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Das Wesen des Fortschritts

Aus der Januar 1978-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Der Begriff Fortschritt — die Vorstellung, daß sich die Dinge für den einzelnen und die Gesellschaft ständig auf die eine oder andere Weise besserten — wird immer mehr in Frage gestellt. Und zwar nicht deshalb, weil man in sentimentaler Weise von der „guten alten Zeit“ spricht — man hat das schon immer getan —, sondern weil man zum erstenmal seit vielen Jahrhunderten den Fortschritt der ganzen menschlichen Gesellschaft ernsthaft in Zweifel zieht.

Diese ersten Zeichen der Ernüchterung sollten uns nicht beunruhigen. Sie geben uns eine große Gelegenheit, die Kriterien für Fortschritt neu festzulegen — Kriterien, die zumindest seit dem Beginn der industriellen Revolution vor zweihundert Jahren nie wirklich in Frage gestellt worden sind.

Die Menschen, verwirrt durch viele Dinge, die fortschrittlich zu sein schienen, sind heute zunehmend bereit, einzusehen, daß Fortschritt (ja, und Wachstum) nicht lediglich quantitativ gemessen werden kann. Fortschritt ist nicht das Anhäufen materieller Güter oder Reichtümer, nicht die erschreckende Zunahme der Bevölkerung, nicht die Allgegenwart von Kommunikation und Unterhaltung, ja nicht einmal die phantastische Anhäufung des Wissens. Tatsächlich hat der quantitativ betrachtete Fortschritt den Gefahrenpunkt erreicht: es gibt zu viele Dinge, zu viele Menschen, eine zu große Belastung für die Fähigkeit der Umwelt, sich selbst zu reinigen, und so weiter, bis hin zur Atomspaltung und der Herausforderung durch Kernwaffen und nukleare Macht.

Mit dem Gedanken, daß der Fortschritt qualitativ betrachtet werden muß, wird eine neue Dimension eingeführt. Es bedeutet eine Umstellung von mehr zu besser. Im wesentlichen heißt das, zu erkennen, daß Fortschritt, wenn er wirklich sein soll, geistig gemessen werden muß.

Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen WissenschaftChristian Science (kr'istjən s'aiəns), sah, daß das Geistige, das Inspirierte, das Unsterbliche der wahre Prüfstein für Fortschritt sind. „Der Fortschritt nimmt der Menschheit die Fesseln ab“, schreibt sie in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift. „Das Endliche muß dem Unendlichen weichen. Während das Denken zu einer höheren Ebene der Tätigkeit vorwärtsschreitet, erhebt es sich vom materiellen zum geistigen Sinn, vom Schulmäßigen zum Inspirierten, vom Sterblichen zum Unsterblichen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 256;

Worin für den einzelnen geistiger Fortschritt besteht, ist klar, nämlich in der Vertiefung des Denkens und Wahrnehmungsvermögens, in der Demonstration des Guten im täglichen Leben. Er besteht in der Erkenntnis der Bedürfnisse anderer, in der Anwendung der goldenen Regel Christi Jesu: „Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“ Matth. 7:12; Er ist selbstlos. Er ist dynamisch, beständig auf das Geistige hin gerichtet.

So muß in der individuellen Erfahrung jedes Element der Veränderung, des sogenannten Fortschritts, daran gemessen werden, wieviel Gutes sich entfaltet hat. The American Heritage Dictionary, ein amerikanisches Wörterbuch, erklärt „Fortschritt“ unter anderem als „Entfaltung“, eine Definition, die auf die wissenschaftliche Tatsache hinweist, daß die Elemente des Fortschritts, des Guten, immer vorhanden sind und lediglich wahrgenommen werden müssen. Die Entwicklung eines besseren Lebensstandards hängt von der Erkenntnis der Fülle ab, die der Liebe zu Gott und den Menschen entspringt und wahrlich nicht mit materiellen Begriffen gemessen werden kann.

