Aus dem Bericht des Matthäus und Lukas über das Wirken des Meisters geht hervor, daß auf seine große Predigt mehrere Heilungen folgten.
Matthäus erzählt als erstes von der Heilung eines Aussätzigen (s. 8:2—4). Es handelt sich hier offenbar um denselben Fall von Aussatz, den Markus (1:40—45) und Lukas (5:12—14) erwähnen. In jedem Bericht schenkte der Meister dem vorherrschenden Gedanken, daß ein Aussätziger „unrein“ war und die religiöse Reinheit eines jeden, der ihn anrührte, beflecken würde, überhaupt keine Beachtung, denn er reckte seine Hand aus und rührte ihn an. Das hebräische Gesetz bezüglich der vom Aussatz Befallenen — der Begriff „Aussatz“ hatte in biblischen Zeiten eine allgemeinere Bedeutung als heute — war unter den Juden gut bekannt. Das Gesetz forderte, daß der Aussätzige bis nach seiner Heilung aus der Gemeinschaft des Volkes ausgeschlossen wurde, es räumte jedoch die Möglichkeit einer Heilung ein (s. 3. Mose, Kap. 13, 14; 5. Mose 24:8).
Als zweite Heilung hat Matthäus die von dem Knecht des Hauptmanns angeführt. Der Hauptmann hatte 100 Männer unter sich. Er war wahrscheinlich ein Römer, der den Befehl über die in Kapernaum stationierten Truppen hatte. Matthäus erwähnt, daß dieser gütige Mann selber zu Jesus kam und ihn demütig um Hilfe für seinen Knecht (oder wörtlich für seinen „Knaben“) bat, der schwer krank war. Lukas berichtet, daß der Hauptmann die Ältesten der Juden sandte und daß sie sagten, er sei es wert, die Hilfe des Meisters zu empfangen, weil er so großzügig gewesen war und seinen jüdischen Nachbarn eine Synagoge gebaut hatte. In jedem Bericht hebt Jesus den Glauben des Hauptmanns hervor — größer als der, den er unter seinen Landsleuten gefunden hatte. Die Geschichte schließt mit der Versicherung, daß der Knecht geheilt war (s. Matth. 8:5—13; Luk. 7:1—10).
Im Lukasevangelium wird berichtet, daß eine andere hervorragende Heilung, die Jesus in diesem Abschnitt seines Wirkens vollbrachte, am nächsten Tag stattfand (s. 7:11—17). Das Ereignis trug sich in Nain in Galiläa zu. Als sich der Meister, nicht nur von mehreren seiner eigenen Jünger, sondern auch von vielen anderen Menschen begleitet, dem Stadttor näherte, begegnete er einem Leichenzug. Die Hinterbliebene war eine Witwe, und der Tote war ihr einziger Sohn.
Jesus sprach erbarmungsvoll zu der leidtragenden Mutter. Er rührte den Sarg an, und die Träger standen still. Zweifellos waren sie überrascht, daß solch ein gut bekannter Lehrer etwas mit einem Toten zu tun haben wollte — was keinem Rabbiner einfallen würde. Christus Jesus aber sagte: „Jüngling, ich sage dir, stehe auf! Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und er gab ihn seiner Mutter“ (Vers 14, 15).
Die Zeugen dieses Ereignisses wußten, daß der Überlieferung gemäß der Prophet Elisa in dieser Gegend auch Tote auferweckt hatte. Es war vielleicht ganz natürlich für sie, diese Heilung mit dem Wirken Elias und Elisas in Verbindung zu bringen und zu dem Schluß zu kommen, daß nur ein großer Prophet in der Lage sei, Tote aufzuerwecken. „Sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk heimgesucht“ (Vers 16; vgl. 1. Kön. 17:17–24; 2. Kön. 4:18–36).
Nachdem der Meister den Jüngling zu Nain auferweckt hatte, verbreitete sich weiterhin sein Ruhm in alle Lande (s. Luk. 7:17) und kam sogar seinem berühmten Vorgänger, Johannes dem Täufer, im Gefängnis zu Ohren. „Es verkündigten dem Johannes seine Jünger das alles. Und Johannes rief zu sich seiner Jünger zwei und sandte sie zum Herrn und ließ ihm sagen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten?“ (Vers 18, 19.)
Josephus berichtet, daß Johannes in der Festung in Machärus, östlich des Toten Meeres, gefangengehalten wurde. Sie lag ungefähr 130 Kilometer südlich von Galiläa, wo Jesus immer noch wirkte.
