Die Schreiben des Paulus an die Christen in Korinth erscheinen in der Bibel nur als zwei Briefe. Diese beiden Briefe jedoch enthalten, so meinen manche Gelehrte, Anzeichen dafür, daß es sich um vier Briefe handelt.
1. Korinther 5:9 bezieht sich höchstwahrscheinlich auf einen früheren Brief, das erste Schreiben des Paulus, in dem die Kirche in Korinth dringend aufgefordert wurde, sich von der Unmoral abzuwenden. Die Botschaft hatte offenbar nur geringe Wirkung, sonst wäre der erste Brief an die Korinther (der zweite Brief des Paulus) mit der Erörterung des gleichen Themas nicht notwendig gewesen. Doch auch dieser zweite Brief stieß auf Interesselosigkeit und sogar auf starke Opposition.
Zu diesem Zeitpunkt mag Paulus Korinth besucht haben, in der Hoffnung, die Angelegenheit zu klären. Als er den ersten Brief an die Korinther schrieb, war er nur einmal in Korinth gewesen (als er die Kirche gründete), während im zweiten Brief an die Korinther (13:1) erwähnt wird, er hoffe, zum „dritten Mal“ zu Besuch zu kommen. Eine zweite Reise fand also wahrscheinlich zwischen dem Schreiben des ersten Briefes an die Korinther und des zweiten, Kap. 10–13, statt.
Der Besuch selbst erwies sich als ein kummervolles Ereignis, „in Traurigkeit“ gemacht (2. Kor. 2:1). Paulus kehrte nach Ephesus zurück — vielleicht lasteten die Erinnerungen noch schwer auf ihm, und dort schrieb er die strengen Worte nieder, die wir im zweiten Brief an die Korinther (10–13:10) finden.
Ein genaues Studium des zweiten Korintherbriefes läßt vermuten, daß die Strenge und die ernsten Befürchtungen im Zusammenhang mit den Streitigkeiten in Korinth (Kap. 10–13) sich nicht mit der in Kapitel 1–9 beschriebenen Freude und Dankbarkeit für die Treue der Korinther vereinbaren lassen. Die meisten Gelehrten nehmen deshalb an, daß es sich hier um zwei verschiedene Briefe handelt. Der sogenannte „strenge Brief“, 2. Kor. 10–13, spiegelt offensichtlich die Schwierigkeiten wider, die Paulus bei seinem zweiten Besuch in Korinth hatte, und wurde vermutlich vor den Kapiteln 1–9 geschrieben, die die spätere Freude des Paulus über die schließlich in der Kirche in Korinth an die Oberfläche kommende Empfänglichkeit ausdrücken.
Im zweiten Brief an die Korinther (Kap. 10–13) weist Paulus die Beschuldigung zurück, daß er „im Fleisch“ wandele (10:3); er greift die Rivalität zwischen den Gruppen und falschen Aposteln in Korinth an — Zustände, die die von ihm gegründete Kirche unterminieren möchten (s. V. 8–14; 11:13–15), und er verteidigt die Reinheit des Evangeliums, das er predigt (s. 11:3). Er beansprucht volle Autorität für sein Apostelamt und fügt die berühmte Aufzählung von Versuchungen und Betrübnissen hinzu, die er während seiner Missionstätigkeit ertragen hatte: Gefangenschaft und Auspeitschung, Schiffbruch und Steinigung, Mühe und Arbeit, Kälte und Hunger (s. V. 5, 23–33).
Paulus schreibt auch über jene bemerkenswerte Erfahrung, deren er sich sehr wohl hätte rühmen können, eine Offenbarung, die zu heilig war, um darüber zu sprechen (s. 12:1–4). Doch fügt er hinzu, ihm sei „ein Pfahl ins Fleisch“ gegeben worden, damit er sich „nicht der hohen Offenbarungen überhebe“ (V. 7). Was auch immer die Betrübnis des Paulus gewesen sein mag, er nahm die göttliche Zusicherung an (V. 9): „Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Das große Missionswerk des Apostels — Zeichen und Wunder — bestätigen diese Gnadengabe (s. V. 12).
Paulus hoffte, eine dritte Reise nach Korinth machen zu können, doch bevor er Ephesus verließ, sollte er noch harten Prüfungen gegenüberstehen (s. Apg. 19:21–40). Um die Situation dort zu verstehen, ist es hilfreich, daran zu denken, daß der größte „Stolz“ dieser Metropole der kunstvoll gearbeitete Tempel der Artemis, oder Diana, war, dessen Größe und großartige Bauweise ihn zu einem der Sieben Weltwunder des Altertums machten. Lukas’ Bericht in der Apostelgeschichte läßt darauf schließen, daß Silberschmiede in Ephesus Modelle des Tempels herstellten und an die Anbeter verkauften.
