Viele Menschen betrachten mit Besorgnis die Spaltungen in den Familien, die Kluft zwischen verschiedenen Kulturformen, die Mauern zwischen Generationen, die Barrieren zwischen Kollegen. Es gibt jedoch nichts, was nicht berichtigt werden könnte. Unzureichende Verständigung und mangelndes gegenseitiges Verständnis — welche Form diese auch annehmen mögen — können durch einen vertieften Begriff vom geistigen Leben und Sein beseitigt werden. Die göttliche Liebe ist es, die Verständigungshindernisse entfernt. Wenn recht verstanden, kann sie die Mauern immer mehr abbauen.
Die Kluft, die sich in den Familien auftut — und zu Feindseligkeit und Verwirrung führt —, mag z. B. auf Meinungsverschiedenheiten über den Lebensstil eines Mitglieds beruhen, der die ganze Familie berührt, oder darauf, daß ein Sohn oder eine Tochter wegen der gespannten Beziehungen zwischen den Eltern das Haus verläßt, oder darauf, daß die Kinder mit zuviel oder zuwenig Disziplin erzogen wurden. Für eine grundlegende geistige Lösung braucht man keinen Eheberater, keinen Kinderpsychologen. Durch eine mehr geistig wissenschaftliche Auffassung — von der Vollkommenheit des Seins — kann man eine schmerzliche Kluft überbrücken. In dem Maße, wie man sich eine derartige Betrachtungsweise aneignet, erfolgt Heilung.
Nehmen wir einmal an, ein Familienmitglied habe das Haus unter unglücklichen Umständen verlassen. Was können wir tun? Wir können z. B. erkennen, daß weder persönliche Anwesenheit noch Abwesenheit, weder gefühlsmäßige Vereinbarkeit noch Unvereinbarkeit auf die Harmonie der geistigen Ideen des göttlichen Gemüts einwirken noch etwas mit ihnen zu tun haben können. Und diese Ideen stellen den wirklichen Menschen dar. Begriffe von Raum und Trennung oder feindseliger Entfremdung können nur behaupten, im sterblichen Denken zu wirken. Geistige Ideen sind sogenannten physiologischen oder emotionellen Faktoren nicht ausgesetzt. Da es im unendlichen göttlichen Leben kein sterbliches Leben gibt, gibt es tatsächlich niemals eine Entfremdung oder Verständigungslücke, die geschlossen werden müßte.
Geist und seine vollkommenen Ideen bilden die gesamte Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist universell. Es gibt in ihr keine Lücken, die ausgefüllt werden müßten, keine Kluft, die zu überwinden wäre, keine Veränderungen, die man vornehmen müßte, keine Unreife, die der Reife weichen müßte. Gottes geistige Wirklichkeit existiert tatsächlich jetzt und hier, selbst da, wo unvereinbare Persönlichkeiten wirklich zu sein scheinen.
Die Christliche Wissenschaft besteht allerdings darauf, daß solche großartigen Wahrheiten in die Praxis umgesetzt und gelebt werden — und nicht nur als interessante Theorien betrachtet oder nur hin und wieder beherzigt werden. Und weil diese Wahrheiten über Gott und den Menschen universell sind, sind sie auf den ganzen Bereich des menschlichen Lebens anwendbar. Geistige Wahrheiten werden durch Gebet angewandt. Im höheren geistigen Sinn bedeutet Gebet nicht einfach, Gott um Hilfe, Unterstützung und Trost zu bitten. Es bedeutet, daß wir das geistige Gesetz als den einzigen bestimmenden Faktor in unserem Leben anerkennen und uns klarmachen müssen, daß überall in Gottes geistiger Schöpfung das geistige Gesetz am Wirken ist.
Auf Entfremdung zwischen Rassen oder Klassen können wissenschaftliche Wahrheiten genauso wirksam angewandt werden wie auf Entfremdung innerhalb der Familie. Wissenschaftliches Gebet gibt uns die tiefe geistige Überzeugung, daß alle geistigen Ideen im Bereich des göttlichen Seins eine gleichwertige Bedeutung haben. Gott, der einzige Ursprung des Menschen, ist unsterbliches Prinzip. Ungerechtigkeit, Voreingenommenheit, zerrüttender Konkurrenzkampf: solche sterblichen Begriffe sind dem allgegenwärtigen Reich des Prinzips völlig fremd.
Jede Kluft in der menschlichen Erfahrung, die die Menschen trennt und Furcht und Elend mit sich bringt, kann zunehmend überbrückt werden. Ein höchst wirkungsvoller Ausgangspunkt dafür ist die Vergegenwärtigung, daß es nicht den geringsten Raum gibt zwischen dem göttlichen Gemüt und dem wahren Selbst des Menschen als Idee des Gemüts. Diese Wahrheit ist grundlegend in der Christlichen Wissenschaft. Und man kann sie sowohl auf die häusliche Situation als auch auf den weiteren Bereich der ganzen Familie der Menschheit anwenden.
Leute, die viel reisen, hört man manchmal sagen, daß sie weniger davon beeindruckt sind, wie unterschiedlich die Menschen sind, als davon, wie sehr sie sich gleichen. Wenn unser Begriff von der Welt von der Christlichen Wissenschaft durchdrungen ist, muß uns die Vollkommenheit, Schönheit und Majestät des Menschen als des Ebenbildes der göttlichen Liebe beeindrucken.
Wenn Muße, Geschäft oder Auswanderung uns in andere Länder bringt, wird eine geistig wissenschaftliche Betrachtungsweise die Möglichkeit verringern, Anstoß zu nehmen oder zu erregen — oder uns helfen, ihn überhaupt zu vermeiden. In dem Maße, wie wir einen geistigen Begriff vom Menschen entwickeln, wird unser Reisen oder Leben in anderen Ländern erfreulicher und für alle Beteiligten konstruktiver werden. Wir sollten danach trachten, mit zunehmender Klarheit zu erkennen, daß die kulturellen Unterschiede von keiner primären Bedeutung sind. Die Universalität, die Allgegenwart Gottes und Seines vollkommenen Menschen, das ist der Kernpunkt.
Sicherlich ist eine vereinigende, mitfühlende Auffassung vom Menschen von absolut zentraler Bedeutung in Christi Jesu Leben, Lehren und Wirken. Seine Gewißheit der Gegenwart Gottes befähigte ihn, mit jeder Kluft fertig zu werden, die von Klassenunterschieden, von unterschiedlicher Religion, Rasse, Sprache oder Herkunft herrührte. Auf seine Rolle und seinen Zweck als Christus Bezug nehmend, sagte er: „Ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.“ Joh. 12:32; Alle!
Mary Baker Eddy, unsere Führerin, brachte ihre Überzeugung von der Vollständigkeit des Seins — von der Einheit Gottes und des Menschen — in einer Zuneigung zum Ausdruck, die bei ihrer Familie begann und alle Menschen umfaßte. Ihre folgenden Worte sind schlicht, ergreifend und demonstrierbar:
Es steht geschrieben auf Erde, Blatt und Blüte:
die Liebe kennt nur ein Reich, eine Rasse, eine Macht.Poems, S. 22.
Eine solche geistige Betrachtung der Dinge gibt uns die Grundlage, von der aus jeder von uns dazu beitragen kann, die Ansprüche von einer Kluft zwischen Kulturformen oder Lebensgewohnheiten zu überbrücken, angefangen, wo nötig, bei unserer eigenen Familie und dann auf die ganze menschliche Familie übertragen.
