Eins der sieben Synonyme für Gott, die Mrs. Eddy uns in der Offenbarung der Christlichen Wissenschaft, wie sie in Wissenschaft und Gesundheit niedergeschrieben ist, gegeben hat, ist Gemüt. Ein anderes ist Liebe. Das göttliche Gemüt ist göttliche Liebe, und die göttliche Liebe ist göttliches Gemüt. Jedes der sieben Synonyme ist in dieser Weise austauschbar (die übrigen fünf sind Geist, Leben, Seele, Prinzip, Wahrheit); jedes stellt einen Aspekt Gottes dar. Ein Haus, von verschiedenen Seiten betrachtet, bietet jedesmal einen anderen Anblick, dennoch ist es immer dasselbe Haus.
Das englische Wort mind und das deutsche Wort Gemüt entstammen wahrscheinlich demselben altgermanischen Wort, von dem sich das angelsächsische gemynd und das gotische gamunds herleiten, die beide „liebendes Gedenken“ bedeuten. Die ursprüngliche Bedeutung schließt also von den Gemütsfähigkeiten die Erinnerung und Liebe ein. Ich denke an das, was ich liebe, ich erinnere mich daran. Das Wort Mut ist ebenfalls in dem Wort Gemüt enthalten. Mut ist eine der Eigenschaften des Gemüts. Das entsprechende englische Wort mood bezeichnet eine Gemütsstimmung. Symbolhaft zeigt sich hier das allumfassende, alles einschließende Wesen des göttlichen Gemüts. Dieses Gemüt tut sich immerdar und überall kund. Es ist die uranfängliche Denkkraft, die schöpferische Intelligenz unerschöpflicher Ideen.
Das göttliche Gemüt ist die schöpferische Kraft des Universums. Im Hellenismus finden wir einen Schimmer dieser Erkenntnis in dem Gedanken, der dem griechischen Philosophen Anaxagoras zugeschrieben wird, nämlich „gott sei ein gemüt on ende, das sich von ihm selbs beweget“.
Wir benutzen in der Christlichen Wissenschaft das Wort Gemüt in diesem ewigen, allumfassenden, schöpferischen Sinne, wenn wir das englische Wort Mind übersetzen. Das entspricht etwa der ursprünglichen Bedeutung des deutschen Wortes Gemüt. Der Dichter Novalis z. B. spricht von dem „gemüth der weiten welt“, und der Philosoph Kant nennt Geist „das belebende prinzip im gemüthe“ Siehe „Vorwort zur deutschen Übersetzung“ von Wissenschaft und Gesundheit, S. iv-v;.
Daß der Mensch der Ausdruck, die Darstellung oder Widerspiegelung des göttlichen Gemüts ist, wird in der Bibel folgendermaßen ausgedrückt: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde.“ 1. Mose 1:27;
Zwar wird im allgemeinen zugegeben, daß uns Gedanken kommen und wir sie nicht selbst fabrizieren. Dennoch mag es dem von einer begrenzten, persönlichen Auffassung ausgehenden Denken so erscheinen, als ob wir eigene, unabhängige Gemüter hätten. Wenn jemand mit dieser Vorstellung behaftet ist, versucht er, in allen seinen Bestrebungen sich selbst darzustellen.
Folgendes wird nun zur Schlüsselfrage: Was ist eigentlich der Sinn des Lebens? Meine persönliche Selbstdarstellung oder die Darstellung meines gottgewollten Selbst als individueller Ausdruck des göttlichen Gemüts? Paulus entlarvte falsche Identifizierung als eine Illusion, wenn er sagte: „Wenn sich jemand läßt dünken, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst“ Gal. 6:3;; ferner sagte er: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“ 1. Kor. 1:31;
Da Gott das Gemüt des Menschen ist, bringt der geistige Mensch in seiner wahren Identität das göttliche Gemüt zum Ausdruck. In dieser Erkenntnis werden unsere menschlichen Probleme gelöst. Probleme bedeuten immer eine Begrenzung, ein Nichtweiterwissen. Das göttliche Gemüt aber ist unendlich und allwissend. Die Inspiration, die vom göttlichen Gemüt kommt, löst die Begrenzungen des Denkens auf, die sich in Mangel an Versorgung, Gesundheit oder Glück zu bekunden scheinen.
Wenn wir das göttliche Gemüt als unser Gemüt beanspruchen und uns weigern, die Suggestion eines begrenzten persönlichen Gemüts anzunehmen, wird unser Bewußtsein von den unbegrenzten Ideen des göttlichen Gemüts erfüllt. Ganz natürlich weichen dann alle Anzeichen des Mangels, die auf ein begrenztes, auf der Materie beruhendes Denken zurückzuführen sind — ein Denken, das Mrs. Eddy als sterbliches Gemüt bezeichnet.
Schon in der Bezeichnung „sterblich“ liegt das Zeitliche, das Begrenzte, ja auch das Unwirkliche, denn was wirklich ist, kann nie aufhören oder sterben. Mrs. Eddy sagt in Wissenschaft und Gesundheit: „Alles Wirkliche ist ewig. Vollkommenheit liegt der Wirklichkeit zugrunde. Ohne Vollkommenheit ist nichts völlig wirklich.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 353;
Die Erkenntnis, daß das göttliche Gemüt das Gemüt des geistigen Menschen ist, löst auch Identitätskrisen, denn wir sehen, daß wir in dem geforderten Aufgeben des sterblichen Selbst nur eine falsche, begrenzte Vorstellung von Identität aufgeben. Dadurch wird nun der Weg frei zur Erweiterung des Bewußtseins, so daß wir die unsterbliche Identität des Menschen als Bild und Gleichnis Gottes oder, anders gesagt, als individualisierter Ausdruck Gottes, des wirklichen Gemüts des Menschen, erkennen.
Christus Jesus beanspruchte kein anderes Gemüt als das göttliche Gemüt. Er sah im Menschen den Ausdruck Gottes. Die Kranken, mit denen er in Berührung kam und die bereit waren, ihre begrenzenden Annahmen zugunsten des Gemüts, das in Christus Jesus so beispielhaft zum Ausdruck kam, aufzugeben, wurden geheilt, und ihr Leben wurde umgewandelt. Im Matthäusevangelium lesen wir folgenden interessanten Bericht: „Und siehe, eine Frau, die zwölf Jahre den Blutfluß gehabt, trat von hinten zu ihm und rührte seines Kleides Saum an... Da wandte sich Jesus um und sah sie und sprach: Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Und die Frau ward gesund zu derselben Stunde.“ Matth. 9:20, 22; Sicherlich wird hier nicht lediglich auf die Berührung des Stoffes des Gewandes, das Jesus anhatte, Bezug genommen. Die Krankheit war ein Gedankenbild, das durch die Berührung mit der Wahrheit über den Menschen als die Idee Gottes berichtigt wurde. Daß die Heilung ein geistig mentaler Vorgang war, wird auch durch Jesu Worte bestätigt, als er zu der Frau sagte: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Der Glaube ist eine innere Überzeugung.
Von unserer gedanklichen Haltung hängen unsere Erlebnisse und auch unser Gesundheitszustand ab. Eine gedankliche Haltung, die Gott, dem göttlichen Gemüt, Raum gibt, läßt uns die umfassende Bedeutung des Wortes Gemüt in Ursprung und Ausdruck erkennen. Mrs. Eddy sagt in Wissenschaft und Gesundheit: „Gemüt offenbart alles, was in der Unendlichkeit der Wahrheit existiert.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 258.