus waren ebenfalls Brüder, Söhne des Zebedäus. Es wird angenommen, daß auch Johannes Jesus am Jordan begegnete. Er war vielleicht der ungenannte Zeuge, der im Johannesevangelium (1:40) erwähnt wird. Im Markusevangelium (3:17) nennt der Meister diese Brüder die Boanerges, die „Donnerskinder“ — vielleicht wegen ihres feurigen Temperaments (s. Luk. 9:51–56). Andreas, Petrus, Jakobus und Johannes waren Fischer, von denen die drei letztgenannten den Kern der Zwölf bildeten. Diesen dreien war es vergönnt, bei mehr als einem sehr wichtigen Ereignis mit dem Meister zusammen zu sein, wenn die anderen nicht dabei waren.
Philippus kam, wie Andreas und Petrus, aus Bethsaida, obgleich auch er Jesus am Jordan begegnet war. Manche vermuten, daß es Bartholomäus ist, der im vierten Evangelium als Nathanael von Kana bekannt ist.
Der Name Thomas, wie der entsprechende griechische Name Didymus, der „Zwilling“, wurde wohl der Einfachheit wegen benutzt. Frühe syrische Schriftgelehrte glaubten, daß sein wirklicher Name Judas war. Matthäus, oder Levi, war durch seinen Beruf als Zöllner oder Steuereinnehmer bekannt. Jakobus, der Sohn des Alphäus, wurde wahrscheinlich wegen seiner Statur „der Kleine“ genannt, um ihn von dem Bruder des Johannes zu unterscheiden. Judas (nicht Ischarioth) wird mitunter Lebbäus oder Thaddäus genannt. Simon Zelotes oder Kananäus war anscheinend als Mitglied der galiläischen Partei der Zeloten bekannt.
Dann war da noch Judas Ischarioth, oder der „Mann aus Karioth“, einer Ortschaft, die, wie häufig angenommen wird, in Judäa lag. Judas Ischarioth, der später seinen Meister verraten sollte, war vielleicht der einzige von den Zwölfen, der aus Judäa, nicht aus Galiläa, stammte.
Während Jesus seiner Aufgabe nachging, würden diese zwölf Männer seine ständigen Begleiter sein und durch sein Heilen, Predigen und Lehren an Verständnis zunehmen, was sie auf die ihnen bevorstehenden Prüfungen geistig vorbereiten würde.
