Wenn jemand in das abgedunkelte Zimmer von Markus gegangen wäre, hätte er annehmen können, daß Markus ganz einfach auf dem Bett eingeschlafen sei, ohne sich auszuziehen. Weit gefehlt. Mit eisernem Willen versuchte er, sich auf die „Astralprojektion“ oder „Seelenreise“ zu konzentrieren. Er hatte diese Technik aus einigen Büchern gelernt, die er gelesen hatte — angeblich waren es die autobiographischen Erlebnisse eines tibetanischen Lamas. (Später erfuhr er, daß sie von einem in Kanada lebenden Schwindler geschrieben worden waren.)
Anfangs waren die Bücher eine willkommene Abwechslung von der Eintönigkeit des Internatslebens. Es wäre bestimmt unterhaltsamer, dachte er, über mystische okkulte Mächte, über Flüge in menschengesteuerten Drachenmaschinen, über die halsbrecherische Flucht aus der chinesischen Armee zu lesen, als sich auf den Biologieunterricht vorzubereiten und die Teile des Baumes auswendig zu lernen. Aber in letzter Zeit hatte sich Markus gefragt, ob nicht doch etwas Wahres daran sei — ob er tatsächlich mystische Kräfte entwickeln könnte, die keiner, ganz gewiß nicht seine Klassenkameraden, in ihm vermuten würden.
Obwohl Markus’ Bemühungen, in seinem unsichtbaren Astralleib ferne Ziele anzusteuern, fehlschlugen — letzten Endes schlief er darüber ein —, begann er doch, alles zu studieren, was er über Zen und den tantrischen Buddhismus, über Taoismus, Astrologie, das Unbewußte und über Traumdeutung finden konnte. Er las alles, was ihm die Existenz einer mystischen Welt versprach, in die er sich vom gewöhnlichen Trott des Unterrichts, Sports und der Hausaufgaben zurückziehen konnte.
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