Was auch Johannes dazu bewogen haben mochte, seine Jünger zu Jesus zu schicken — war es Enttäuschung, daß er immer noch im Gefängnis saß, trotz der Mission dessen, den er freudig begrüßt und von dem er gesagt hatte, er werde die Verheißung der Schrift erfüllen, oder war es der aufrichtige Wunsch, sich zu vergewissern, daß Jesus tatsächlich der Messias war, der kommen sollte —, Jesu Antwort war klar: „Gehet hin und saget Johannes wieder, was ihr höret und sehet: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, der nicht Ärgernis nimmt an mir“ (Matth. 11:4–6).
Dann sagte Jesus der Menschenmenge, was er von Johannes dachte: „Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die vom Weibe geboren sind, ist keiner aufgestanden, der größer sei als Johannes der Täufer; der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer als er“ (Vers 11).
Mit seinem Predigen hatte Johannes das Werk der alttestamentlichen Propheten fortgesetzt und auf das lange erwartete Reich Gottes vorbereitet, auf die Herrschaft von Frieden und Wohlergehen, die sie mit der Ankunft des Messias verbanden. Johannes' Wirken war der Höhepunkt der Prophezeiungen, für die der erste der großen Seher des Alten Testaments, Elia (im Griechischen Elias), beispielgebend war. Mit Jesu Worten: „Alle Propheten und das Gesetz haben geweissagt bis zur Zeit des Johannes; und so ihr's wollt annehmen: er ist der Elia, der da kommen soll“ (Vers 13, 14).
Es ist nicht verwunderlich, daß das Matthäusevangelium, in dem der Verfasser hauptsächlich beabsichtigt, die Juden zu überzeugen, daß Jesus der verheißene Messias war, jene alttestamentlichen Prophezeiungen wieder aufgreift. Hier kommen Jesu Worte, wenn er den Mangel an geistiger Empfänglichkeit rügt (s. Vers 20–24), denen solch alttestamentlicher Reformatoren wie Amos und Jesaja an Stärke gleich.
Danach berichtet Lukas von einer der Salbungen Jesu (s. 7:36–50). Ein Pharisäer namens Simon lud Jesus zu einem Festmahl in seinem Hause ein, als dieser vermutlich noch in Kapernaum war. Solch ein Festmahl wurde wahrscheinlich nicht in einem streng vertrauten Kreise gehalten, denn das Eintreten einer Fremden erregte offenbar kein Aufsehen. Es war Brauch, daß die Gäste ihre Sandalen vor der Tür stehen ließen und sich auf gepolsterten Bänken zu Tische legten, die Füße vom Tisch abgewandt, auf dem die Speisen aufgetragen wurden.
„Siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Da die vernahm, daß er zu Tische saß in des Pharisäers Hause, brachte sie ein Glas mit Salbe und trat hinten zu seinen Füßen und weinte und fing an, seine Füße zu netzen mit Tränen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küßte seine Füße und salbte sie mit Salbe“ (Vers 37, 38). Die „Frau“ wird schon lange Maria Magdalena genannt, obwohl die Magdalena von Lukas im folgenden Kapitel als eine neue Gestalt eingeführt wird. Er erwähnt sie im Zusammenhang mit etlichen Frauen, die vom Meister geheilt worden waren (s. 8:2). Diese Salbung in Galiläa hat offenbar nichts mit der zu tun, die im Hause Simons des Aussätzigen in Bethanien, in der Nähe von Jerusalem, ungefähr ein Jahr später erfolgte (s. Matth. 26:6–13).
Der Pharisäer in dem Bericht des Lukas hatte sich offenbar der Ansicht angeschlossen, daß Jesus ein Prophet war, denn er schrieb ihm das Unterscheidungsvermögen eines Propheten zu. Simon erwartete, daß Jesus den Stand der Frau erkannte, doch Jesus konnte nicht nur die Gedanken der reuigen Frau erkennen, sondern auch Simons verborgene Gedanken.
Nachdem er seine Lehre über das Vergeben anhand eines Gleichnisses erläutert und die Verehrung seitens der Frau dem Mangel Simons an besonderer Gastlichkeit gegenübergestellt hatte, wandte sich der Prophet von Nazareth der Frau zu und versicherte ihr liebevoll (Luk. 7:48, 50): „Dir sind deine Sünden vergeben.. . Dein Glaube hat dir geholfen; gehe hin in Frieden!“
