Nach den Gesetzen der göttlichen Metaphysik unterscheidet sich die Analyse eines Krankheitsfalles zur Feststellung der Ursache und zur Behandlung sehr von der medizinischen Diagnose. Der Mediziner untersucht das Blut, fühlt den Puls, fragt den Patienten, wie er sich körperlich fühle, mißt die Temperatur — und dies alles, um herauszufinden, was bei dem Patienten nicht in Ordnung ist.
Ein Ausüber der Christlichen Wissenschaft tut nichts dergleichen. Er zieht nicht die physischen Symptome des Patienten in Betracht. Er befaßt sich lediglich mit dem Denken, nicht mit der Materie, in Übereinstimmung mit Mrs. Eddys Anweisung in Wissenschaft und Gesundheit: „Beobachte das Gemüt anstelle des Körpers, damit nichts, was zur Entwicklung ungeeignet ist, in die Gedanken eindringe. Denke weniger an materielle Zustände und mehr an geistige.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 419;
Der Christliche Wissenschafter beobachtet das Gemüt seines Patienten, um ungesunde Gedanken aufzudecken — furchtsame, wollüstige Gedanken und Illusionen in bezug auf das Böse —, denn er weiß, daß diese die Wurzeln ungesunder körperlicher Zustände sind. Nachdem er sie aufgedeckt hat, geht er daran, sie auszurotten, indem er ihre Unwirklichkeit erkennt. Er weiß, daß ungesunde Gedanken nicht von Gott, dem einen göttlichen Gemüt, kommen, in dem alles Bewußtsein und Sein gesund, harmonisch und vollkommen ist, sondern vom sterblichen Gemüt, dem mutmaßlichen Gegenteil des göttlichen Gemüts, Gottes, oder des Guten. Er leugnet sie daher innerlich und behauptet die Tatsache, daß der Mensch in Wirklichkeit die Eigenschaften Gottes, des göttlichen Gemüts, ausdrückt. Diese Wahrheit befreit dann seinen Patienten von der Krankheit.
Obwohl der physische Körper substantiell zu sein und sich selbst zu regieren scheint, ist doch keins von beidem wahr. Er ist die Vergegenständlichung des sterblichen Gemüts, und seine Zustände hängen vom menschlichen Denken ab — seine Form, sein Wachstum, seine Handlungen und Funktionen, wie er sich fühlt und ob er gesund oder krank ist. Infolgedessen richtet eine Untersuchung des Körpers wenig aus. Sie geht dem Übel nicht an die Wurzel — deckt den mentalen Zustand des Patienten nicht auf. Das Denken allein bestimmt die körperlichen Symptome, und ehe nicht der Irrtum im Denken berichtigt ist — ehe nicht die Selbstsucht und der Haß, die Unsittlichkeit und Sinnlichkeit, die die Ursache der Krankheit sind, durch den Ausdruck der Liebe und Geistigkeit zerstört sind —, ist die daraus folgende Krankheit nicht wirklich geheilt, sondern sie kann sich immer wieder am Körper zeigen, wie eine Pflanze ständig wiederkommen kann, wenn die Wurzel nicht ausgerottet ist.
Wenn ein Ausüber der Christlichen Wissenschaft also einen Krankheitsfall diagnostiziert, erkennt er, daß solche mentalen Elemente wie Furcht, Zorn, Unehrlichkeit oder Spannung die Ursache für physische Krankheit sein mögen. Er erkennt aber auch, daß es in Wirklichkeit nur ein Gemüt gibt und daß dieses Gemüt Gott ist, das unendliche Gute, das dem Menschen nur gute Gedanken schickt. Er behauptet also nachdrücklich, daß dem göttlichen Gesetz zufolge der einzig wahre Einfluß im Bewußtsein seines Patienten die Engelsgedanken sind, die ihm vom göttlichen Gemüt, von Gott, zuströmen. Er weiß, daß es nur ein Gemüt, das göttliche Gemüt, gibt, weil es nur einen Gott gibt. Er weist also die Annahme zurück, daß es irgendein anderes Gemüt gebe, das sterbliche Gemüt, von dem krankheitserregende Gedanken ausgehen können, und durch dieses Abweisen zerstört er sowohl sie wie die Krankheit, die sie in seinem Patienten scheinbar hervorbringen.
„Sind die Gedanken göttlich oder menschlich?“ schreibt Mrs. Eddy. „Das ist die wichtige Frage.“ S. 462; Wer im geistigen Heilen geübt ist, hat gelernt, zwischen den wahren und den falschen Gedanken zu unterscheiden, die seine Patienten hegen. Wenn er mit den göttlichen Tatsachen des geistigen Seins gut vertraut wird, kommt er der wundervollen geistigen Wahrnehmungsfähigkeit näher, die Christus Jesus in seiner Heilarbeit veranschaulichte. Er erkennt augenblicklich die Irrtümer der Annahme, die behaupten, von dem Gemüt eines Menschen — und auch von seinem Körper — Besitz zu ergreifen.
Der Meister erkannte klar, daß der Mensch das vollkommene Kind Gottes ist, und dadurch war er imstande, augenblicklich die irrigen Gedanken aufzudecken, die die Gesundheit derer, die um ihn waren, zu beherrschen behaupteten. Und wenn er das getan hatte, zerstörte er sowohl die Gedanken wie auch die Krankheit, die sie angeblich hervorbrachten, und zwar auf der Grundlage ihrer Unwirklichkeit.
Der heutige aufrichtige Ausüber des christlichen Heilens, der gelernt hat, den Irrtum der Annahme, der die Ursache von Krankheit ist, aufzudecken, wird gewissenhaft die falsche mentale Einstellung eines Patienten verneinen, sobald er ihren Anspruch ausfindig gemacht hat. Er erkennt sie als das illusorische Produkt eines unwirklichen Gemüts, und er lehnt innerlich die Annahme ab, daß sie ein rechtmäßiger Bestandteil des Wesens seines Patienten sei. Wenn dann dem Irrtum, der scheinbar das Leiden hervorruft, kein Glauben mehr geschenkt wird und er so durch die Wahrheit zerstört wird, hört das Leiden auf, und der Patient ist geheilt.
Die Rolle, die der Ausüber der Christlichen Wissenschaft bei einer Heilung spielt, wird in Wissenschaft und Gesundheit folgendermaßen beschrieben: „Stelle die Ansprüche des Bösen und der Krankheit in all ihren Formen bloß und brandmarke sie, vergegenwärtige dir aber, daß ihnen keine Wirklichkeit innewohnt.“ S. 447; Hierzu fähig zu sein verlangt tiefes geistiges Wachstum auf seiten des Ausübers. Nur Demut, Liebe, Reinheit des Denkens und Hingabe an das göttliche Prinzip befähigen dazu, „den Splitter in deines Bruders Auge“ Matth. 7:3. zu entdecken, ihn dann zu entfernen und den Patienten zu heilen.