Paulus’ Tätigkeit wirkte sich nachteilig auf dieses Gewerbe aus, da viele Leute sich von Glücksbringern und vom Aberglauben abwandten. Dies war dem Demetrius klar, dessen Rede die Volksmenge dazu aufstachelte, die zwei Jünger Gajus und Aristarchus zu ergreifen, und sie schrie: „Groß ist die Diana der Epheser!“ Paulus wollte sofort zur Verteidigung der Jünger eilen, doch Freunde rieten ihm davon ab. Nach etwa zwei Stunden beruhigte der Kanzler die Menge und erklärte, daß solche zivilrechtlichen Auseinandersetzungen vor Gericht geregelt werden müßten. Im zweiten Brief an die Korinther (1:8–10) erinnert Paulus an den Ernst der Leiden, die in Asien über ihn kamen; und doch habe er Gott zu danken für die Erlösung „von solchem Tode“.
Nach diesem Zwischenfall machte sich der Apostel auf den Weg nach Mazedonien und nahm außer Gajus und Aristarchus auch Timotheus mit. Er reiste über Troas, wo er das Evangelium predigte und Titus mit Nachrichten aus Korinth zu treffen hoffte. Doch bei seiner Ankunft war Titus nicht in Troas (s. 2. Kor. 2:12, 13). Bei seiner Reise durch Mazedonien stieß Paulus auf einige bittere Anfeindungen und sogar Zweifel unter seinen Freunden, aber er fand auch Großzügigkeit, für die er dankbar war (s. 2. Kor. 7:5, 8:1–4).
Zu Paulus' großer Erleichterung kehrte Titus schließlich zurück (vermutlich gegen Ende des Jahres 55 n. Chr.) und brachte ermutigende Nachrichten mit. Die Christen in Korinth machten sich Gewissensbisse, sahen ihre Fehler ein und suchten sie wiedergutzumachen. Es war eine geläuterte und reuige Kirche, an die der Apostel nun über seine neue Freude und Dankbarkeit schrieb — sehr wahrscheinlich einen ähnlichen Brief wie den, der im zweiten Brief an die Korinther (Kap. 1–9) zu finden ist und in 2. Kor. 13:11–13 abgeschlossen wird. Das war die vierte Botschaft des Paulus an die Korinther, der Überlieferung gemäß in Philippi abgefaßt.
Aus dem Brief des Paulus strömt Trost für die Korinther, und er versichert denen, die an den Anfechtungen des Evangeliums teilhaben, daß sie auch dessen Trost teilhaftig würden. Als Beweis zählt er die großen Gefahren auf (wie die in Ephesus), denen er durch göttliche Errettung entkommen konnte. Wenn auch sein früherer Brief streng erschien, sagt er, daß er in Liebe, nicht im Zorn, geschrieben worden sei, und fügt hinzu, daß er ihn „Trübsal und Angst“ und „viel Tränen“ (2:4) gekostet habe. Die Korinther mögen sich in ihrer Reue dazu entschlossen haben, den Hauptübeltäter in ihrer Kirche zu bestrafen. Doch Paulus' Wunsch war es, daß sie sogar diesem vergaben und ihn trösteten, „auf daß er nicht in allzu große Traurigkeit versinke“ (V. 7).
Im dritten Kapitel folgt die große Darlegung des Dienstes, für den Paulus ausersehen worden war — ein Dienst des Geistes, nicht des Buchstabens, ein neuer Bund, nicht in Stein gehauen (wie das hebräische Gesetz), sondern in die Herzen der Christen geschrieben. Als Mose das Gesetz am Horeb empfing, leuchtete zwar sein Antlitz in Herrlichkeit, doch dieser Glanz war nur vorübergehend. Das Licht des Evangeliums sollte noch herrlicher und auch von Dauer sein. Diese Widerspiegelung der Herrlichkeit des Herrn sollte den Christen in ebendas Bild umwandeln, das von einer Herrlichkeit zur anderen hinaufsteigt.
In dem Brief scheint der Abschnitt von 2. Kor. 6:14 bis 7:1 eine Unterbrechung darzustellen (viele Gelehrte betrachten dies als ein Fragment aus der ursprünglichen Botschaft des Paulus an die Korinther). Der Gedankengang von 6:13 wird jedoch in 7:2 wiederaufgenommen, und Paulus fährt fort, seine tiefe Dankbarkeit dafür zum Ausdruck zu bringen, daß sein Brief der Kirche nicht nur Sorge und Buße, sondern auch Umwandlung gebracht hat.
Paulus schließt seinen Brief an die Korinther mit den gütigen Worten aus 2. Kor. 13:11: „Lasset euch zurechtbringen, lasset euch mahnen, habt einerlei Sinn, seid friedsam! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.“