Auch in der kollektiven Erfahrung sollte der Fortschritt an all dem Guten, das sich in einer Gesellschaft kundtut, gemessen werden. Das Meßverfahren ist nicht einfach. Materieller Reichtum ist oft trügerisch. So sind z. B. die Länder am Persischen Golf durch das Öl außerordentlich reich. Prächtige Städte sind aus der Wüste emporgewachsen, elegante Autos gleiten vorbei, das Angebot von Luxusartikeln ist reichhaltig. Auch gibt es bessere Wohnungen, vielleicht bessere Lebensmittel, mehr Schulen und bessere sanitäre Anlagen. Menschlich gesehen, viel Fortschritt in jeder Hinsicht. Aber es gibt auch Probleme. Wird mehr mit anderen geteilt, werden die in Ehren gehaltenen und bewährten Normen genauer beachtet, zeigt sich mehr wahres Glück als zuvor? Führt der Bruch mit jahrtausendealten sozialen Strukturen zu einer besseren Gesellschaft? Vielleicht, aber nicht ohne ernste Fragen, die noch nicht beantwortet werden können. Der offensichtliche menschliche und materielle Fortschritt vermag nicht voll und ganz zu befriedigen.

Dasselbe gilt für den Einfluß allen materiellen Fortschritts überall. Jeder materielle Schritt muß geistig ausgewertet und durch beweise des sich entfaltenden geistig Guten gerechtfertigt werden — wenn er überhaupt gerechtfertigt werden muß. Die Menschheit wird nur langsam bereit oder fähig zu solch einem strengen Test. Aber ein Erwachen findet statt. Heute ist überall in der Welt die Notwendigkeit einer tiefer gehenden Prüfung des Fortschritts augenscheinlich.

Die Beweislast liegt bei denen, die mehr mit besser gleichgesetzt haben. Sogar in den jungen, aber noch bedürftigen Ländern hat oft ein wenig Entwicklung, ein wenig Wohlstand zu mehr Habgier, mehr Ungleichheit und mehr Unmenschlichkeit unter den Menschen geführt. Das heißt nicht, daß diese bedürftigen Länder kein Recht auf bessere materielle Bedingungen hätten. Natürlich haben sie das Recht. Aber sie müssen sich ebenso wie die hochentwickelten Länder die zwingenden Fragen stellen: Was ist echter Fortschritt? Worauf beruht er? Was sind die Kriterien für Fortschritt?

Drei Begriffe, die in der Christlichen Wissenschaft gebraucht werden, um Gott zu beschreiben — Allmacht, Allgegenwart und Allwissenheit —, geben uns ein gutes Richtmaß, mit dem wir die Ansprüche des materiellen Fortschritts messen können.

Die Allmacht bestätigt die unendliche Allgewalt Gottes. Die physische oder materielle Kraft hat in phantastischer Weise zugenommen. Die Entwicklung der physischen Kraft im Laufe von etwa zweihundert Jahren vom Wasserrad über das Zugtier und die Windmühle bis zum Atomreaktor weist nachdrücklich auf die Allmacht hin. Diese materielle Nachahmung mit all ihren sozialen Vorteilen, die darin bestehen, daß den Menschen die Last körperlicher Arbeit von der Schulter genommen wird und daß alle Arten sozialer Möglichkeiten erweitert werden, bringt dennoch die Gefahr möglicher totaler kriegsähnlicher Zerstörung, der Erschöpfung begrenzter Rohstoffquellen und schwerwiegender Umweltverschmutzung mit sich.

Die entgegengesetzte geistige Tatsache ist die Unerschöpflichkeit und der Segen der unendlichen göttlichen Hilfsquellen. Allmacht ist alle Kraft, die es gibt. Je mehr man Gottes Gesetz der Allmacht versteht, desto besser ist man ausgerüstet, mit den Nöten in praktischen menschlichen Begriffen fertig zu werden. Das wesentliche Bindeglied — die menschlichen Schritte, durch die die Idee der Allmacht zum Ausdruck gebracht wird — verlangt, daß wir uns weise verhalten, Verschwendung vermeiden und Intelligenz ausdrücken.

Einen Hinweis auf die Allgegenwart, das zweite große Kennzeichen des Geistes, finden wir im materiellen Bereich in der atemberaubenden Steigerung der Geschwindigkeit im Verkehrswesen, die größer ist als die des Schalles, und in der Nachrichtenübertragung, durch die Wörter und Bilder von der ganzen Menschheit gleichzeitig empfangen werden können. Dennoch bringen diese Wunder Gefahren und Mißbrauch mit sich. Die echte Probe besteht darin, was wir mit den Minuten anfangen, die die Geschwindigkeit zu gewinnen scheint.

Die geistige Tatsache der Allgegenwart finden wir weder im menschlichen Verkehrswesen noch in der Nachrichtenübertragung, sondern in der Immergegenwart, dem Überall Gottes. Wenn wir uns Seiner Gegenwart bewußt sind, wissen wir, daß tatsächlich kein Übel, weder ein Verbrechen noch Unruhen, kein Mißbrauch des Nützlichen, keine Verfälschung des Fortschritts gegenwärtig sein kann.

Die Allwissenheit wird von der Anhäufung des Wissens nachgeahmt, das sich während der letzten zweihundert Jahre alle zwölf oder vierzehn Jahre verdoppelt hat. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Menschen außerordentlich viel über das physische Universum, vom mikroskopisch Kleinen bis zum Unendlichen, gelernt haben. Aber wertvolles Wissen wird oft durch nutzlose Spekulation verfälscht. Der Wissensstoff enthält viel unnützes Wissen, falsches Wissen, fruchtloses und trügerisches menschliches Umherirren.

Die geistige Tatsache der Allwissenheit ist die Allheit des Gemüts und die unendliche Weisheit Gottes, die der Mensch zum Ausdruck bringt. Daher ist ein individuelles Verständnis von Gott der einzige Weg, die menschliche Weisheit zu erlangen, die nötig ist, um richtige Entscheidungen zu treffen.

Wir brauchen das Ideal des Fortschritts nicht aufzugeben; weit davon entfernt. Die Menschheit muß Fortschritte machen, aber wahrer Fortschritt muß auf der Erkenntnis Gottes beruhen. Es ist ein göttliches Gesetz, daß das Menschengeschlecht vorwärtsschreitet. Aber in unserer Zeit ist es vor allem äußerst notwendig, „zu einer höheren Ebene der Tätigkeit“, mit der Mrs. Eddy den Fortschritt identifizierte, vorwärtszuschreiten. Dieser Aufstieg, der uns befähigt, das Wissen mit Hilfe der Weisheit zu prüfen, ist ja eben das Phänomen des Denkens, das sich „vom Schulmäßigen zum Inspirierten“ erhebt.

Es muß noch sehr viel materieller Fortschritt gemacht werden. Er kann gemacht werden, wenn wir uns von einem materiellen zu einem geistigen Standpunkt erheben. Ein großer Teil der Menschen geht jeden Abend hungrig zu Bett, lebt unter unwürdigen Bedingungen und unter der Knute von Unwissenheit und Analphabetentum. Sogar in den hochentwickelten Ländern bestehen himmelschreiende menschliche Bedürfnisse. Für mindestens Vierfünftel aller Menschen ist das Bedürfnis nach materiellem Fortschritt äußerst offenkundig.

Aber die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse — die wahre Förderung des Fortschritts — kann nicht länger lediglich materiell gemessen werden. Kühne und drastische Fragen müssen gestellt und beantwortet werden:

Sehe ich als einzelner, daß mein Fortschritt mit meinem Verständnis von Gott in Zusammenhang steht und von ihm abhängt?

Wende ich dieses Verständnis von Gott bewußt an, wenn ich eine Entscheidung in bezug auf irgendein menschliches Problem zu treffen suche?

Wende ich mich bei diesen Entscheidungen von der bloßen Befriedigung des persönlichen menschlichen Bedürfnisses oder Mangels ab, und fasse ich das Wohl der Allgemeinheit und das geistig Wirkliche ins Auge?

Habe ich die Konsequenzen der täglichen menschlichen Entscheidungen in der Waagschale des göttlichen Gesetzes gewogen?

Bemühe ich mich, tief in das innerste Wesen der Dinge zu schauen, bemesse ich wahren Wert streng geistig, und lege ich somit das Wesen des Fortschritts fest?

Befreie ich mich — indem ich mich Gott zuwende — von dem Hypnotismus des Materialismus, der Sinnlichkeit, Gewalttätigkeit, Habgier und Selbstsucht, die die Luft erfüllen und sie mehr verschmutzen als schädliche Gase?

Individueller und kollektiver Fortschritt beruht also auf der individuellen Vergeistigung des Denkens und Handelns. In den Sprüchen heißt es so treffend: „Der Weisheit Anfang ist: Erwirb Weisheit, und erwirb Einsicht mit allem, was du hast.“ Spr. 4:7;

Wir können uns aus der Asche der „Dinge“ zu der Herrlichkeit der „Gedanken“ erheben. Mrs. Eddy schreibt: „Durch die göttliche Wissenschaft vereinigt Geist, Gott, das Verständnis mit der ewigen Harmonie. Der ruhige und erhöhte Gedanke oder das geistige Erfassen hat Frieden. So dauert das Aufdämmern der Ideen fort und bildet jedes weitere Stadium des Fortschritts.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 506.

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